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Nato-Bodentruppen im Ukraine-Krieg? Macron sprengt Scholz' rote Linie


Nato-Bodentruppen im Ukraine-Krieg?
Macron sendet eine Botschaft an Putin

Von Patrick Diekmann

27.02.2024Lesedauer: 5 Min.
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Ein ukrainischer Soldat in der Ukraine: Werden bald auch westliche Bodentruppen in dem angegriffenen Land helfen?Vergrößern des Bildes
Ein ukrainischer Soldat in der Ukraine: Werden bald auch westliche Bodentruppen in dem angegriffenen Land helfen? (Quelle: IMAGO/Stanislav Krasilnikov/imago images)

Der französische Präsident Emmanuel Macron schließt die Entsendung von westlichen Bodentruppen in die Ukraine nicht aus. Deutschland ist empört, Russland spricht von einem Krieg mit der Nato. Aber was steckt wirklich dahinter?

Der Knall kam Montag erst kurz vor Mitternacht. Zuvor hatten 20 Staats- und Regierungschefs in Paris viele Stunden über die weitere Unterstützung der Ukraine beraten. Arbeitssitzung, danach lud Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch zum Dinner ein. Als viele Beobachter am Abend schon etwas schläfrig damit rechneten, dass es auch bei diesem Treffen nicht zum großen Wurf komme, kam sie doch noch, die faustdicke Überraschung.

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Denn Macron verkündete, er wolle die Entsendung westlicher Soldaten in die Ukraine nicht mehr ausschließen. Außerdem wolle Frankreich zusammen mit anderen Staaten eine Koalition bilden, die Mittel- und Langstreckenraketen für die Ukraine organisieren soll. Wumms. Beide Aussagen dokumentieren eine klare französische Kehrtwende in dem Konflikt. Und sie sind eine klare Botschaft an Putin: Der Westen gibt nicht auf und kann noch weitere Eskalationsstufen zünden.

Trotzdem sind das nicht ausschließlich gute Nachrichten für die Ukraine. Denn Macrons Vorstoß ist auch eine gefährliche Spitze gegen Deutschland. Der Haussegen in den deutsch-französischen Beziehungen hängt gewaltig schief, und das in einer Phase, in der die US-Unterstützung für die Ukraine wegzubrechen droht.

Strategischer Angriff auf Putin

"Es gibt heute keinen Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu entsenden", erklärte der französische Präsident auf der Pressekonferenz. "Aber in der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden. Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann." Macron wiederholte: Nichts dürfe ausgeschlossen werden, um das Ziel zu verfolgen: "Russland kann und darf diesen Krieg nicht gewinnen."

Macron nannte keine Details, er sagte auch nicht, welche Länder sich für die Entsendung von Bodentruppen aussprechen. Nur: "Ich habe keineswegs gesagt, dass Frankreich dies nicht befürwortet."

Macron scheint damit dem Kreml signalisieren zu wollen, dass die westliche Unterstützung der Ukraine nicht am Ende ist. Auch mit Blick auf mögliche Verhandlungen geht es strategisch darum, Stärke zu demonstrieren. Warum sollte Putin verhandeln, wenn er ohnehin davon ausgeht, dass er gewinnt? Die französische Führung scheint vor diesem Hintergrund zu dem Entschluss gekommen zu sein, dass sie die Angst vor einem westlichen Eingreifen beim russischen Präsidenten nähren muss. Immerhin berichten westliche Geheimdienste immer wieder, dass Putin paranoid sei und eine aktivere Rolle des Westens und vor allem der USA in dem Krieg fürchtet.

Russland warnt vor großem Krieg

Zwar warnt Moskau schon jetzt vor einem nächsten Weltkrieg. Damit möchte Putins Regime vor allem Ängste in den westlichen Gesellschaften schüren. "Das (Anm. d. Red.: die Entsendung von Bodentruppen) ist absolut nicht im Interesse dieser Länder, dessen müssen sie sich bewusst sein", sagte Kremlsprecher Peskow am Dienstag.

Die Sorge vor einem Krieg zwischen der Nato und Russland besteht schon seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022. Und damit auch die Frage, wo die rote Linie liegt. Die Debatte über eine mögliche Eskalation wurde etwa bei der Lieferung von Panzern und Kampfjets geführt. Doch Bodentruppen wären tatsächlich eine neue Dimension. Militärexperte Carlo Masala sagte ZDF-"heute": In dem Moment, in dem französische Bodentruppen die Grenze zur Ukraine übertreten würden, seien sie Kriegsteilnehmer. Diese Interpretation ist durchaus heikel, da laut einem durchgesickerten US-Geheimdienstbericht vom März 2023 schon Spezialeinheiten von verschiedenen Nato-Staaten in der Ukraine aktiv sein sollen.

Eines ist jedoch sicher: Sollten französische Soldaten zu Ausbildungszwecken in die Ukraine kommen – und nicht an Kampfhandlungen teilnehmen –, wäre das keine Kriegsankündigung an Russland. Natürlich kann die ukrainische Regierung bilateral andere Staaten auf ihr Staatsgebiet einladen. Vom Völkerrecht wären derartige Einsätze gedeckt.

