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EU-Sanktionen | Pressestimmen: "Belarus gleicht einer Zeitbombe"


Presse zu EU-Sanktionen
"Belarus gleicht einer Zeitbombe"

Von dpa, lw

Aktualisiert am 25.05.2021Lesedauer: 5 Min.
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"Ich gestehe": Ein Video soll das Geständnis des oppositionellen Journalisten Roman Protassewitsch zeigen, doch Angehörige zweifeln an der Echtheit. (Quelle: t-online)
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Die Welt reagierte empört auf die Zwangslandung eines Flugzeugs und die Festnahme eines regierungskritischen Bloggers in Belarus. Die EU belegte das Land kurzerhand mit Sanktionen. Das sagt die internationale Presse.

Als Antwort auf die erzwungene Landung einer Passagiermaschine in Minsk und die Festnahme des Bloggers Roman Protassewitsch hat die Europäische Union ein Flug- und Landeverbot gegen belarussische Airlines verhängt. Doch hat das überhaupt einen großen Effekt auf Machthaber Alexander Lukaschenko? Eine Presseschau:

"Rzeczpospolita" (Warschau, Polen): "Der Gesichtsausdruck des in einem Passagierflugzeug festgenommenen jungen Bloggers Roman Protassewitsch wird vielen Menschen noch lange in Albträumen erscheinen. Er flog von der freien Welt in die freie Welt, von Athen nach Vilnius, und plötzlich landete er in Minsk, um Lukaschenkos wichtigster politischer Gefangener zu werden. Er weiß, mit welchen Methoden man ihn verhören wird. Er weiß, dass ihm danach eine langjährige Lagerhaft droht, vielleicht sogar der Tod. (…)

Aber werden selbst drastische Sanktionen und Isolation Lukaschenko bewegen, Roman Protassewitsch freizulassen? So schrecklich es klingt – das ist wenig wahrscheinlich. Der Diktator ist Isolation gewöhnt. Das hält ihn nicht davon ab, seine Feinde zu vernichten. Zudem hat er noch den Rückhalt des Kremls. Putin wird Lukaschenko gerne unterstützen. Es sei denn, der Westen setzt auch ihn unter Druck."

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"Neue Zürcher Zeitung" (Schweiz): "Das Signal, das (Präsident Alexander) Lukaschenkos Regime aussenden wollte, ist eindeutig: Egal, wo sich seine Gegner befinden, sie können sich nirgends mehr sicher fühlen, auch nicht in einem Flugzeug, das zwischen zwei EU-Staaten verkehrt. Hohe weißrussische Funktionäre machten schon mehrmals klar, dass sie jeden aufspüren und zur Rechenschaft ziehen werden. Protassewitsch erscheint dabei wie ein Versuchsobjekt. (…)

Die Schraube gegen Andersdenkende wird immer mehr angezogen. Seit vergangener Woche sind die Internetportale Tut.by und Sports.ru blockiert. Anpassungen des Mediengesetzes verbieten unter anderem künftig jede Berichterstattung über nicht bewilligte Proteste. Davon könnte am Ende Russland profitieren. Je mehr sich Lukaschenko und die Elite in eine Sackgasse manövrieren, desto eher wird Russland der einzige Retter sein, allerdings zu einem hohen Preis für die Souveränität des Landes."

"De Standaard" (Brüssel, Belgien): "Belarus gleicht einer Zeitbombe zwischen Europa und Russland. Diese tickte langsam und leise – bis die Bevölkerung im vorigen Sommer nach einem halben Jahrhundert Sowjetherrschaft und 26 Jahren der Autokratie (von Präsident Alexander) Lukaschenko und seiner Entourage verlangte, was Millionen Bürger Osteuropas schon seit 30 Jahren genießen: ehrliche Wahlen, Demokratie und Freiheit. Lukaschenko reagierte mit brutaler Unterdrückung und führte sein Land im Gegenzug zu wirtschaftlicher und politischer Unterstützung vollständig in die Einflusssphäre Russlands. (…)

Alle Spekulationen über die Rolle des Kremls und das Risiko einer Eskalation dürfen nicht von den nackten Tatsachen ablenken: Lukaschenko hat dieses Flugzeug kapern lassen. Das Zudrehen sämtlicher Geldhähne für ihn und seine Gefolgschaft, der Ausschluss von Belarus vom europäischen Luftverkehr und eine internationale Ermittlung gegen die Verantwortlichen für die Flugzeugentführung können daher nur der Beginn einer Antwort sein."

"Spiegel" (Hamburg, Deutschland): "Das sind harte Maßnahmen, die gut gemeint sind, genauso wie die vielen scharfen Worte aus der EU in Richtung Minsk. Die Frage lautet nun, ob sich Lukaschenko diesmal davon beeindrucken lässt. Seit gut 30 Jahren hält er sich an der Macht, alle Sanktionen des Westens haben ihn bislang nicht zu Fall gebracht. Solange Lukaschenko auf die Unterstützung von Moskau setzen kann, wird er sich vor der EU oder den USA wohl nicht ernsthaft fürchten.

