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Doch nicht "Obergrenze"? Interview mit CSU-Spitzenkandidat Joachim Herrmann


"Die Menschen haben Sorge um die Identität ihres Landes"

t-online, Patrick Diekmann

05.10.2017Lesedauer: 8 Min.
Für Joachim Herrmann und die CSU ist die Begrenzung der Flüchtlingszahlen ein zentrales Thema in den bevorstehenden Sondierungsgesprächen mit CDU, FDP und Grünen.Vergrößern des BildesFür Joachim Herrmann und die CSU ist die Begrenzung der Flüchtlingszahlen ein zentrales Thema in den bevorstehenden Sondierungsgesprächen mit CDU, FDP und Grünen. (Quelle: dpa-bilder)
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An einer "Obergrenze" für Flüchtlinge will Joachim Herrmann die anstehenden Koalitionsgespräche nicht scheitern sehen. Im Exklusiv-Interview mit t-online.de deutet der CSU-Spitzenpolitiker eine Kompromisslinie an. Ein Gespräch über Migrationspolitik, die eigenen Verluste bei der Wahl und den Umgang mit der AfD.

Ein Interview von Patrick Diekmann

t-online.de: Herr Herrmann, die CSU hat bereits kurz nach der Bundestagswahl angekündigt, dass die Obergrenze für Flüchtlinge eine Bedingung für die Beteiligung an einer künftigen Regierungskoalition sei. Angela Merkel hat eine Obergrenze aber bereits vor der Wahl ausgeschlossen. Auch die Grünen und die FDP haben Sie gegen sich. Sind die Jamaika-Sondierungen schon gescheitert, bevor sie angefangen haben?

Herrmann: Nein. Wir sind mit dem Thema "Wir brauchen eine klare und dauerhafte Begrenzung der Flüchtlingszahlen" in den Wahlkampf gegangen. Wir haben das klar in unserem Wahlprogramm verankert, das steht so in unserem Bayern-Plan. Es steht in dem gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU, dass sich eine Situation wie im Herbst 2015 nicht wiederholen darf und nicht wiederholen wird. Es geht darum, das ganz konkret umzusetzen.

Aber schon die Konzepte von CDU und CSU sind doch unterschiedlich. Sie und andere CSU-Politiker reden ständig von der Obergrenze, während Angela Merkel sagt, man müsse die Flüchtlingsproblematik anders lösen – durch besseren Schutz der EU-Außengrenze oder durch Unterstützung der Herkunftsländer. Warum fokussieren Sie sich so strikt auf die Obergrenze? Damit allein lassen sich die Probleme doch nicht lösen.

Niemand behauptet, dass sich damit allein die Probleme lösen lassen. Aber eine Begrenzung der Zuwanderung ist die Voraussetzung für Lösungen: Zum einen gelingt uns die Integration von den Flüchtlingen, die schon hier anerkannt sind, nur bei einer Begrenzung der weiteren Zuwanderung. Zum anderen hat Hilfe für die Menschen in Afrika vor Ort den meisten Sinn, wenn die Menschen in ihrer Heimat bleiben und sich langfristig auch selbst helfen können. Alle Parteien wollen ja irgendwie eine Begrenzung der Zuwanderung. Nur wir sind es, die konkret den Weg dahin benennen. Es ist übrigens schon in diesem Jahr so, dass die Flüchtlingszahlen für Deutschland voraussichtlich deutlich unter 200.000 bleiben. Wir bestehen nur darauf, dass es auch verlässlich vereinbart und nicht dem Zufall überlassen wird.

Die CSU hat sich schon mal so auf ein Thema versteift: Die Pkw-Maut für Ausländer, das war nach der Bundestagswahl 2013. Sie mussten sich dann die gesamte Legislaturperiode lang mit dem Thema herumschlagen, obwohl das Projekt dem Land kaum nutzt. Bei dieser Wahl ist die Obergrenze das zentrale CSU-Thema. Hat Ihre Partei nicht gelernt, dass politische Alleingänge und rote Linien selten Erfolg versprechen?