Das Signal von Macrons Vorstoß ist also: Alle Optionen liegen auf dem Tisch. Macron versuche mit seiner Aussage die "strategische Ambiguität" wiederherzustellen, sagte Masala. Es gehe darum, den Gegner im Unklaren darüber zu lassen, wie weit in diesem Fall Frankreich militärisch gehen werde. Macrons Aussage könnte also der Abschreckung dienen. Allerdings sei der französische Präsident auch ein "Ankündigungsweltmeister und zögerlicher Lieferer", so Masala. Deswegen ist unklar, ob Macrons Ankündigung tatsächlich den gewünschten Effekt in Moskau hat.

Macron ignoriert rote Linien von Scholz

Das ist nicht das einzige Problem an Macrons Aussage. Er zeigt auch öffentlich, wie zerstritten Deutschland und Frankreich sind. Die Bundesregierung hatte in den vergangenen Monaten ihre Ukraine-Hilfe deutlich ausgebaut und Frankreich hinter vorgehaltener Hand dafür kritisiert, dass es nicht ausreichend helfe. Dieser deutsche Missmut über die französische Passivität wurde immer größer, erfuhr t-online in zahlreichen Gesprächen mit westlichen Diplomaten. Diese Kritik kam in Frankreich überhaupt nicht gut an.

Die französische Regierung wollte wohl auch deswegen mit der Unterstützerkonferenz ein Zeichen setzen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entschloss sich dagegen, genau an diesem Tag seine Absage an Taurus-Lieferungen in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zu erklären. Scholz sieht bei der Weitergabe der Marschflugkörper an die Ukraine die Gefahr, dass Bundeswehrsoldaten in das Kriegsland geschickt werden müssten, um die anspruchsvolle Technik der Systeme bedienen zu können. Das stimmt laut den Angaben von Militärexperten nicht.

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An diesem Montag blieb also vor allem ein Eindruck: Scholz zieht eine rote Linie, Macron sprengt diese nur wenige Stunden später. Ein fatales Signal für die deutsch-französische Achse in diesem Konflikt.

Die Wut auf Macron in Regierungskreisen ist entsprechend groß. Scholz selbst drückte es diplomatisch aus, schloss aber am Dienstag eine Entsendung von Bodentruppen aus Nato-Staaten in den Ukraine-Krieg kategorisch aus. Bei dem Treffen am Montagabend in Paris habe man besprochen, "dass das, was von Anfang an untereinander und miteinander festgelegt worden ist, auch für die Zukunft gilt, nämlich dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben wird, die von europäischen Staaten oder von Nato-Staaten dort hingeschickt werden", sagte der Kanzler in Freiburg.

Soldaten sollen nicht an Kampfhandlungen teilnehmen und laut der Bundesregierung beispielsweise auch keine Zieldaten von Raketensystemen aus der Ferne eingeben. Scholz tritt damit in den offenen Widerspruch zu Macron. Ein einiges Europa sieht anders aus.

Wichtiger als Bodentruppen: Lieferung von Munition und Raketen

SPD-Außenpolitiker Michael Roth wurde deutlicher. "Das ist eine Phantomdebatte, die der Ukraine in ihrer sehr schwierigen Lage überhaupt nicht weiterhilft", sagte er t-online. "Im Gegenteil: Es schadet der Ukraine sogar, wenn wir uns jetzt nicht endlich auf das konzentrieren, was sie dringend braucht." Ausreichend "Waffen, Munition und Ausbildung". Auch der Grünen-Politiker Anton Hofreiter bilanzierte: "Im Agieren von Scholz und Macron zeigt sich leider, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit auf höchster Ebene nicht rund läuft", sagte er t-online. "Wir brauchen dringend eine gemeinsame europäische Initiative für das, was jetzt in der Ukraine gebraucht wird."

Beide sprechen einen wichtigen Punkt an: Die Ukraine braucht dringend mehr Munition, besser heute als morgen. Die Lage an der Front ist für die Verteidiger schlecht, Russland gab am Dienstag die Eroberung einer weiteren Ortschaft in der Nähe von Awdijiwka im Südosten der Ukraine bekannt.

Das zeigt, dass sich bei der Unterstützung der Ukraine schnellstmöglich etwas ändern muss. Macron setzte dabei mit der Entsendung von neuen Mittel- und Langstreckenraketen neue Impulse. Der ukrainischen Armee könnten diese Raketen dabei helfen, russische Nachschublinien zu unterbrechen, um den Vormarsch von Putins Armee zu verlangsamen – bis der Westen die Ukraine mit mehr Artilleriemunition versorgen kann.

Außerdem gibt es nach der Konferenz in Paris endlich die gemeinsame Bereitschaft, mit EU-Geld Munition für die Ukraine außerhalb Europas einzukaufen. Frankreich hatte das bislang immer abgelehnt.

Paris und Berlin haben also ein gemeinsames Ziel: Die Ukraine darf nicht verlieren. Die aktuelle Debatte aber zeigt wiederum, dass der Westen strategisch auch gut daran täte, kommunikative Geschlossenheit zu demonstrieren. Denn von Streit profitiert in der Regel der russische Präsident Wladimir Putin, der Uneinigkeit gerne nutzt, um zu spalten.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa, rtr und afp
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