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Rassismus und Proteste in den USA: Die brennenden Staaten von Amerika


Eskalierende Proteste
Die brennenden Staaten von Amerika

Von Daniel C. Schmidt, Washington

Aktualisiert am 01.06.2020Lesedauer: 5 Min.
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Washington: Polizisten stehen am Sonntag neben einem umgedrehten Fahrzeug, im Hintergrund lodern Flammen.Vergrößern des Bildes
Washington: Polizisten stehen am Sonntag neben einem umgedrehten Fahrzeug, im Hintergrund lodern Flammen. (Quelle: ap-bilder)

Die Situation in den USA ist aufgeladen: Nach dem Tod von George Floyd kommt es zu massiven Ausschreitungen, zudem leidet das Land unter der Corona-Pandemie. Nun zeigt sich, wie rassistisch das Land bis heute geprägt ist.

Es ist ein altes Problem, das sprichwörtlich wieder aufflammt: In der sechsten Nacht in Folge ist es am Sonntag erneut zu Massenprotesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei in mehreren amerikanischen Bundesstaaten gekommen. Die Proteste richten sich gegen die Polizeigewalt gegenüber Schwarzen in den USA.

Kurz zuvor war George Floyd, ein Afroamerikaner aus Minnesota, am vergangenen Montag in Polizeigewahrsam ums Leben gekommen: Ein Beamter des Minneapolis Police Department hatte den Mann bei der Festnahme fast neun Minuten lang mit dem Knie im Genick zu Boden gedrückt. Kurz danach verstarb George Floyd.

Der Grund, warum er überhaupt festgenommen wurde, spielt inzwischen schon fast keine Rolle mehr, weil spätestens seit den gewalttätigen Demonstrationen nach seinem Tod klar ist, dass hier um etwas Größeres geht als um Ordnungswidrigkeiten: Amerikas Problem mit Polizeigewalt und den systematischen Rassismus im Land.

"I can't breathe"

So sehr es für einen Polizisten in den USA eine instinktive Maßnahme sein mag, Druck auf das Genick auszuüben, um jemanden zu bändigen, der sich versucht, einer Festnahme zu entziehen, umso unverkennbarer ist die Antwort darauf geworden, die auch dieses Wochenende auf Protestmärschen wie ein Fanal durch mehrere amerikanische Städte hallte: "I can’t breathe", ich kann nicht atmen.

Passanten, die seine Festnahme beobachteten, filmten George Floyd dabei, wie er am Boden lag und genau diese Worte wieder und wieder zu den Polizeibeamten sagte – "I can’t breathe", kurz bevor er bewusstlos wurde. Die Worte werden zu einer Art Slogan der Protestbewegung. Und sie sind nicht neu: Das war auch Eric Garners letzter Satz, bevor er starb.

Im Juli 2014 wurde der Afroamerikaner Garner von Daniel Pantaleo, einem Beamten des New York Police Department, in Staten Island bei seiner Festnahme in einen Schwitzkasten genommen. Elf Mal wiederholte er "I can't breathe", bis auch er das Bewusstsein verlor. Garner verstarb wenig später in einem Krankenhaus.

"Rassismus wird öfter gefilmt"

Polizeigewalt gegen Schwarze Bürger (und in den meisten Fällen sind es Männer) ist in den Vereinigten Staaten keine Seltenheit. Die Liste ist lang, einige Namen der Opfer sind auch in Deutschland bekannt: Michael Brown, Trayvon Martin, Tamir Rice, Freddie Gray, Philando Castile. Der Schauspieler Will Smith sagte im Sommer 2016 bei einem Talkshow-Auftritt, als es um Diskriminierung in den USA ging: "Rassismus ist nicht schlimmer geworden, er wird bloß öfter gefilmt."

Als Will Smith diesen Satz sagte, saß im Weißen Haus noch Barack Obama. Der erste und bisher einzige afroamerikanische US-Präsident. Nach dessen Wahlsieg im November 2008 hätte man denken können, dass Amerika sich auf ein post-rassistisches Zeitalter hinbewegt, auf eine Zeit, die den Rassismus überwunden hat und keinen Unterschied mehr zwischen Schwarz und Weiß macht. Es sollte anders kommen.

Die brennenden Städte, jetzt im Mai 2020 sowie 2014 unter Obama, nach dem Tod von Michael Brown in Ferguson, oder auch in den 60er-Jahren, während der Bürgerrechtsbewegung, sind Resultat eines über Jahrhunderte hinweg gelernten Verhaltens, das zu einem Grundkonflikt der USA zurückzuverfolgen ist. Es ist die hässliche Fratze des Landes, die jetzt wieder aufblitzt: Mit Beginn des Sklavenhandels vor mehr als 400 Jahren hat sich ein systematischer Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft etabliert, der bis heute zu spüren ist.

