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Ukraine-Invasion: "Dann gibt es eine riesige Flüchtlingswelle"


Invasion der Ukraine
"Dann gibt es eine riesige Flüchtlingswelle"

  • Bastian Brauns
InterviewVon Bastian Brauns, Washington

16.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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Eine Frau in ihrem zerstörten Haus: "Wenn es wirklich eine Invasion gibt, dann gibt es eine riesige Flüchtlingswelle."Vergrößern des Bildes
Eine Frau in ihrem zerstörten Haus: "Wenn es wirklich eine Invasion gibt, dann gibt es eine riesige Flüchtlingswelle." (Quelle: Alexander Ermochenko/Reuters-bilder)

Mit 17 Jahren zog der Ukrainer Pavlo Hrosul nach Deutschland. Heute sorgt er sich um seine alte Heimat – und organisiert Proteste gegen Moskaus aggressive Politik.

Schon mit 15 Jahren war Pavlo Hrosul Vorsitzender der ukrainischen Jugendorganisation "Foundation of Regional Initiatives" (FRI). Dann wanderte er zum Studium nach Deutschland aus. Gelebt hat er in Bonn, Berlin und Gießen und organisierte Aktionen für die Maidan-Proteste von 2013. Heute arbeitet er in Köln und versucht im Konflikt mit Russland, seine Landsleute in der Ukraine so gut es geht zu unterstützen.

t-online: Herr Hrosul, welche Verbindung haben Sie zur Ukraine?

Pavlo Horsul: Die Ukraine ist mein Heimatland und ich liebe es. Ich bin verliebt in die breiten, gelben Felder und in den hellblauen Himmel. In die wunderschönen Landschaften von den Karpaten bis zum Donbas, von Kiew bis zur Krim. In die einzigartigen und positiven Menschen. Das alles zeichnet uns aus, das alles ist die Ukraine.

Das klingt, als wären Sie mit dem Herzen noch immer dort.

Egal, wo wir leben, so werden wir immer an die Ukraine denken. Dort wurde ich vor 28 Jahren geboren. In Czernowitz, im Westen, bin ich zur Schule gegangen. Heute lebe ich in Bonn und arbeite für Kölns ersten Bürgermeister, Andreas Wolter. Die ukrainische Staatsbürgerschaft habe ich nach wie vor. Mit vielen meiner Verwandten und Freunde habe ich regelmäßig Kontakt.

Verfolgen Sie derzeit jede einzelne Nachricht zur Ukraine oder versuchen Sie das von sich fernzuhalten?

Es gab Zeiten, in denen ich das alles nicht mehr lesen wollte. Es war einfach nur zu viel. Aber ja, im Moment versuche ich, so viel zu lesen wie möglich – ukrainische Nachrichten, deutsche und US-amerikanische. Am liebsten aus allen politischen Spektren, um ein möglichst vollständiges Bild zu bekommen. Zum Wochenende hin plane ich eine Demonstration in Düsseldorf, um auf die Situation hinzuweisen.

Was passiert mit Ihnen, wenn Sie lesen, dass Russland laut Berichten von US-Geheimdiensten heute seine Invasion gegen die Ukraine starten will?

Ich will ehrlich sein. Alle in der Ukraine haben Angst. Alle haben diese Befürchtung. Auch wenn es die Aufgabe der Regierung ist, die Panik zu vermeiden und beruhigend zu wirken. Aber Ukrainer sind Kämpfer und wir geben nie einfach so auf. Das heißt, wir werden weitermachen, bis wir siegen.

Befürchten Sie denn, selbst wenn der russische Präsident Wladimir Putin sich dafür entscheiden sollte, dass er die Ukraine schnell einnehmen könnte?

Putin kann insbesondere im Osten der Ukraine, also in Donezk und Luhansk, noch mehr Krach machen als bisher. Er kann versuchen, sich damit beim Westen noch mehr Gehör zu verschaffen und noch ein bisschen mehr Angst und Panik zu säen. Die Hauptstadt Kiew liegt nah an der Grenze und wäre ein leichtes Ziel, ist aber auch nicht so leicht, wie man es denkt. Russland kann so ein großes Land unmöglich mal eben einnehmen. Mehr als 40 Millionen Menschen leben dort. Es würde ständig Unruhen geben. Das weiß der Aggressor auch. Es geht ihm aber auch nicht um die Ukraine.

Sondern?

Wenn ich mir die Kommunikation des Westens und von Russland in diesen Tagen ansehe, dann wirkt das vielmehr wie ein Stellvertreterkrieg, auch wenn es noch kein Krieg ist. Es geht ganz klar um die Beziehungen zwischen Russland und den USA, sowie deren Einfluss in Europa, vor allem in den post-sowjetischen Staaten. Moskau betrachtet die Staaten wie die Stücke eines eigenen leckeren Kuchens.