Dieser Vergleich ist absurd. Eine solche oberflächliche politische Betrachtung führt mit Sicherheit nicht weiter. Für die Begrenzung der Flüchtlingszahlen gibt es eine klare Mehrheit in der deutschen Bevölkerung. Das haben mehrere Umfragen festgestellt. Die Menschen wollen, dass die Flüchtlingszahlen dauerhaft und wirksam begrenzt werden. Da ist von den Umfrage-Instituten nicht nach einer bestimmten Zahl gefragt worden. Aber das Ziel einer Begrenzung wird von einer großen Mehrheit der Deutschen insgesamt geteilt. Das ist keine Eigenheit der CSU oder des Freistaats Bayern, sondern der politische Wille der Mehrheit der Menschen in Deutschland, und deswegen muss er auch umgesetzt werden.

Trotzdem ist es ein politischer Alleingang. Bis auf die AfD haben sie da keine andere Parteien auf Ihrer Seite, nicht mal Ihre Schwesterpartei CDU. Wie bei der Maut.

Wenn wir artikulieren, was offensichtlich die Mehrheit der Menschen in Deutschland will, dann frage ich mich schon, wer denn da in Deutschland die Alleingänge macht. Ist es das Wesen der Demokratie, dass der Volkswille herrscht, oder bedeutet Demokratie, dass sich Parteien oder Politiker über den Willen der Bevölkerung hinwegsetzen? Ich glaube, dass man mit dem Vorwurf, dass sei ein Alleingang der CSU, wirklich nicht weiterkommt. Wir müssen jetzt an einer Lösung arbeiten und vernünftige und gute Gespräche mit unserer Schwesterpartei führen, so dass dann vielleicht andere Gespräche mit potentiellen Koalitionspartnern kommen können. Klar ist jedenfalls, dass sich eine Situation wie im Herbst 2015 nicht wiederholen darf. Das haben wir in unserem gemeinsamen Wahlprogramm versprochen. Jetzt geht es darum, dieses Ziel konkret umzusetzen.

Ein konkreter Lösungsvorschlag ist von der FDP gekommen. Deren Generalsekretärin Nicola Beer schlägt eine „Grenze für Integrationskraft“ als Alternative zur starren Obergrenze vor. Sind Sie bereit, auf die FDP zuzugehen oder muss es wirklich "Obergrenze" heißen?

Es geht doch nicht darum, ob es „Obergrenze“ heißt, sondern um eine wirksame Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Für die Definition dieser Begrenzung ist die Integrationskraft Deutschlands zweifellos ein wichtiger Maßstab.

Sie bestehen also gar nicht auf einer Obergrenze?

Wir können von Höchstzahlen sprechen oder wir können das Limit nennen – das ist mir persönlich egal. Entscheidend ist, und zwar aus der Sicht der Mehrheit der Deutschen, dass ein funktionales Ergebnis dabei rauskommt. Ich halte das für eine bemerkenswerte Äußerung aus dem Kreis der FDP und ich bin gespannt, wie die FDP das weiter konkretisieren will.

Aber Moment, Horst Seehofer hat gesagt, dass es "Obergrenze" heißen müsse.

Wir werden uns mit unserer Schwesterpartei darüber unterhalten, und dann bin ich zuversichtlich, dass wir zu konkreten Ergebnissen kommen. Es wird offenkundig auch aus dem Ergebnis der Bundestagswahl deutlich, dass die Mehrheit der Deutschen eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen will. Das ist aber nicht das einzige Thema in Deutschland. Wir haben eine Vielzahl weiterer Themen: Fragen der inneren Sicherheit, der Rente, der Pflege, dass wir eine Kinder- und familienfreundliche Politik machen und dass wir die steuerliche Belastung vieler Menschen reduzieren wollen. Alles das ist wichtig. Wir behaupten nicht, es gäbe nur das Flüchtlingsthema. Aber das Thema der Flüchtlingszahlen bewegt viele Menschen in Deutschland und sie verlangen von uns Lösung. Das ist doch unübersehbar.

