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Kolumne zur Bayern-Wahl: Noch so ein Sonntag und Schäuble ist Übergangskanzler


Folgen der Bayern-Wahl
Noch so ein Sonntag und Schäuble ist Übergangskanzler

  • Gerhad Spörl
MeinungVon Gerhard Spörl

15.10.2018Lesedauer: 5 Min.
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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder: Wer so viel falsch macht, sollte über 37,2 Prozent froh und glücklich sein.Vergrößern des Bildes
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder: Wer so viel falsch macht, sollte über 37,2 Prozent froh und glücklich sein. (Quelle: Peter Kneffel/Reuters-bilder)

Der Schwund der CSU ist ein weiteres Symptom für das Ende des alten Parteiensystems. AfD und Grüne sind die Antipoden im Süden der Republik. Und die CDU? Geht ihr Hessen verloren, ist vieles möglich, vor allem Angela Merkels Rücktritt.

Um gleich mal etwas Positives zu sagen: Die Demokratie lebt. Da es in Bayern um einiges ging, sind mehr als 72 Prozent der Wähler hingegangen und haben ihre Stimme abgegeben. Somit kann niemand von Zufall reden, dass unser Parteiensystem, wie wir es seit der Gründung der Grünen vor fast vierzig Jahren kennen, sich nach und nach kräftig verändert.

Parteien sind dann stark und stabil, wenn sie ihre Eliten im richtigen Augenblick auswechseln. Die CSU hat es noch einmal vermocht, als Edmund Stoiber übergärig geworden war, das war 2007. Seither ging es bergab. Zuerst das Duo Beckstein/Huber, dann Horst Seehofer, dann Markus Söder: Wer so viel falsch macht, wie Seehofer/Söder, sollte über 37,2 Prozent froh und glücklich sein.

Markus Söder ist der Scheinriese, der Ministerpräsident bleiben darf. Der andere Scheinriese, Horst Seehofer, muss gehen, damit Söder nicht gehen muss. Ich werde ihn nicht vermissen.

Einfallslosigkeit und Mangel an Zynismus

Die SPD hat ihre Vorsitzenden in Berlin und Bayern wieder und wieder abgelöst. Die in Bayern muss man nicht kennen. Die in der Hauptstadt muss man nach Willy Brandt unbedingt aufzählen, weil einige zu Recht im Orkus versunken sind: Hans-Jochen Vogel, Björn Engholm, Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck, Franz Müntefering, Sigmar Gabriel, Martin Schulz, Andrea Nahles.

Vielzahl und Niedergang sind eins. Keiner konnte es richtig, keiner wollte es richtig, keiner machte es richtig. Andrea Nahles? Arbeitet sich ernsthaft an der Agenda 2010 ab, der letzten großen Errungenschaft der SPD unter einem SPD-Kanzler. Geht’s noch? Seit 2005 fällt der SPD nichts Besseres ein als posthume Rechthaberei, was der Gerd falsch gemacht haben soll. Wie lange noch?

In Bayern hat sich die SPD mehr als halbiert. 9,7 Prozent: oh je. In Berlin regiert sie unglücklich mit, aber nicht das Dabeisein ist das Unglück, sondern die Einfallslosigkeit und das dauerhafte Drehen im Kreis und auch der Mangel an Zynismus, ja, auch der, denn sonst hätte sie längst den Absprung aus der Koalition vorbereitet: Als Seehofer seinen Amoklauf begann und die Kanzlerin ihn nicht abservierte. Was für eine Vorlage, was für eine Chance!

Die Kunst des rechtzeitigen Abgangs

Die CDU schaut Angela Merkel leidend zu, wie sie sich mit melancholischer Apathie dahinschleppt. Sie ist das schlagende Beispiel dafür, dass Kanzlerschaft dringend auf zehn Jahre begrenzt werden sollte. Adenauer und Kohl durften jeweils so lange bleiben, bis sie jede Strahlkraft verloren hatten, überhaupt jede Kraft. Sie merkten es nicht und niemand zwang sie im richtigen Augenblick zum Abschied. Und diesmal?

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Die FDP hat die Jamaika-Koalition in Berlin zum Platzen gebracht. Sie hat das Richtige gemacht, aber aus den falschen Gründen. Aus der Rechtfertigung für das schlecht Vorbereitete kommt sie nun nicht mehr heraus. Sie bewegt sich nicht nach rechts und sie bewegt sich nicht nach links. Sie bewegt sich überhaupt nicht. Sie ist weder alt noch neu. Den Kampf gegen die Grünen hat sie auch eingestellt und so beerben die Liberalen paradoxerweise die verachtete 68er-Partei, die 68 hinter sich lässt. Ziemlich viel falsch ziemlich kurz hintereinander. In Bayern hat sie es mit 5,1 Prozent jämmerlich knapp in den Landtag geschafft.