Es geht offensichtlich um Einflusssphären. Der deutsche Bundeskanzler sagte gestern in Moskau, der Nato-Beitritt der Ukraine sei aktuell kein Thema. Sehen Sie das auch so?

Ich denke, es muss jetzt eine Entscheidung geben. Entweder wir werden aufgenommen oder nicht. Dass die Biden-Administration und der Westen derzeit versuchen, diese Frage auf vielleicht irgendwann zu vertagen, ist weder glaubwürdig, noch löst es das Problem. Die Ukrainer wollen diese Entscheidung, um sich darauf einstellen zu können. Wir brauchen die Nato und ihre militärische Hilfe heute und jetzt und nicht irgendwann. Darum brauchen wir Klartext, auch von Deutschland.

Inwiefern von Deutschland?

Deutschland liefert Waffen in viele Länder und Regionen der Welt, auch in aktive Kriegsregionen. Und jetzt gibt es plötzlich moralische Bedenken, bei einem Land wie der Ukraine, einer Demokratie, die sich in Richtung Westen orientieren möchte. Man muss sich in Deutschland auch eines klarmachen: Wenn es wirklich eine Invasion gibt, dann gibt es eine riesige Flüchtlingswelle. Es geht, wie gesagt, um mehr als 40 Millionen Menschen. Die Ukraine braucht heute Hilfe und bittet um Waffen, um sich zu verteidigen. Jeder souveräne Staat darf sich verteidigen und die Ukraine gehört dazu.

Aber längst nicht alle Ukrainer wollen sich nach Westen orientieren, oder?

Ich habe bereits nach den Maidan-Protesten 2013 und nach der Krim-Annexion 2014 den Eindruck gewonnen, dass selbst Freunde von mir, die Russland gegenüber sehr aufgeschlossen waren und von der EU nichts wissen wollten, plötzlich anders denken und der EU aufgeschlossener gegenüberstehen. Seitdem ist ein Gefühl entstanden, das die allermeisten von uns verbindet: Wir sind eine Nation und für die wollen wir kämpfen. Putin hat also genau das Gegenteil erreicht. Er wollte die Ukraine spalten.

Erst gestern hat Putin wieder davon gesprochen, in der Ostukraine finde ein Genozid gegen die russischsprachige Bevölkerung statt.

Im Kreml läuft eine riesige Maschinerie aus Desinformation und Propaganda. Das ist dasselbe Märchen, das er schon beim letzten Mal als Vorwand für seinen Angriff genommen hat. Ich würde Herrn Putin gerne fragen, was er zu Russlands Genozid unter dem Diktator Stalin in den 1930er-Jahren zu sagen hat. Dass man damals Millionen Ukrainer verhungern ließ, wird bis heute nicht als historischer Fakt anerkannt.

Das ist lange her ...

Aber auch heute vernichten terroristische Gruppierungen wie "LNR-DNR" in der Ostukraine alles und jeden, der ukrainisch ist. Das Ergebnis sind viele Tausende zivile Tote. Herr Putin möchte diese terroristischen Gruppierungen anerkennen und wirft der Ukraine "Genozid" vor? Er ist es, der einen Genozid im 21. Jahrhundert unterstützt.

Viele Menschen in Deutschland sind vor allem westeuropäisch geprägt. Wie viel Unterstützung spüren Sie für die Ukraine im Osten Europas?

Es kommt darauf an, in welchen Kreisen man sich bewegt. Aber ich spüre eine gewisse Müdigkeit. Vielleicht liegt das auch an der Pandemie. Ich kann das sogar verstehen, auch wir Ukrainer sind müde. Aber bei den Maidan-Protesten war die Anteilnahme für den Mut und den Kampf um den demokratischen Fortschritt viel deutlicher zu spüren.

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Derzeit gibt es immerhin zarte Anzeichen einer diplomatischen Annäherung. Macht Ihnen das Hoffnung?

Ich glaube, wir stecken noch immer in diesem Ost-West-Konflikt. Er kommt einfach zurück. Wie in den 1980er-Jahren werden wir noch eine große Konfrontation erleben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass all das in diesem Jahr abgeschlossen sein wird. Der Ukraine-Konflikt wird leider noch Jahre dauern. Aber wie gesagt: Wir hören nicht auf, zu kämpfen. Darin sind wir vereint.

Herr Hrosul, wir danken für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Video-Interview mit Pavlo Hrosul
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