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Großbritannien und Europa: Der Brexit ist nicht mehr aufzuhalten


Großbritannien und Europa
Der Brexit ist nicht mehr aufzuhalten

  • Gerhad Spörl
MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 08.10.2018Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Theresa May, Premierministerin von Großbritannien: Die Clowns um Boris Johnson wollen ihr die Macht entwinden.Vergrößern des Bildes
Theresa May, Premierministerin von Großbritannien: Die Clowns um Boris Johnson wollen ihr die Macht entwinden. (Quelle: Aaron Chown/dpa-bilder)

Die meisten Briten wissen inzwischen, dass der Brexit keine gute Idee ist. Es findet sich nur niemand, der daraus die Konsequenzen zieht.

Viele Briten träumen noch immer davon, dass sie den Austritt aus der Europäischen Union verhindern können, irgendwie. Viele Europäer hoffen darauf, dass es nicht so weit kommt, irgendwie.

Nur die Briten könnten den Brexit verhindern, zum Beispiel durch ein zweites Referendum, das sich rechtfertigen ließe, weil ja nun zwei Jahre vergangen sind und die Folgen auf das Bruttosozialprodukt, die Londoner City und das Wirtschaftswachstum abzusehen sind: nicht nett, nicht vorteilhaft, keine Befreiung, eher eine Selbstamputation.

Allerdings gibt es keine politische Partei, die den Mut und die Kraft aufbringen würde, den Briten zu sagen: sorry, Leute, war nur so eine Idee, aber wir lassen es besser sein.

Wer sich auf Labour verlässt, ist verlassen

Anti-europäisch ist die Labour Party schon seit Jahrzehnten und unter Jeremy Corbyn hat sich daran nichts geändert, im Gegenteil. Labour baut auf Neuwahlen und will die Regierung übernehmen, womit der ganze Schlamassel von vorne beginnen würde: neue Regierung, neue Vorstellungen, neue Verhandlungen.

Von den Konservativen ist gar nichts zu erwarten. Theresa May verfügt über eine minimale Mehrheit, jedenfalls nach britischen Maßstäben, die ihr die Unionisten aus Nordirland garantieren. Ihr Maximum ist es, an der Macht zu bleiben, die ihr die Clowns um Boris Johnson entwinden wollen. Wer solche Parteifreunde hat, ist restlos bedient und sehnt sich nach seriösen Feinden.

Die Briten hatten immer schon ein seltsames Verhältnis zu Europa. Auf ihrer Insel fühlen sie sich uns fern und nah zugleich. Sie sind ein Teil davon, aber auch nicht. Mal so, mal so, je nachdem, wie es gerade passt.

London ergriff nach 1945 die Initiative

In früheren Jahrhunderten gingen die Briten ihren Geschäften nach, bauten ihr Imperium auf und sorgten mit kluger Diplomatie dafür, dass Frankreich, Deutschland und Russland kein Dreierbündnis gegen ihr Land eingingen. Mit dem Weltreich war es nach dem Zweiten Weltkrieg vorbei. Die Unabhängigkeit für Indien bedeutete die restlose Ankunft Großbritanniens in Europa.

Fast logisch, dass in den ersten Jahren nach 1945 die Initiative für ein geeintes Europa erst einmal von London ausging: neue Gegebenheiten, neue Perspektive. Mein Sohn hat seine Magisterarbeit darüber geschrieben, die ich mit Vergnügen gelesen habe. Es war der Schwiegersohn Winston Churchills, Duncan Sandys, der die Internationale Europäische Bewegung gründete, das war ein Zusammenschluss für ein vereintes, föderales Europa, das auf Frieden, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Solidarität und auf der Beteiligung der Bürger beruhte. Am 25. Oktober 1948 wurde die Organisation in Brüssel gegründet, 39 europäische Länder gehörten ihr an. Auf zahlreichen Konferenzen entstanden damals Ideen, die heute europäisches Gemeingut sind.

Churchill selber hielt in Zürich eine Rede, die in die Geschichtsbücher Eingang fand. Darin sagte er, der Friede auf dem Kontinent hänge auch davon ab, dass Deutschland und Frankreich sich miteinander versöhnten. Großbritannien geht voran! Großbritannien verknüpft sein Schicksal mit Europa!

So sah es aus. Blieb aber nicht so.

Seltsame Mischung aus Dabeisein und Draußenbleiben

Wenige Jahre später, das war 1957, gründete sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Und wer gehörte nicht dazu? Großbritannien. Wollte nicht, schaute zu, wartete ab. Erst 1973 trat das Land drüben auf der Insel dem Klub bei. 1975 gab es darüber eine Volksabstimmung, solide Mehrheit dafür: 64 Prozent. Immerhin.

