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Israel, Iran, und USA: Erhöht die Eskalation in Nahost die Bedrohungslage?


Bedrohungslage in Deutschland
"Anschläge sind dem Regime zuzutrauen"

InterviewVon David Schafbuch

24.06.2025 - 10:50 UhrLesedauer: 5 Min.
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Ajatollah Ali Chamenei: Wird das iranische Staatsoberhaupt Anschläge in Europa vorantreiben? (Quelle: Vahid Salemi/dpa)
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Erhöhen die Eskalationen im Nahen Osten die Terrorgefahr in Deutschland? t-online hat bei dem Sicherheitsexperten Hans-Jakob Schindler nachgefragt.

Verschiedene Politiker warnten in den vergangenen Tagen vor einer verschärften Gefährdungslage, etwa Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU). "Die abstrakte Gefahr ist durch die Entwicklung der letzten Stunden ohne Zweifel gestiegen", antwortete er vor einer Sitzung der CDU-Spitzengremien auf eine Frage nach der Gefahrenlage für jüdische und amerikanische Einrichtungen.

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Ähnlich äußerten sich auch die Politiker Roderich Kiesewetter (CDU) und Konstantin von Notz (Grüne) im "Handelsblatt": Beide Politiker rechnen angesichts der jüngsten Eskalationen im Nahen Osten mit Sabotageattacken, Cyberangriffen und einem erhöhten Aufkommen von Demonstrationen.

Am Montagmorgen bestätigten der Iran und Israel, dass man sich auf eine Waffenruhe geeinigt hat, die offenbar gebrochen wurde. Muss sich Deutschland trotzdem in Zukunft auf eine größere Bedrohung durch den Iran einstellen? t-online hat bei dem Terrorismusexperten Hans-Jakob Schindler nachgefragt.

t-online: Nach den jüngsten Eskalationen im Nahen Osten warnen deutsche Politiker davor, dass dadurch auch die Terrorgefahr hierzulande steigen kann. Teilen Sie diese Ansicht?

Hans-Jakob Schindler: Grundsätzlich schon, aber es gibt eine gute Nachricht: Die Zahl der Unterstützer des iranischen Regimes ist in Deutschland recht überschaubar. Etwa die regimetreue "blaue Moschee" in Hamburg, die direkte Kontakte zur Führung in Teheran hatte, wurde ja bereits verboten.

Aber?

Wir haben in Deutschland natürlich eine große Szene von Unterstützern der Hisbollah und der Hamas. Nach den Terroranschlägen vom 7. Oktober in Israel konnte man das in Deutschland wiederholt beobachten. Hinzu kommen Vertreter der extremen Linken, die sich teilweise mit der Hamas solidarisiert haben. Außerdem gibt es einen harten Kern von israelbezogenen Antisemiten. Mit diesem Milieu mussten wir in Deutschland schon immer umgehen.

(Quelle: Uli Sapountsis)

Zur Person

Hans-Jakob Schindler war bis 2018 Chefberater des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu unterschiedlichen Terrorgruppen und der Entwicklung der globalen terroristischen Bedrohung. Heute ist er Senior Director des Counter Extremism Project (CEP), einer internationalen gemeinnützigen Organisation, die extremistischen Bedrohungen entgegenwirkt.

Was hat sich durch die jüngsten Angriffe von Israel und den USA auf den Iran verändert?

Die Situation kann Einzelpersonen aus den verschiedenen extremistischen Milieus in Deutschland motivieren, Anschläge zu verüben. Wir haben aber auch in der Vergangenheit schon erlebt, dass die iranische Führung solche Terrorangriffe in Auftrag gab.

Zum Beispiel?

2012 wurde am bulgarischen Flughafen Burgas vom Iran mit der Unterstützung der Hisbollah ein Bus mit israelischen Touristen in die Luft gesprengt. 1992 wurden in Berlin vier iranische Exilpolitiker im Auftrag von Teheran erschossen. Anschläge sind dem Regime zuzutrauen, auch wenn es aktuell geschwächt ist. Denn die Leute, die für solche Angriffe infrage kämen, leben vermutlich schon in Deutschland. Der Iran verfügt über Kontakte, welche eingesetzt werden können. In den vergangenen Jahren kam noch eine weitere Entwicklung hinzu.

Welche?

Das iranische Regime hat zuletzt auch Kontakte mit der organisierten Kriminalität geknüpft. Das sehen wir zum Beispiel in Schweden. Solche Kontakte dienen dem Iran eigentlich dazu, Oppositionelle im Exil durch Gewalt unter Druck zu setzen. Aber es kann natürlich auch für viele andere Dinge – wie die Ausübung von Anschlägen – genutzt werden.

Welche Angriffe halten Sie für denkbar?

Komplexe Anschläge, etwa mit vielen bewaffneten Angreifern, halte ich für eher unwahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass es zu einer Attacke kommt wie jener 2024 in der Nähe Moskaus, bei der mehrere bewaffnete IS-Terroristen eine Konzerthalle gestürmt haben. Sollte das iranische Regime allerdings ins Wanken geraten, schließe ich nicht aus, dass man in Teheran auch seine Netzwerke im Ausland für Anschläge aktiviert.

