Gefahr für Putins Kriegswirtschaft? Russlands Kohleindustrie befindet sich im freien Fall

Vor Russlands Wirtschaft türmen sich die Probleme auf. Besonders betroffen: die Kohleindustrie. Dutzende Betriebe stehen vor dem Aus und damit die Wirtschaft ganzer Regionen.
In immer mehr Sektoren der russischen Wirtschaft gibt es Anzeichen einer sich anbahnenden Krise. Banken sorgen sich vor einer steigenden Zahl "fauler Kredite", viele Unternehmen stecken in Zahlungsschwierigkeiten. Und selbst die in den vergangenen Jahren stark geförderte Rüstungsindustrie hat mit Engpässen bei Personal und Material zu kämpfen. Die größte Geldquelle Russlands – rund 25 Prozent des Staatshaushalts – sind Energieexporte, doch auch beim Öl und Gas schrumpften die Einnahmen zuletzt deutlich.
Bereits mitten in der Krise steckt jedoch ein ehemals prestigeträchtiger Industriezweig Russlands: die Kohle. Aufgrund weltweit sinkender Preise und westlicher Sanktionen ist die russische Kohlewirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs gerutscht.
Die Situation ist derart dramatisch, dass selbst in Propaganda geschulte hochrangige Politiker offenbar keine beschönigenden Worte mehr finden. Obschon es unwahrscheinlich ist, dass der russische Kohlesektor die gesamte Wirtschaft mit in den Abgrund reißt, muss Putin angesichts der Lage innenpolitische Querelen befürchten.
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51 russische Kohlebetriebe in der "roten Zone"
Russlands Vize-Energieminister Dmitri Islamow machte die komplexe Situation Mitte Juli deutlich: "Zum Jahresende 2024 beliefen sich die Verluste auf 112,6 Milliarden Rubel (rund 1,2 Milliarden Euro, Anm. d. Red.), und die Lage verschlechtert sich leider weiter." Den Angaben des Ministeriums zufolge befinden sich aktuell 51 Betriebe der Kohleindustrie "in der sogenannten roten Zone". Anfang 2024 hatte Russland 179 aktive Kohlebetriebe. Islamow zufolge sind die bedrohten Bergwerke und Tagebaue entweder stillgelegt oder stehen kurz davor.
Dass der Kreml alarmiert ist, zeigen auch erste Rettungsmaßnahmen, die die russische Regierung ergreift. Mitte Juli hat sie ein 63 Milliarden Rubel (rund 666 Millionen Euro) schweres Rettungspaket für die Kohleindustrie auf den Weg gebracht. Außerdem sollen Kohleunternehmen Zahlungen von Mineralgewinnungssteuern und manchen Versicherungsbeiträgen bis Ende November aufschieben.
Region Kemerowo in Sibirien ist besonders betroffen
Ferner greift der Kreml gezielt Betrieben in Sibirien unter die Arme: Die dort ansässigen Firmen können einen Teil der Kosten für den Export von Kohle in den Nordwesten und Süden des Landes erstattet bekommen. Einige erhalten sogar Subventionen zur Deckung der Logistikkosten für Fernstrecken. Diese auf bestimmte Regionen zugeschnittenen Hilfen offenbaren die große Gefahr, die hinter einem möglichen Kollaps der Kohleindustrie auf Putin wartet.
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Ganze Landstriche sind vom Abbau und Weiterverarbeitung des natürlichen Rohstoffs abhängig. Allein in der Region Kemerowo im Westen Sibiriens wird mehr als die Hälfte der russischen Kohle produziert. Laut der Zeitung "The Moscow Times" sind rund 30 Städte auf die Kohlewirtschaft angewiesen. Sollte dieser russische Industriezweig zusammenbrechen, wäre es das wirtschaftliche Aus für viele Menschen und Regionen.
Gut die Hälfte der russischen Kohleproduktion wird im Inland verbraucht, vor allem zur Energiegewinnung. So machte Kohle als Energieträger im Jahr 2023 knapp 13 Prozent der russischen Stromproduktion aus. Laut Planungen des Kremls wird das wohl auch bis 2050 noch in etwa so bleiben.