Also war Großbritannien jetzt offiziell ein Teil Europas. Aus Pragmatismus und immer mit der Botschaft: Ihr braucht uns, aber wir brauchen euch nicht. Seither hat die seltsame Mischung aus Dabeisein und Draußenbleiben Tradition. Einerseits ja und andererseits nein. Nicht zu viel, eher zu wenig. Tony Blair fühlte Anfang der Nullerjahre vor, ob sein Land den Euro einführen könnte: wollten die Briten nicht, war ihnen zu viel. Sie machten mit, wo es ihnen Nutzen brachte und machten nicht mit, wenn sie sich gemein machen sollten.

In Großbritannien sind die Linke und die Gewerkschaften seit Langem notorisch anti-europäisch eingestellt. Das wurde um so schlimmer, je mehr EU-Ausländer ins Land strebten und Konkurrenz für die Einheimischen bedeuteten: polnische Klempner, deutsche Ärzte, spanische Krankenschwestern. Sie durften sich im Land visumfrei nach EU-Recht aufhalten.


Die Rechte blieb jahrzehntelang moderat europageneigt. Selbst Margaret Thatcher, die ihre Interessen hart vertrat, dachte nicht an einen Brexit. Hätte sich daran nichts geändert, müssten wir heute nicht über den erstmaligen Auszug eines Mitgliedslandes aus der Europäischen Union reden. Daran änderte sich aber was.

Es war folgerichtig, dass wieder ein Referendum über die Zugehörigkeit zur Europäischen Union entscheiden sollte, 41 Jahre nach dem letzten. Neu war, dass die konservative Regierung unter David Cameron neutral blieb, weil der Riss jetzt durch die eigene Partei ging und die Nationalisten der Ukip im Aufschwung waren. Neu war auch, dass die Angst der Briten vor Europa etwa so stark war wie die der neuen deutschen Rechten vor dem Islam. Niemand glaubte ernsthaft daran, dass eine Mehrheit für den Brexit stimmen würde. Tat es aber, knapp, mit 51,9 Prozent, aber Mehrheit ist in der Demokratie nun mal Mehrheit.

Was niemand glaubte, trifft neuerdings zuverlässig ein

Wie es in Großbritannien zum Brexit kam, so kam es in Amerika zu Trump und in Italien zur Regierung aus Clowns und Faschisten. Boris Johnson wäre die idealtypische Kombination aus Trump und Clowns/Faschisten. Er ist auch so ein Großmaul, liebt radikale Lösungen und hasst Kompromisse.

So ist der Brexit nicht mehr aufzuhalten. In den nächsten Wochen gehen die Verhandlungen mit Brüssel weiter. Im November steht dann ein Brexit-Gipfel an, über dessen Ergebnisse das britische Parlament befinden wird, und Ende März 2019 wird Europa um ein Mitgliedsland ärmer.

Großbritannien ist in der EU ein Nettozahler: Es zahlt mehr ein, als es herausbekommt. Rund 30 Milliarden Euro werden künftig im Brüsseler Budget fehlen, aufzubringen von den anderen Ländern. Mehr noch verlieren die nordischen Länder, wozu im EU-Sprachgebrauch neben Skandinavien auch noch die Niederlande und Deutschland gehören: ohne Großbritannien keine Hegemonie.

Nur noch die besten und klügsten Ausländer

In der Konservativen Partei tobt der Machtkampf zwischen der Boris-Johnson-Kamarilla und der Theresa-May-Gefolgschaft. Harter Brexit oder weicher ist die Alternative. Hart heißt: ganz raus aus der EU, Zahlungsverpflichtungen (um die 60 Milliarden Euro) ignorieren. Hurrah for Little England!

Weicher Brexit heißt: raus aus der Zollunion und dem Binnenmarkt, aber weiterhin ein gemeinsames Zollgebiet mit der EU und zwar für Güter, Lebensmittel und Agrarprodukte, nicht aber für Dienstleistungen. Die Logik ist: raus, aber noch ein bisschen drin bleiben. Und fortan sollen nur noch die besten und klügsten Ausländer auf die Insel dürfen.

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Darum ging es vor zwei Jahren beim Referendum. Zu viel Europa im Land. Nach zu viel Jamaikanern und Pakistanern und Indern und Afghanen und wer auch immer aus den früheren Kolonien nach Großbritannien einwandern durfte. Sie sind da, sie bleiben da, sie haben ein Recht darauf.

Europäer kann man rauswerfen

Die Europäer aber kann man rauswerfen und draußen halten. Das Referendum war eine nationalistische Ersatzhandlung ohne Rücksicht auf ökonomische Konsequenzen. Die Folgen zeichnen sich ab, seitdem die Regierung May mit der EU-Kommission über die Modalitäten des Auszugs berät: weniger Wachstum, höhere Arbeitslosigkeit, höhere Inflation, Flucht großer internationaler Firmen und Banken.

Es gäbe viele Gründe zum Nachdenken. Es gäbe viele Gründe für ein Referendum gegen das Referendum. Es gibt nur niemanden, der es will. Großbritannien hat mehr zu verlieren als Europa.

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