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Nach EU-Beschluss: Neuwahlen, Krieg? Belarus steht am Scheideweg


Beschlüsse der EU
Krieg, Neuwahlen, Stillstand – was passiert nun in Belarus?

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 19.08.2020Lesedauer: 3 Min.
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Proteste in Minsk: Eine Demonstrantin umarmt einen Sicherheitsbeamten.Vergrößern des Bildes
Proteste in Minsk: Eine Demonstrantin umarmt einen Sicherheitsbeamten. (Quelle: Reuters-bilder)

Es klingt nach einem deutlichen Signal: Die EU erkennt das Wahlergebnis in Belarus nicht an. Doch muss Machthaber Lukaschenko nun wirklich seinen Sturz fürchten?

Die Reaktion der EU auf die Gewalt in Belarus ist ein typischer Kompromiss: Die Staats- und Regierungschefs erkennen einerseits das Wahlergebnis und damit die Wiederwahl von Alexander Lukaschenko nicht an. Die Abstimmung sei weder fair noch frei gewsen, sagte Kanzlerin Angela Merkel. Zusammen mit Sanktionen und finanziellen Hilfen für die Opposition ist das durchaus eine Bestrafung für die Gummiknüppelpolitik des belarussischen Machthabers.

Andererseits sehen die EU-Staaten die Proteste in der Ex-Sowjetrepublik nicht als geopolitisches, sondern als nationales Problem. Das ist ein deutliches Zugeständnis an Russland. Das Signal der EU: Wir halten uns weitgehend heraus. Die Kanzlerin drückte es so aus: "Belarus muss selbst seinen Weg finden."

Natürlich stimmt das nur halb. Denn die Folgen der Wahl haben längst eine geopolitische Dimension. Deshalb sind Russland und die EU ja überhaupt im Gespräch. Und im Fall von Belarus ist es nicht anders als bei Syrien, der Ukraine und Hongkong: Den wichtigen geopolitischen Akteuren geht es vor allem darum, ihre eigenen Interessen zu schützen. Und das kann dann eben auch heißen: lieber nicht einmischen.

Lukaschenko werden die Ergebnisse des EU-Gipfels vom Mittwoch eher nicht beeindrucken: So lange er außenpolitisch wenig zu befürchten hat, muss er innenpolitisch nicht unnötig nachgeben.

Trotzdem könnte dieser Mittwoch für die Belarussen auch Klarheit bringen: Sie wissen nun, dass der Erfolg der von ihnen begonnenen Revolution vor allem von ihnen selbst abhängt – und natürlich vom russischen Präsidenten Wladimir Putin, der deutlich mehr Druck auf den Autokraten in Minsk ausüben kann als die EU.

Aber welche Folgen könnten die Beschlüsse des EU-Gipfels haben? Was bedeuten sie? Ein Überblick:

  • Die EU-Staaten haben sich mit der Nichtanerkennung der Präsidentschaftswahl für ein eher größeres Geschütz entschieden. Die Bundesregierung sprach in den vergangenen Tagen noch von einer möglichen Überprüfung der Wahl. Das wäre die deutlich softere Variante gewesen.
  • Dass führende EU-Vertreter betonen, dass die Zukunft von Belarus in den Händen der Bevölkerung liegt, ist vor allem ein Zugeständnis an Russland. Moskau hatte vehement gefordert, dass sich die EU aus den inneren Angelegenheiten von Belarus heraushält.
  • Es ist ein eher positives Zeichen, dass die EU und Russland überhaupt über Maßnahmen gegenüber Belarus verhandelt haben. Der russische Außenminister Sergej Lawrow gab kurz vor der Bekanntgabe des Gipfelergebnisses zu, dass die Wahl in Belarus "natürlich nicht ideal gelaufen" sei. Der Zeitpunkt für das Statement ist kein Zufall, auch wenn es sich um eine Untertreibung handelt. Weil sie miteinander reden, könnten sich die EU und Russland wahrscheinlich auch über eine Forderung nach Neuwahlen verständigen.
  • Die EU beschließt, neben Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime, auch Hilfsgelder für die Opposition im Land. Auch wenn der Umfang mit zwei Millionen Euro überschaubar ist, dürfte Russland verärgert sein.

Welche ersten Konsequenzen haben die EU-Beschlüsse?

  • Der Fokus liegt nun wieder auf den Ereignissen in Belarus selbst, die ersten Reaktionen auf die Strafmaßnahmen folgten prompt: Machthaber Lukaschenko sieht sich nun zum Handeln gezwungen und will seine Macht wahrscheinlich möglichst schnell wiederherstellen und festigen.
  • Dazu gab er bereits bekannt, dass er die Unruhen in Minsk nun endgültig beenden wolle. Sollte seine Anweisung an das belarussische Innenministerium umgesetzt werden, ist eine erneute Eskalation der Lage wahrscheinlich.
  • Obwohl Lukaschenko in den vergangenen Tagen öffentlich über Neuwahlen nachdachte, scheint er diese diese Option nicht weiterzuverfolgen. Der belarussische Machthaber will sich offenbar möglichst bald für eine weitere Amtszeit vereidigen lassen. Dies teilte die Wahlkommission des Landes laut russischer Nachrichtenagentur Tass am Mittwoch mit.
  • Einen Plan für den dringend benötigten Dialog zwischen Präsident und Demonstranten gibt es bislang nicht. Trotzdem existiert auch ein kleiner Hoffnungsschimmer: Erstmals sind belarussische Behörden auf die Opposition zugegangen. In der Stadt Grodno an der Grenze zu Polen habe die Verwaltung einige Forderungen der Demonstranten akzeptiert, hieß es.

Die Strategie von Lukaschenko dürfte mit dem heutigen Tage klarer sein: Er will seine Macht möglichst schnell festigen, um die EU-Strafmaßnahmen einfach auszusitzen. Sein Kalkül: Wenn er erst einmal als Präsident vereidigt ist, wird die EU irgendwann auch wieder mit ihm reden. Damit wäre die Nichtanerkennung der Wahl durch die Europäer am Ende Makulatur.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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