Wovor Lukaschenko wirklich Angst hat, ist der Umsturz durch die Massen auf der Straße. Sein Hauptziel ist der Machterhalt, deshalb muss er immer repressiver werden. In seinen Methoden wird er seinem großen Beschützer und Vorbild Wladimir Putin dabei immer ähnlicher. Mit der Ryanair-Entführung demonstriert Lukaschenko, dass er jeden, der es wagt, gegen ihn aufzustehen, ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt. Es ist die alte KGB-Schule: Gegner werden bis in den letzten Winkel der Welt gejagt, sie sterben an Gift oder unter 'mysteriösen' Umständen. Fressen oder gefressen werden, lautet Lukaschenkos Motto."

"de Volkskrant" (Amsterdam, Niederlande): "Nur Russland steht noch hinter Belarus und Alexander Lukaschenko. Russlands Außenminister Sergej Lawrow lobte seinen belarussischen Amtskollegen für dessen Versprechen, bei der Klärung der Zwangslandung Transparenz zu zeigen.

Vor den betrügerischen Wahlen in Belarus im August 2020 fasste die EU Lukaschenko mit Samthandschuhen an, um ihn nicht in die Arme von Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu treiben. Das ist inzwischen Vergangenheit. Um politisch zu überleben, hat Lukaschenko vor Putin kapituliert. Beide Präsidenten verhandeln über die Bildung eines Unionsstaates, in dessen Folge Belarus de facto zu einer Provinz Russlands werden soll. Die EU ist Lukaschenko völlig egal geworden, wie die Entführung von Roman Protassewitsch gezeigt hat."

"Kommersant" (Moskau, Russland): "Die erzwungene Landung des Ryanair-Flugzeugs in Minsk und die Festnahme des Oppositionsaktivisten Roman Protassewitsch, der in dieser Maschine mitflog, zeigte, dass die ohnehin schon schlechten Beziehungen zwischen Belarus und dem Westen noch viel schlechter werden könnten. Am ersten Tag ihres Gipfels haben die EU-Staats- und Regierungschefs eine politische Entscheidung getroffen, Flüge der belarussischen Fluggesellschaften in der Europäischen Union zu verbieten. (...) Dagegen trat Russland einmal mehr für das verbündete Nachbarland Belarus ein."

"The Telegraph" (London, Großbritannien): "Dieser Vorfall ist ein Bruch internationalen Rechts, gleichbedeutend mit Luftpiraterie, und ein kriegerischer Akt eines Despoten, dessen wahres Gesicht sich zeigte, als er letztes Jahr einen Volksaufstand gegen gefälschte Wahlen rücksichtslos niederschlug. (…) Solange er die stillschweigende oder offene Unterstützung von Wladimir Putin in Moskau hat, hat er wenig zu befürchten. Alexander Lukaschenko weiß auch, dass die Empörung des Westens weitgehend künstlich ist.

Solange Deutschland, Polen, Österreich, Italien und andere EU-Länder auf russische Energielieferungen angewiesen sind, werden sie Drohungen gegen Belarus nur durch Lippenbekenntnisse unterstützen. Eine wichtige Erdgasleitung aus Sibirien in die EU verläuft durch das Land. Und alle Bemühungen, das neue Gasexport-Projekt Nord Stream 2 nach Deutschland als Druckmittel gegen Moskau zu nutzen, sind ins Leere gelaufen."

"Süddeutsche Zeitung" (München, Deutschland): "Lukaschenko hat sein Schicksal längst in die Hände von Militär und Sonderdiensten gelegt. Die werden einen Machtwechsel mit allen Mitteln zu verhindern suchen. Andernfalls könnten sie für ihre Menschenrechtsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Die Reaktionen der EU auf die Flugzeugentführung sind dem Regime, das um das eigene Überleben kämpft, deshalb relativ egal. Interessanter sind für Lukaschenko wahrscheinlich die Reaktionen aus Moskau.

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Der Machthaber in Minsk hat die Proteste in Belarus stets als vom Westen inszenierten Putschversuch dargestellt. Oppositionelle wie Roman Protassewitsch gelten in Minsk – genauso wie in Moskau – als vom Ausland gesteuerte Feinde. Der Kreml wollte die Ryanair-Landung bisher zwar nicht kommentieren, die Chefredakteurin des kremltreuen Senders RT schrieb jedoch auf Twitter, sie sei neidisch auf Belarus, weil Lukaschenko die Sache so gut gedeichselt habe. Das ist auch für die russische Opposition kein gutes Zeichen."

"Mittelbayerische Zeitung" (Regensburg, Deutschland): "Offenbar hat der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko mit der erzwungenen Landung eines Ryanair-Flugzeuges in Minsk und der Verhaftung eines Regimegegners einen Akt staatlicher Luftpiraterie begangen. Natürlich müssen zuerst die genauen Hintergründe und Abläufe des Vorfalls untersucht werden. Aber bereits jetzt deutet vieles darauf hin, dass Lukaschenko selbst den gefährlichen Eingriff in den zivilen Luftverkehr zu verantworten hat.

Im autoritär regierten Belarus steigt kein Kampfjet so einfach auf, um einen Ferienflieger zur Kursänderung zu zwingen. Es sei denn der Diktator habe den Befehl zu diesem offenkundigen Fall von Staatsterrorismus gegeben. Dass der Ryanair-Pilot zudem mit der unverhohlenen Drohung zur Kursänderung gezwungen wurde, man werde das Flugzeug andernfalls abschießen, erhärtet den Verdacht von oben angeordneter Luftpiraterie."

Verwendete Quellen
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