"Es gibt so viel Diskriminierung"

"Es geht nicht nur um George Floyd", sagte Yvonne Passmore, eine afroamerikanische Bürgerin aus Minneapolis am Wochenende in einem Interview mit der "Washington Post". "Es geht hier um viele Jahre, in denen wir wie Menschen zweiter Klasse behandelt wurden – nicht nur von der Polizei. Das ist überall. Wir bekommen keine vernünftige Krankenversicherung. Wir bekommen keine vernünftigen Unterkünfte. Es gibt so viel Diskriminierung und es ist noch nicht einmal nur das Justizwesen. Es sind alle möglichen Dinge."

Noch immer gibt es Städte wie Chicago oder Baltimore, die durch Rassentrennung vor Jahrzehnten nach wie vor wie ghettoisiert sind, unterteilt in arme schwarze und reiche weiße Stadtteile. In den heruntergekommenen, vernachlässigten Vierteln sind die Aufstiegschancen nicht annähernd so hoch wie in den wohlhabenden Nachbarschaften. Die Schulen dort sind unterfinanziert, Kriminalität bestimmt den Alltag. Es sind Strukturen der Benachteiligung, die über Jahrhunderte gewachsen sind und immer noch zur Unterdrückung der schwarzen Bürger und Bürgerinnen beitragen.

Wie eine Limonadenflasche, die zu oft geschüttelt wurde

Dass unter den rund 100.000 Covid-Toten in Amerika etwa 20.000 Afroamerikaner sind, also rund ein Fünftel, ist kein Zufall. Die "Black Community" ist in den USA von der Pandemie stärker betroffen als alle anderen, in vielen Fällen bedingt durch unbehandelte Vorerkrankungen und schlechte Ernährung.

Wenn sich unter diesen Vorzeichen innerhalb von wenigen Tagen Gewalt gegen unbewaffnete Schwarze häuft, wie nach den tödlichen Schüssen auf Ahmaud Arbery in Georgia und eben die folgenschwere Festnahme von George Floyd, dann entlädt sich die Situation in Protesten wie sie jetzt in den USA zu sehen sind. Aus dieser Sicht ist die amerikanische Gesellschaft wie eine Limonadenflasche, die zu oft geschüttelt wurde – irgendwann muss der Druck sich entladen und dann schäumt es über.

Aufgrund der historisch bedingten sozialen Ungleichheit in Amerika kann man die derzeitigen Proteste Donald Trump nicht anlasten. Sie gab es unter seinen Vorgängern, sie wird es nach ihm geben. Was ihn jedoch bislang von anderen US-Präsidenten unterscheidet, ist die Art und Weise, wie er auf diese nationale Krise reagiert.

Brennende Gebäude trotz Ausgangssperre

Am vergangenen Freitagnachmittag, als das Weiße Haus eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz in den Tagesplan des Präsidenten schob, hätte man erwarten können, dass Trump sich an das Volk richten würde, um die Lage nicht weiter eskalieren zu lassen. Stattdessen kündigte er bloß an, alle Beziehungen zur WHO abzubrechen.

Nachdem Freitagnacht Demonstranten vor dem Weißen Haus aufgetaucht waren, twitterte Trump am Samstagmorgen, dass auf seiner Seite des Zauns der Secret Service sowie "die bösartigsten Hunde" und "die bedrohlichsten Waffen" auf potentielle Eindringlinge gewartet hätten.

Drei Schritte, die US-Präsidenten oft befolgen

Am Sonntagabend verhängte Washingtons Bürgermeisterin Muriel Bowser eine Ausgangssperre für die Stadt, und trotzdem brannten Gebäude und Autos in den Straßen rund um das Weiße Haus nach stundenlangen Protesten.

Normalerweise tun US-Präsidenten in solchen Momenten alle das Gleiche, sie hangeln sich an drei simplen Schritten entlang, um Führungsstärke zu beweisen und die Nation zu beruhigen: Sie drücken ihr Bedauern aus, dann erklären sie den Bürgern, dass die USA auch diese Krise durchstehen werden, und anschließend verkünden sie einen Plan, wie es weitergehen soll.

Mit ein paar Tweets ist das nicht getan. Eine Ansprache, um sein Land zu einen und zu versöhnen ist Donald Trump den USA noch schuldig.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
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