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Deutschland, Trump, Ukraine-Krieg: ”Vielleicht siegt sich Russland zu Tode”


Militärökonom Keupp
"Nun ist Deutschland an der Reihe"

InterviewVon Marc von Lüpke

23.05.2025 - 04:32 UhrLesedauer: 8 Min.
Wladimir Putin: Russlands Präsident will keine eigenständige Ukraine dulden, sagt Markus Keupp.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Präsident will keine eigenständige Ukraine dulden, sagt Markus Keupp. (Quelle: Alexander Kazakov/reuters)
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Russland gibt sich stark und mächtig, doch ist das mehr Schein als Sein? Militärökonom Marcus Keupp erklärt, wie Wladimir Putin taktiert und weshalb Deutschland mehr Realismus guttäte.

Binnen 24 Stunden wollte Donald Trump nach Amtsantritt den Ukrainekrieg beenden, das ist nun Monate her. Immer noch bekämpft Russland sein Nachbarland. Damit wird das Kremlregime auch nicht aufhören, sagt Militärökonom Marcus Keupp, der die Kampfhandlungen seit Februar 2022 analysiert. Aufgeben sei für Wladimir Putin keine Option.

Was treibt das russische Regime im Konflikt gegen die Ukraine und den Westen an? Warum ist Russland weit schwächer als in Deutschland angenommen? Und ab wann wäre ein russischer Angriff auf Nato-Territorium denkbar? Diese Fragen beantwortet Marcus Keupp, Autor des Buchs "Spurwechsel. Die Welt nach Russlands Krieg", im Gespräch.

t-online: Herr Keupp, Donald Trump will die Waffen in Russlands Krieg gegen die Ukraine zum Schweigen bringen. Kann der US-Präsident damit erfolgreich sein?

Marcus Keupp: Trump hat keine Chance, langfristig gesehen jedenfalls nicht. Russland wird jede Kampfpause dazu nutzen, sich zu konsolidieren und wieder aufzurüsten. Dann wird die russische Armee die Ukraine erneut angreifen und versuchen, das gesamte Land zu unterwerfen. Alles andere ist bloßes Wunschdenken. Wir dürfen obendrein eine weitere Tatsache nicht ignorieren: Auch im Falle eines Endes der konventionellen Kriegshandlungen wird Russland seinen hybriden Krieg fortsetzen. Warum sollte Putin damit auch aufhören? In Putins imperialen Weltbild hat eine eigenständige Ukraine keinen Platz, er kann und will ihre Existenz nicht ertragen.

Sie halten also bestenfalls eine Atempause in diesem Konflikt für denkbar?

Davon gehe ich aus. Wir müssen Putin doch nur richtig zuhören, er macht aus seinen Ansichten wenig Hehl. Trump – und leider auch europäische Politiker – gehen Putin immer wieder auf den Leim. Das kürzliche Telefonat zwischen Washington und Moskau hat es doch erneut demonstriert: Trump lässt sich von Putin vorführen. Wohin das Festhalten an Lebenslügen und Appeasement führen, sollte Russlands Krieg gegen die Ukraine doch allen Beteiligten hinreichend demonstriert haben. Derweil geht das Sterben an der Front weiter.

Zur Person

Marcus Matthias Keupp, Jahrgang 1977, ist Dozent für Militärökonomie an der Militärakademie der ETH Zürich. Der habilitierte Betriebswirt geht in seiner Forschung klassischen militärökonomischen Fragen nach und befasst sich auch mit der Sicherheit von Versorgung und kritischer Infrastruktur. 2019 erschien Keupps Buch "Militärökonomie", das inzwischen auch in englischer und französischer Sprache erhältlich ist. Am 30. Mai 2025 kommt mit "Spurwechsel. Die Welt nach Russlands Krieg" das neue Buch des Militärökonomen heraus.

Wie schätzen Sie die derzeitige Lage dort ein?

Die russische Armee erobert Dorf für Dorf im Donbass, aber der Preis für die Russen ist furchtbar: Russland blutet aus. Langsam, aber sicher. Seit Beginn der Vollinvasion im Februar 2022 hat der Kreml rund 20.000 mechanisierte Systeme und Luftkampfmittel verloren. Keine Landarmee hat seit dem Koreakrieg in den Fünfzigerjahren in einem derart kurzen Zeitraum vergleichbare Verluste erlitten. Vielleicht siegt sich Russland zu Tode, das ist nicht unvorstellbar. Wir sollten uns daher dringend von liebgewonnenen Illusionen verabschieden: Russland ist nicht so mächtig, wie Putin uns glauben machen will. Der Kreml kann uns keinen Spurwechsel in seinem Sinne aufzwingen, wenn wir ihm das nicht ermöglichen.

"Spurwechsel" lautet auch der Titel Ihres neuen Buches, in dem Sie Mythen rund um Russland dekonstruieren.