Dabei heißt es doch, dass der Iran aktuell aufgrund des Krieges in seiner Handlungsfähigkeit begrenzt ist.

Die Gefahr geht auch eher von selbst motivierten Tätern aus. Also von Hisbollah-Sympathisanten oder Israel-Hassern. Direkte Attacken aus dem Iran sind denkbar, aber aktuell eher unwahrscheinlich.

Trotzdem hat die US-Regierung nach dem Angriff auf den Iran eine weltweite Sicherheitswarnung herausgegeben. Könnten auch Einrichtungen der USA in Deutschland ein mögliches Ziel sein?

Immer, wenn die USA militärisch tätig werden, rufen diverse Terrororganisationen zu Reaktionen auf. Deshalb ist es absolut nachvollziehbar, dass die US-Regierung einen solchen Warnhinweis veröffentlicht hat.

Die Lage in Deutschland hat offenbar auch das Sicherheitskabinett der Bundesregierung am Wochenende beschäftigt. Sollten die Vorkehrungen bei jüdischen und amerikanischen Einrichtungen jetzt verstärkt werden?

Am Ende ist es eine Ressourcenfrage. Man muss prüfen, ob gewisse Einrichtungen mit mehr Polizisten geschützt werden können. Auch Staats- und Verfassungsschutz sollten sich dem Thema stärker widmen, damit möglichst frühzeitig erkannt werden kann, ob es eine konkrete Bedrohungslage gibt.

Im Verfassungsschutzbericht des vergangenen Jahres wird an vielen Stellen auch auf den Iran Bezug genommen. Unter anderem heißt es dort, dass neben Russland, China und der Türkei das iranische Regime die intensivsten Spionageaktivitäten gegen Deutschland betreibt. Wie äußert sich das?

Wie jeder Diktatur geht es dem Iran zunächst um Aufklärung. Die iranische Führung will eigentlich immer wissen, was jeder seiner Staatsbürger in Deutschland macht. Daneben sammelt der Geheimdienst Informationen zu israelischen und amerikanischen Einrichtungen. Weiterhin betreibt der Iran, insbesondere im Cyberbereich, intensive Wirtschaftsspionage. Die deutsche Politik spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle.

Beschränkt sich der Geheimdienst nur auf die Gewinnung von Informationen?

Nein, es geht dem iranischen Geheimdienst nie nur darum, Wissen anzuhäufen. Wenn man weiß, wo sich gewisse Personen aufhalten und was diese tun, könnte man das auch für einen Anschlag nutzen.


Quotation Mark

Es geht dem iranischen Geheimdienst nie nur darum, Wissen anzuhäufen.


Hans-Jakob Schindler


Am Wochenende gab es in Berlin eine Demonstration, die den Sturz des Mullah-Regimes forderte. Eine solche Veranstaltung dürfte für den iranischen Geheimdienst von großem Interesse sein.

Teilnehmer solcher Veranstaltungen sind nie ungefährdet. Ich kann garantieren, dass einige der "Demonstranten" danach ihre Berichte für Teheran geschrieben haben. Aber wir sind aktuell noch weit davon entfernt, dass auf einer solchen Demonstration jemand gezielt getötet wird. Dafür müsste das iranische Regime mehr wackeln.

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Wackelt es nicht jetzt schon gewaltig?

Stimmt. Das Regime ist gerade sehr schwach, militärisch, wirtschaftlich und politisch. Aber die iranische Opposition ist ebenfalls schwach. Es gibt keine Einigkeit, keine Führungsriege und auch keine Vision, wohin sich das Land entwickeln soll. Die gesamte Macht liegt weiter bei den Klerikern und dem Sicherheitsapparat. Es ist auch nicht erkennbar, dass es zwischen den verschiedenen Machtzentren Unstimmigkeiten gibt. Daher ist das Regime gleichzeitig schwach, hat aber trotzdem noch die Kontrolle über die interne Situation.

Man könnte das Regime aber auch von außen stürzen: Die Regierungen in Israel und den USA haben zuletzt mehr oder weniger offen mit der Tötung des iranischen Führers Ajatollah Ali Chamenei gedroht.

Darauf müsste das Regime natürlich reagieren. In den vergangenen Tagen wurde aber von vielen Seiten übersehen, wie das iranische Regime funktioniert. Die geltende politische Ideologie im Iran wurde maßgeblich von Chameneis Vorgänger Ajatollah Khomeini geprägt. Bei seinem Tod 1989 gab es keinen designierten Nachfolger. Damals hieß es schon, das Regime sei am Ende. Aber es ging mit Chamenei einfach weiter. Das Regime hat etablierte Mechanismen, mit denen die Nachfolge des obersten religiösen Führers geregelt wird. Es handelt sich hier nicht um eine klassische Ein-Mann-Diktatur, bei der mit der Entfernung der zentralen Figur alles zusammenbrechen würde.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Hans-Jakob Schindler
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