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Sphinx im Brexit-Sturm: Theresa May macht die gleichen Fehler wie Merkel


Theresa May macht die gleichen Fehler wie Merkel

  • Gerhad Spörl
Eine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 30.07.2018Lesedauer: 5 Min.
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Theresa May: Großbritanniens Premierministerin managt den Brexit, ohne sich und ihren Kurs zu erklären.Vergrößern des Bildes
Theresa May: Großbritanniens Premierministerin managt den Brexit, ohne sich und ihren Kurs zu erklären. (Quelle: Matt Dunham/ap-bilder)

Theresa May erinnert in vielem an Angela Merkel. Auch in der Art, wie die Premierministerin den Brexit managt, erkennt man die Methode der Kanzlerin – und auch ihre Fehler.

Theresa May ist relativ groß, geht leicht gebückt, wirkt ernsthaft und scheu. Am Wochenende kauft sie selber ein und bleibt ihrem Friseur seit Ewigkeit treu. In Konferenzen sitzt sie da, hört zu, schaut um sich, sagt wenig, verunsichert damit vor allem die Männer in ihrer Umgebung. Sie gilt als Sphinx, als eine Frau, von der niemand weiß, was sie wirklich denkt und wirklich will. Sie hat nur wenige Vertraute und hält nichts von großen Reden, nichts von Blut, Schweiß und Tränen.

Erinnert sie uns an jemanden? Angela Merkel wird samstags schon mal im KaDeWe gesichtet und hat ihre festen Rituale. In einem Interview hat sie einmal über die Macht des Schweigens philosophiert – wie sie zuhört, Argumente sammelt, sich allmählich eine Meinung bildet und sie am Ende knapp formuliert. Kurz gesagt, lässt sie die Männer ihre Räder schlagen und sobald die erschöpft davon sind, sagt sie bündig, was sie zu sagen hat.

Auch Angela Merkel verschließt ihre Überzeugungen in ihrem Herzen. Auch sie begründet ihr Handeln und Denken zu selten, was ihr spätestens seit der Ankunft der Flüchtlinge im Jahr 2015 zum Nachteil gereicht. Schweigen ist eine Waffe, das schon, aber Schweigen zum falschen Zeitpunkt führt zur Selbstschwächung.

Wortkarg in der Krise

Theresa Mays Wortkargheit ist in dieser Lage Großbritanniens besonders fehl am Platze. Der Brexit ist ein gewaltiges Unternehmen, historisch beispiellos. Von Theresa May wird erwartet, dass sie den Ausstieg aus der Europäischen Union nicht nur managt, sondern ihm auch eine Sprache gibt – ein Narrativ. Damit ist das Einbinden des Geschehens in einen verständlichen Zusammenhang gemeint, der den Bürgern einleuchtet.

Wahrscheinlich würde es genügen, wenn Theresa May wie Angela Merkel sagen würde: Wir schaffen das. Oder mit Barack Obama: Yes, we can. Etwas Erhebendes, Mut spendendes, na klar, denn Bammel vor dem Exit haben ja alle – die, die raus wollen, genau so wie die, die am liebsten drin blieben.

In vielen europäischen Ländern ist ein Quantum an Irrsinn ausgebrochen, von Polen über Ungarn oder Tschechien nach Italien und gewiss auch in Deutschland. Am weitesten aber haben es die Briten im Juni vor zwei Jahren getrieben, als 17,4 Millionen von ihnen für den Brexit stimmten, genau 51,89 Prozent der Abstimmenden. Eine lächerlich geringe Mehrheit sorgt für eine weitreichende Entscheidung, die der Europäischen Union das Novum eines abtrünnigen Landes beschert und Großbritannien entscheidend schwächen wird, ökonomisch wie politisch.

Niemand kämpfte so richtig gegen den Brexit

51,89 Prozent. Da liegt der Gedanke nahe, ob da nicht eine Zufallsmehrheit zusammen gekommen ist. Aber das angelsächsische Wahlrecht sagt dazu nur: Der Sieger ist der Sieger, egal wie knapp, und der Verlierer ist der Verlierer, egal wie knapp.

Der Ausgang war eine Überraschung. Niemand hatte sich bemüßigt gefühlt, das Schlimmste zu verhindern. Keine Partei setzte sich aus Überzeugung für das Verweilen in der EU ein. Absurderweise gab der Premierminister David Cameron seinen Ministern sogar freie Hand, dafür oder dagegen zu sein. Wofür oder wogegen er selber war, erschloss sich den Briten auch nicht.