Die öffentlichen Debatten über diesen Krieg sind doch sehr weit entfernt von den militärischen, wirtschaftlichen und völkerrechtlichen Fakten. Mir ist es zunächst wichtig, die Unwahrheiten und Verschwörungsmythen in interdisziplinärer Perspektive rund um diesen Krieg zu entwerten. Zusätzlich möchte ich den Menschen klarmachen, dass es in diesem Krieg um weit mehr geht als um die Frontverläufe in der Ukraine. Wir befinden uns inmitten einer historischen Auseinandersetzung, in der es um die Frage geht, wie die Weltordnung aussehen soll.

Russland unter Putin strebt eine Welt an, in der das Recht des Stärkeren gilt.

So ist es. Im Prinzip will Putin zur Welt vor 1945 zurück: Es war ein Zustand fundamentaler Unsicherheit, wo im Prinzip jeder jeden sofort angreifen und mit Krieg überziehen konnte. Damit sind wir auch bei der Frage, warum niemanden der russische Angriff auf die regelbasierte Weltordnung kaltlassen sollte. Der heutige Welthandel erfolgt wesentlich über die Meere und Ozeane. Glaubt denn irgendwer, dass Aggressoren vor dem Handelsverkehr Halt machen würden? Wenn es zum Äußersten kommt, fallen wir zurück in ein Zeitalter der Isolation, mit schmerzhaften Folgen für nahezu jeden: Denn eine weltweite Rezession ist dann garantiert.

Die westlichen Staaten wären also auch im Eigeninteresse gut beraten, der russischen Aggression gegen die Ukraine mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten?

Absolut. Woran es im Westen bisher – und insbesondere in Deutschland – mangelt, ist die Entschlossenheit, Russland die Grenzen aufzuzeigen. Wir befinden uns in einer existenziellen Auseinandersetzung, das kommt in der öffentlichen Diskussion zu kurz. Stattdessen beobachte ich immer wieder eine merkwürdige Mischung aus einem jeder Grundlage entbehrenden Friedensenthusiasmus bis hin zu Verständnis für Russland, das angeblich von der "bösen" Nato eingekreist worden wäre. Das verkennt Russland und seine Ziele völlig.

Wie sehen diese in Wirklichkeit aus?

Russland war und ist ein Imperium – und zwar seit Iwan der Schreckliche 1552 das Khanat von Khasan erobert hatte. Seitdem unterwarf Russland andere Völker und erweiterte sein Territorium hin zu diesem riesigen Reich, mit dem wir es auch heute zu tun haben. Um 1900 lebten rund 129 Millionen Menschen in Russland, die ethnischen Russen waren dabei eine Minderheit im eigenen Imperium.

Russland funktioniert in der Gegenwart also ebenso nach der Logik eines Imperiums?

Das ist der entscheidende Punkt. Putins Politik wird immer wieder als neo-imperial bezeichnet. Aber daran ist nichts "neo", es ist schlicht und einfach imperial. Deswegen ist auch diese Konzentration der russischen Aggression gegen die Ukraine auf die Person Putin verkürzt: Dieser Krieg ist nicht allein Putins Projekt, sondern das des russischen Imperiums. Ein Imperium kann jederzeit wachsen, schrumpfen darf es nicht. Wenn das aber doch geschehen sollte in einer Schwächephase, dann müssen die verlorenen Gebiete später wieder zurückgeholt werden.

Um jeden Preis?

Russland ist tatsächlich bereit, jeden Preis zu zahlen: Es geht nicht um eine territoriale Revision, sondern um das Imperium an sich. Denn eine wirtschaftlich prosperierende Ukraine, demokratisch und rechtsstaatlich verfasst, die sich militärisch dem russischen Einfluss entzogen hat, ist geradezu das Gegenmodell der imperialen Idee. Das ist nicht nur Putins persönlicher Albtraum. Deutschland wäre gut beraten, wenn es seinen Russland-Komplex in den Griff bekäme und der Ukraine noch entschiedener in ihrem Abwehrkampf beistehen würde.

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Die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz ist dazu wohl bereit. Wie steht es aber um die öffentliche Debatte in Deutschland?

Die deutsche Gesellschaft ist durch den aktuellen russisch-ukrainischen Krieg zum ersten Mal überhaupt dazu gezwungen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wo man eigentlich steht. Bis dato hatte man es sich doch recht bequem gemacht, alles in der Hoffnung, dass die Amerikaner im Zweifelsfall anstehende Probleme lösen würden. Diese Zeiten sind allerdings vorbei. Nun wird sich zeigen, wer sich durchsetzt. Hoffentlich werden es nicht die Anhänger dieses autoritären Denkens sein, das sowohl in Deutschland als auch in Russland eine Tradition hat.

Bitte erklären Sie das näher.

In Deutschland gibt es zwei Gruppen, auf die der Kreml besonders baut. Die einen sind die Friedensbewegten, die der nahezu unerschütterlichen Meinung sind, dass man mit Russland schon zu einem Frieden kommen könnte. Da täuschen sie sich in Putin aber gewaltig. Die anderen bestehen aus Leuten, die diesem russischen Autoritarismus Sympathie entgegenbringen. Für diese Leute ist Russland eine Ordnungsmacht, die das "Riesenchaos" im Osten unter Kontrolle hält. Dazu kommt ein ausgesprochener Antiamerikanismus. Diese Leute machen sich allerdings ein ziemlich falsches Bild von Russland.