Russlands Kohle kämpft mit Problemen auf dem Weltmarkt
Die Bedeutung der Kohle für die russische Wirtschaft ist nicht von der Hand zu weisen. Aktuell arbeiten etwa 146.000 Menschen in Russland in der Kohleindustrie. Bis etwa 2023 war dieser Wirtschaftszweig auch noch rentabel. Dann aber ließen sich die Ausfälle, bedingt durch westliche Sanktionen, nicht mehr auffangen. Noch 2021 verkaufte Russland 22,6 Prozent seiner Kohle in die EU.
Seit August 2022 ist das Embargo auf russische Kohle in Kraft. In Asien findet Russland weiterhin Abnehmer. Doch die dortigen Betriebe kaufen die Kohle nur noch mit für Moskau ungünstigen Rabatten.
Hinzu kommt, dass große Kohlekonsumenten wie China und Indien in den vergangenen Jahren die eigene Produktion deutlich angekurbelt haben. Gleichzeitig geht der globale Trend hin zu erneuerbaren Energien und weg von fossilen Energieträgern. Beide Faktoren lassen die Preise auf dem Weltmarkt weiter sinken.
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Ende 2022 kostete eine Tonne Kohle dort noch rund 400 US-Dollar, mittlerweile liegt der Preis bei knapp unter 100 US-Dollar. Laut der russischen Zeitung "Vedomosti" bekommt Russland für seine Exporte nur rund 69 US-Dollar pro Tonne. Die Produktion und der Transport des Rohstoffs aus entlegenen Regionen kosten oft mehr, auch weil die Infrastruktur mangelhaft ist. Russland macht also Verluste.
Regionale Wirtschaftskrisen können Putin vor Probleme stellen
Der russische Ökonom Wladimir Inosemzew bezeichnete die Situation im Gespräch mit der Zeitung daher auch "eher als soziales denn finanzielles Problem". Die wahre Herausforderung der Krise sei, "schnell eine neue wirtschaftliche Rolle für die Region Kemerowo zu finden", so Inosemzew. "Konzentrierte Unzufriedenheit in bestimmten Berufsgruppen oder Regionen stellt für die Behörden ein größeres Risiko dar als die allgemeine Frustration der Bevölkerung über den sinkenden Lebensstandard."
Beobachter sind sich jedoch auch darüber einig, dass der derzeit zur Rettung der Kohleindustrie eingeschlagene Weg des Kremls langfristig immer höhere Kosten nach sich ziehen wird. Denn die bisher ergriffenen Maßnahmen gehen nicht die drei Grundprobleme der Kohleindustrie an: fehlende globale Nachfrage, schlechte Infrastruktur und die westlichen Sanktionen.
Diese Entwicklungen treffen Russland in einem ungünstigen Moment. Insgesamt hatte die russische Wirtschaft den westlichen Sanktionen der vergangenen Jahre stabil standgehalten. Getragen wurde die Konjunktur jedoch vor allem vom Rüstungssektor. Nun aber fehlt es in Russland an Arbeitskräften, um das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig stieg die Inflation zuletzt auf teils über zehn Prozent.
Mitte Juli beschloss die EU zudem ihr 18. Sanktionspaket gegen Russland, das vor allem auf den Öl- und den Finanzsektor abzielt. Bis das Paket Wirkung zeigt, wird noch einige Zeit vergehen. Leichter wird die Situation für Putin indes nicht.
- themoscowtimes.com: "Russia’s Coal Industry Is Collapsing. Will it Drag the Economy Down With It?" (englisch)
- jamestown.org: "Kremlin Addressing Symptoms Instead of Causes of Coal Industry Downturn" (englisch)
- 1prime.ru: "В России ожидают снижения числа сотрудников угольной отрасли к 2027 году" (russisch)
- vedomosti.ru: "Президент одобрил меры поддержки угольной отрасли" (russisch)
- mqworld.com: "Sanctions Are Crushing Russia’s Coal Industry" (englisch)
- united24media.com: "Russia’s Coal Industry Crisis Deepens: 51 Mines Face Closure Amid $1.3B Losses" (englisch)