Die Halbherzigen unter den Rechten wie den Linken begnügten sich mit Händeringen. Die wilde Leidenschaft war bei den besessenen Freunden des Ausstiegs und wie es eben so ist, rissen sie etliche Unschlüssige und Unentschiedene mit sich und gewannen am Ende. Ein Trauerspiel sondergleichen.

May bekam zunächst den Beifall der Clowns

Theresa May war irgendwie für den Verbleib, aber auch irgendwie dagegen. Sie war ein Chamäleon. Zweideutigkeit kann ja für eine Weile hilfreich sein, aber in diesem Fall war sie destruktiv. Deshalb ist ihre Autorität als Premierministerin nie sehr ausgeprägt gewesen und bröckelt seither langsam vor sich hin.

In den ersten Monaten gab sie sich hart und siegesgewiss. Lieber gar kein Deal mit der EU als ein schlechter, sagte sie markig. Den erwünschten Beifall der Clowns bekam sie. Denn nichts anderes sind ihre Parteifeinde Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg. In London heißen solche Leute „interessante Persönlichkeiten“. Gemeint ist damit, dass sie snobistische Spieler und exzentrische Gemüter aus reichem und bestem Haus sind, die aus Jux und Dollerei am Abgrund balancieren, weil ja eh die anderen abstürzen, wenn es schlecht kommt, und nicht sie.

Die Clowns werfen Theresa May Verrat vor. Denn mittlerweile hat sie sich dazu durchgerungen, doch nicht aufs Ganze zu gehen. Zwar will sie die EU weiterhin verlassen, aber zugleich ein bisschen drin bleiben. Nicht mehr Binnenmarkt, nur noch Zollunion.

Rebellion gegen die Entmachtung

Der Brexit ist ein unfassbar schwieriges Unternehmen. In den 45 Jahren seiner Mitgliedschaft hat Großbritannien Tausende europäische Gesetze und Regeln übernommen, von der Gleichbezahlung von Mann und Frau bis zur Behandlung des Samens bestimmter Pflanzensorten. Die Europäische Union hat die Tendenz zum Entnationalisieren ihrer Mitgliedsstaaten, so ist das nun einmal. Aber gegen die Entmachtung rebellierten jene 51,89 Prozent der Briten.

Nun glauben sie, sie bekämen ihr Land und ihre Freiheit zurück und könnten bilateral Handel treiben, mit wem sie wollen, ohne schlechter dran zu sein als jetzt. Darin hat sie Donald Trump bestärkt und May zudem geraten, die EU zu verklagen, anstatt mit ihr zu verhandeln. Auf welcher Grundlage und zu welchem Zweck?

Zu den Fakten gehört, dass Großbritannien im Jahr 2016 das Land mit der am stärksten wachsenden Wirtschaft war. Heute wächst sie am langsamsten. Unternehmen drosseln ihre Investitionen, überdenken den Standort, warten ab, was die Regierung macht. London ist das Zentrum des europäischen Finanzmarktes, das schon – noch. Frankfurt freut sich schon über Zuzug.

Briten geht es in jedem Fall schlechter

Die Regierung May schätzt, dass jeder Brexit die Briten in jedem Fall schlechter stellen wird. Bleibt das Land der EU assoziiert, fallen die Nachteile vergleichsweise bescheiden aus. Kappt Großbritannien aber alle Leinen, wird das Bruttosozialprodukt um etwa acht Prozentpunkte sinken, worunter viele Briten leiden werden. Deshalb ist es richtig, die Folgen einzudämmen und eine Zollunion mit der EU zu bilden, wie es Theresa May vorschlägt und vielleicht sogar durchhält. Kompromisse sind schlecht für Clowns, aber gut für das Land.

Wie Angela Merkel ist Theresa May geschwächt. Die Deutsche hat Machos wie Seehofer und Söder gegen sich. Die beiden sind aber harmlose Geschöpfe im Vergleich zu den Snob-Clowns, mit denen sich die Britin herumschlagen muss. Wir sollten uns wünschen, dass Theresa May standfest bleibt und ihr Land (und uns) vor solchen Leuten bewahrt.

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