Wie sieht es in Russland tatsächlich aus?

Die meisten Menschen aus dem Westen nehmen Russland als groß und mächtig wahr, es wäre ein Land unendlicher Ressourcen. Das ist völliger Unsinn. Diese Leute kennen Moskau und Sankt Petersburg, möglicherweise noch ein paar andere historische russische Städte, die schön rausgeputzt sind. Aber fahren Sie in Russland einmal auf Land raus, da sieht man, wie es in Putins Reich wirklich aussieht. Dort ist es ziemlich düster, menschenleer und kaum entwickelt. Gerade die Deutschen neigen zur Schwärmerei, wenn es um Russland geht. Allerdings entbehrt das jeder Grundlage. Putin profitiert von diesem Märchen von der russischen Stärke. Mit meinem Buch möchte ich ein Stück weit dabei helfen, dass in Deutschland mehr Realismus einkehrt.

Während Sie für Realismus plädieren, wurde vor nicht allzu langer Zeit aus CDU-Kreisen über künftige Erdgaslieferungen aus Russland nach einem Frieden spekuliert.

Diesen Gefallen sollten wir Putin nicht tun. Schauen wir doch auf die Fakten: Russland hat den Spurwechsel vollzogen, in dem es seine gescheiterte "Spezialoperation" gegen die Ukraine vom Februar 2022 zu einem vollumfänglichen Krieg ausgeweitet hat. Nun ist Deutschland an der Reihe, diesen Schritt zu gehen. Das wird ein schmerzhafter Prozess, der aber notwendig ist. Die Alternative besteht darin, dass uns zukünftig der Kreml die Spielregeln diktiert.

Sie argumentieren, dass Putin eine Art Scharade betreibt, in dem er uns Stärke vorspielt und unsere Ängste gegen uns instrumentalisiert. Moskaus Hegemonie zu akzeptieren, wäre damit doch gleich in vielerlei Hinsicht ziemlich unklug?

Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Putins Geschäftsmodell ist nicht nachhaltig, sein Kalkül besteht folglich darin, den Westen zu sabotieren. Etwa indem er durch Propaganda und Desinformation politische Systeme dreht. In Rumänien war es gerade ziemlich knapp. Die Slowakei hingegen war vor Amtsantritt von Robert Fico proukrainisch, damit war dann über Nacht Schluss. Ich rate immer dazu, sich die Zahlen und Fakten anzuschauen: Russland schickt Panzer vom Typ T-54 auf die Schlachtfelder in Ermangelung neuerer Modelle. Spricht das für Stärke? Wohl kaum. Zudem verfügt Russland über eine strategische Bomberflotte von 1.200 Flugzeugen. Warum wird die nicht eingesetzt, um die Ukraine sturmreif zu bomben? Weil die Erzählung von Russland als unbegrenzt leistungsfähiger Militärmacht nichts mehr als ein Märchen ist.

Gleichwohl gibt es ernsthafte Befürchtungen, dass Russland in wenigen Jahren die Machtprobe mit der Nato suchen könnte. Wie ist Ihre Einschätzung?

Es ist nur scheinbar ein Widerspruch, dass das überschätzte Russland binnen weniger Jahre zu einem Angriff auf Nato-Territorium fähig sein könnte. Russland lebt derzeit in der Tat von seinen Reserven, das liegt daran, dass die Abnutzungsrate in der Ukraine größer als die russische Produktionsrate ist. Momentan ist Russland in der Lage, rund einen Kampfpanzer und ein gepanzertes Fahrzeug pro Tag herzustellen und Richtung Front zu senden. Das ist nicht wenig. Allerdings verliert Russland durchschnittlich vier Kampfpanzer und fünf gepanzerte Fahrzeuge täglich in der Ukraine.

Also könnte Russland erst bei einer Waffenruhe seine Reserve wieder aufbauen?

Dann wird es kritisch, ja. Derzeit verschlingt die Front in der Ukraine Russlands Reserven noch. Wenn sich das ändert, lässt sich schnell ausrechnen, wie lange es dauern wird, bis Russland eine einsatzfähige Invasionsarmee an der baltischen Grenze stehen haben wird. Im Augenblick erkaufen uns die tapferen Ukrainer Zeit. Zeit, die wir besser nutzen sollten.

Gegenwärtig hat der Kreml offensichtlich kein Interesse an einer Feuerpause, wie die sogenannten Verhandlungen in Istanbul und das ergebnislose Telefonat mit Trump danach gezeigt haben.

Das sind die üblichen russischen Verzögerungsmaßnahmen. Putin will die Spielregeln bestimmen. Für die Ukraine bedeutet das aber eine Chance, die Wolodymyr Selenskyj ja schon zu ergreifen gedenkt. Er ist nach Istanbul gekommen, während Putin irgendwelche Figuren aus der vierten Reihe geschickt hat. Wenn der US-Präsident zu der Ansicht gelangt, dass Putin ihn hinhält, dann könnte Trump wütend werden.

Herr Keupp, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Marcus Keupp via Videokonferenz
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