Wenn Sie sich so auf die Flüchtlings- und Migrationspolitik fokussieren, vernachlässigen Sie dabei nicht drängende politische Themen wie die Digitalisierung oder die Entwicklung des ländlichen Raums, etwa der wirtschaftlich schwächeren Regionen im Osten Bayerns?

Ich stelle fest, dass sich im Bundestagswahlkampf, wie jetzt auch in diesem Interview, vor allem die Medien auf dieses Thema fokussieren. Zum Thema Ostbayern: Schauen Sie sich die soeben veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen für September an: Wir haben einen weiteren Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Wir haben in weiten Teilen Bayerns nahezu Vollbeschäftigung. Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote aller Bundesländer. Wir haben einen Zuwachs an Beschäftigung. Es gibt einige Landkreise, die etwas unter dem bayerischen Durchschnitt liegen, aber die stehen immer noch besser da als der deutsche Durchschnitt. Die Annahme, wir würden die Entwicklung in Ostbayern vernachlässigen, ist einfach falsch. Wir investieren massiv in Räume, die etwas strukturschwächer sind, und wenden intensive staatliche Förderung auf. Wir haben insgesamt in Bayern eine phänomenale Entwicklung. Wir hätten in anderen Teilen Deutschlands sicherlich weniger Probleme, wenn dort auch nur annähernd eine so erfolgreiche Politik wie bei uns gemacht würde.

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Trotzdem hat die Bundestagswahl in Bayern klar gezeigt, dass auch die CSU an Zustimmung verliert.

Wir haben offensichtlich mit den Flüchtlingszahlen ein Thema, das die Menschen umtreibt. Hier hat die AfD zum Teil eine völlig überzogene Propaganda betrieben und Probleme deutlich übertrieben. Wir müssen uns einerseits kritisch mit der AfD auseinandersetzen, andererseits die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen. Dazu gehören aber auch die sozialen Themen: Wo gibt es Furcht vor Altersarmut? Wie sieht es mit der Weiterentwicklung der Renten aus? Wir wollen die Mütterrente, aber auch weitere Verbesserungen der Rente erreichen. Wir müssen uns um die Pflege alter Menschen kümmern. All das sind wichtige Zukunftsthemen. Wenn manche Medien immer wieder nur über das Konfliktthema Flüchtlinge berichten, heißt das nicht, dass wir uns einseitig aufstellen. In unserem Bayern-Plan sehen Sie, dass wir uns mit einem breiten Feld von Themen beschäftigen.

Es sind doch nicht nur die Medien, die CSU trägt selbst dazu bei: Horst Seehofer sagte direkt nach der Wahl, man müsse jetzt die "rechte Flanke" schließen. Wie soll das programmatisch aussehen?

Die Menschen haben Sorge um die Identität ihres eigenen Landes. Wir können dafür stehen, dass Bayern Bayern und dass Deutschland Deutschland bleibt. Da gab es in anderen politischen Parteien in den letzten Jahren zum Teil recht unsinnige Formulierungen.

Welche meinen Sie?

Da wurde, übrigens auch in manchen Medien, davon geredet, Deutschland müsse sich jetzt angesichts der vielen Flüchtlinge ändern. Nein, Deutschland und Bayern brauchen sich überhaupt nicht zu ändern. Wenn jemand neu in unser Land kommt, muss er sich in unser Land integrieren – nicht umgekehrt.

Ein weiterer Streitpunkt in den Jamaika-Sondierungsgesprächen dürfte die Umweltpolitik werden. Für die Grünen ist der Kohleausstieg nicht verhandelbar. Wären Sie da kompromissbereit? Sie haben in Bayern vier Kohlekraftwerke.

Wir haben in Bayern einen Kohleanteil an der gesamten Stromproduktion von gerade mal vier Prozent. Die Kraftwerke, die Kohle verfeuern, sind überwiegend in kommunalem Besitz. In Baden-Württemberg, mit einem grünen Ministerpräsidenten, liegt der Kohleanteil an der Stromproduktion bei über 25 Prozent. In Nordrhein-Westfalen sind es sogar über 65 Prozent. Es gibt nur zwei Bundesländer, Rheinland-Pfalz und Thüringen, die einen geringeren Kohleanteil an der Stromproduktion haben als Bayern. Wir werden uns die konkreten Vorschläge der Grünen sehr genau anschauen, aber Bayern ist bei dem Thema überhaupt kein Problem. Wir sind bei regenerativen Energien ganz weit vorne. Das Problem werden andere Bundesländern sein.