Von Grünen lernen

Die Grünen profitieren von der Stagnation der FDP und der Stagnation der Union. Ausgerechnet im Süden sind sie beispielhaft erfolgreich. Sie sind wertkonservativ und urban, liberal und bürgerlich, natürlich für die Umwelt und offene Grenzen, sie sind frisch und fröhlich. Sie haben ihre Eliten ausgetauscht und das Besserwisserische lassen sie sein, das ist entscheidend. Sie sind die idealtypische Gesamtpartei für die 250.000 Menschen, die in Berlin am Samstag für die liberale Demokratie demonstrierten. Sie gehören in das alte Parteiensystem und ragen souverän in das neue hinein.

Die AfD ist das neurechte Gegenmodell zu den Grünen. Alles was sie ablehnt, findet die Zustimmung der Grünen: offene Grenzen, Internationalität, Europa, Klimaschutz. Deshalb ist Bayern als Symptom richtig interessant für beide Antipoden. Zu erwarten wäre gewesen, dass die AfD bei 17 Prozent landet und die Grünen bei 10 Prozent. Umgekehrt ist es gekommen und nun könnten die Grünen die falschen Lehren daraus ziehen und die AfD die richtigen.

Falsch wäre es, wenn die Grünen sich darauf verließen, dass es wie von selber so weitergeht, zuerst in Hessen, dann irgendwann in Berlin. Überraschungserfolge wie in Bayern können betäubende Wirkung entfalten: Wenn wir es hier in München schaffen, schaffen wir es sowieso überall.

Ernüchternde Erfolge für die AfD

Richtig wäre es, wenn die AfD den Schwefelgeruch, den Nazis und Hooligans in Cottbus, Chemnitz und Köthen ausströmten, nach und nach ausräuchern würden. Ernüchternde Erfolge wie in Bayern können heilsame Wirkung haben.

Die AfD ist ein gesamtdeutsches Phänomen. Eigentlich absurd, dass sie enttäuscht ist von etwas mehr als zehn Prozent in Bayern, aber den seriösen Konservativismus verkörpern hier eben auch die Freien Wähler, die jetzt mit der CSU regieren können. Es war kein Zufall, dass die AfD nicht Alice Weidel oder Alexander Gauland am Wahlabend in die Sendung mit Anne Will schickte, sondern den eher sympathischen und unbelasteten Jörg Meuthen: Schaut her, wir sind doch nicht so wüst und schlimm, wie uns nachgesagt wird, wir sind auch bürgerlich und der Abstand zur CDU nicht gar so groß und deshalb wollen wir auch irgendwann mitregieren, ja wirklich.

Abstürze werden zum Normalfall

Das neue Parteiensystem ist bunt und vielfältig, regional bestimmt und unberechenbar. Abstürze werden zum Normalfall, so ist es vor kurzem der CDU in Hamburg ergangen, genauso wie der SPD in Hessen und Schleswig-Holstein, der CDU in Baden-Württemberg und im Osten Deutschlands. Die AfD ist der neue Faktor und spätestens seit Bayern wird es Zeit, sie ernst zu nehmen. Ihr Aufstieg ist nicht unaufhaltsam, auch wenn es momentan danach aussieht. Normalität entzaubert, immer nur Faschismus zu brüllen, verhindert Entzauberung.

In Berlin wird es noch dauern, bis sich die neuen Verhältnisse niederschlagen. Geht die Hessen-Wahl am übernächsten Sonntag für die CDU verloren, ist vieles möglich: Wolfgang Schäuble wird Interimskanzler und krönt sein Leben damit, dass er wird, was ihm Helmut Kohl vorenthielt. Bringt die CDU nicht die Kraft zum Austausch auf, sucht sich die SPD einen Grund zum Ausstieg aus der Koalition. Muss sie, wird sie, wie lange sollte sie noch warten. Ein Grund findet sich immer für den, der ihn sucht. Und danach wird Schäuble Kanzler. Neuwahlen will niemand, außer der AfD.

Parteien sind dazu da, der Demokratie politische Stabilität zu verleihen. Das alte System hat es vermocht und nun ausgedient. Das neue muss die gleiche segensreiche Wirkung unter erschwerten Umständen aufbringen. Denn wer will schon amerikanische oder britische oder gar italienische Verhältnisse!

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