Ganz konkret: was soll mit den Kraftwerken in Erlangen, München, Ingolstadt und Nürnberg geschehen?

Ich erwarte von den Grünen, dass sie konkret sagen, was sie wollen. Aber angesichts dieses geringen Anteils der Stromproduktion in Bayern ist es für Bayern nicht das Hauptproblem. Wir sind heute schon beim Anteil an Wasserkraft, Solarenergie und Biomasse ganz weit vorn in Deutschland. Deshalb wird die Kohle-Verstromung ein Thema sein, das in anderen Bundesländern diskutiert werden muss.

Das haben Sie gerade schon gesagt. Noch mal: Was ist mit den genannten bayerischen Kraftwerken?

Fragen Sie doch bitte die Grünen, warum in Baden-Württemberg seit sechs Jahren ein grüner Ministerpräsident regiert, deren Kohleanteil an der Verstromung aber fünfmal so hoch ist wie in Bayern. Das ist doch ganz offensichtlich eine Frage, die sich nicht an den Freistaat Bayern richtet, sondern mit der sich andere Teile Deutschlands beschäftigen müssen.

Horst Seehofer hat gefordert, Personaldebatten der CSU bis zum Parteitag im November ruhen zu lassen. Warum zieht die Partei nicht jetzt schon Konsequenzen aus dem schlechten Wahlergebnis bei der Bundestagswahl?

Wir haben jetzt noch gut sechs Wochen bis zum Parteitag. Sehr viel schneller könnte auch ein Sonderparteitag nicht einberufen werden. Der Parteitag ist dafür zuständig, solche Personalfragen zu entscheiden. Also ist es doch völlig logisch: Der Ministerpräsident und Parteivorsitzende hat klar angekündigt, dort anknüpfen zu wollen. Wenn jemand anderes kandidieren will, kann er es auf dem Parteitag tun. Das ist normal in einer demokratischen Partei. Ich sehe nicht, warum wir im Vorfeld eine andauernde Personaldiskussion führen sollten, die am Schluss eh nur in diese Entscheidung am Parteitag münden kann.

Ihr Parteivorsitzender wollte kurz nach der Wahl auch die Fraktionsgemeinschaft mit der Schwesterpartei CDU diskutieren. Kurz darauf wurde die erneute Fraktionsgemeinschaft einstimmig beschlossen. Warum dieses seltsame Manöver?

Das ist eine falsche Behauptung, die in den Medien verbreitet worden ist. Ich habe an dieser Sitzung teilgenommen. Es berichten Medien, die nicht an der Sitzung teilgenommen haben und definitiv Unsinn verbreiten. Es sollte in der Sitzung auch eine Meinungsbildung zum Thema Fraktionsgemeinschaft geben, da diese Entscheidung unmittelbar am Mittwoch bevorstand. Unsere Sitzung war am Montag nach der Wahl. Es ist vom Parteivorsitzenden zu keinem Zeitpunkt die Fraktionsgemeinschaft in Frage gestellt worden. Das kann niemand, der an dieser Sitzung teilgenommen hat, ernsthaft behaupten.

Auch ihr Name fällt wenn es um die Nachfolge von Horst Seehofer geht. Welches Amt streben Sie an: Bayerischer Ministerpräsident oder Bundesinnenminister?

Ich habe mich in der Vergangenheit nie an solchen Spekulationen beteiligt und werde das auch in Zukunft nicht tun. Es geht jetzt nicht um die Frage, wer welchen Posten bekommt, sondern allein darum, wie wir das Einlösen, was wir den Wählerinnen und Wählern versprochen haben. Außerdem ist es wichtig, in welcher Form die Regierungsbildung stattfindet und in welcher Konstellation wir uns in Berlin bestmöglich durchsetzen. Darum geht es in den nächsten Wochen. Nicht um irgendwelche Spekulationen.

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