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Martin Schulz: "Ich blicke zurück auf ein Jahr voller Höhen und Tiefen"


Schulterklopfen für Martin Schulz

dpa, Georg Ismar

Aktualisiert am 14.03.2018Lesedauer: 4 Min.
Martin Schulz: Der Architekt der neuen großen Koalition ist nun einfacher Bundestagsabgeordneter.Vergrößern des BildesMartin Schulz: Der Architekt der neuen großen Koalition ist nun einfacher Bundestagsabgeordneter. (Quelle: Soeren Stache/dpa-bilder)
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Martin Schulz sah sich bereits als Minister, jetzt ist er einfacher Bundestagsabgeordneter. Trotzdem kann er mit Angela Merkel bei ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin scherzen. Hat er noch Pläne?

Martin Schulz kann wieder lachen, als er im Bundestag Angela Merkel trifft. Er war zuletzt wegen einer verschleppten Grippe krankgeschrieben und las in Würselen ein besonderes Buch. Doch dazu später. Für den SPD-Politiker ist dieser 14. März 2018 ein seltsamer Tag.

Als er um 9.24 Uhr bei der Kanzlerwahl zur Stimmabgabe aufgerufen wird, läuft er Merkel über den Weg. 24 Stunden am Stück haben sie am Ende der Koalitionsverhandlungen gerungen – der damalige SPD-Chef trotzte der CDU-Chefin sechs Ministerien ab. Schulz war kurz der designierte Außenminister, gemeinsam wollten sie die kriselnde EU reformieren.

Platz in der dritten Reihe

Sie scherzen zusammen, winken Bekannten auf der Zuschauertribüne zu. Schulz legt den Arm auf Merkels Schulter; er hatte zuvor gesagt, dass er sie zur Bundeskanzlerin mitwählen will. Sie ist ihm sehr dankbar für seinen Einsatz für diese große Koalition, die ihre Macht noch mal sichert, während Schulz nur noch in der dritten statt der ersten SPD-Reihe im Bundestag sitzt.

Schulz' Wiederkehr in die Politik beginnt um 8.43 Uhr, er kommt etwas zu spät zum Zählappell der SPD-Fraktion. "Morgen, Jungs", begrüßt er ihm bekannte Gesichter. Es gibt einige Schulterklopfer. Schulz hat in Würselen zuletzt viel Zeit gehabt, um über Ehrlichkeit in der Politik nachzudenken, über Intrigen, eigene Fehler und Fehleinschätzungen.

Als feststeht, dass Merkel es noch mal geschafft hat, klatscht auch Schulz – aber sie hat nur 364 der 399 Stimmen von Union und SPD bekommen. Bei der SPD vermuten sie dabei viele Abweichler vor allem bei Merkels eigener Union, wo einige sie am liebsten abgelöst sähen.

Brav angestellt

Er stellt sich bei den Gratulanten hinter Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und FDP-Chef Christian Lindner an. Hätten sie das Jamaika-Bündnis mit Merkel hinbekommen, wäre Schulz vielleicht noch SPD-Vorsitzender. Jetzt ist er nur noch einfach Abgeordneter, eines von 709 Mitgliedern des Deutschen Bundestags.

Er will an diesem Tag öffentlich schweigen. Im Plenum redet er lange mit dem Fraktionskollegen Matthias Miersch, der gerne Umweltminister geworden wäre. Das wird nun Svenja Schulze aus Nordrhein-Westfalen, die statt Schulz für den größten SPD-Landesverband in das Kabinett einrückt. Schulze statt Schulz. Das ist zwar nur ein Buchstabe Unterschied, doch die Geschichte dahinter ist großes Polit-Drama.

Der 62-Jährige hat wie ein Architekt die Planungs- und Bauphase des fragilen Koalitionsgebäudes für die SPD-Seite gesteuert. Als das Haus dann stand, durfte er aber nicht mit einziehen. Schulz ist ja ein glühender Fan des 1. FC Köln. Den Fußballverein und den Rheinländer verbindet eine unglaubliche Auf- und Abstiegsgeschichte in diesem Jahr. Köln erreichte erstmals seit 25 Jahren den Europapokal und stürzte dann auf den letzten Platz der Bundesliga ab.

Götterdämmerung

Schulz wurde als "Gottkanzler" gefeiert, die SPD lag bei über 30 Prozent, mit 100 Prozent wurde er zum SPD-Chef gewählt. Dann reihten sich Pleiten, Pech und Pannen aneinander. Er bescherte der SPD als Kanzlerkandidat mit 20,5 Prozent das schlechteste Bundestagswahlergebnis überhaupt.

Schulz wollte die SPD danach in die Opposition führen und versprach, niemals Minister unter Merkel zu werden. Jamaika scheiterte, Schulz und die SPD legten eine 180-Grad-Wende hin, die große Koalition stand irgendwann. Um Dampf aus dem vor der Explosion stehenden Kessel bei der SPD zu lassen, gab er den Vorsitz ab, Andrea Nahles soll im April gewählt werden. Aber er, der das Europakapitel des Vertrags quasi im Alleingang geschrieben hatte, wollte Außenminister werden. Wegen des gebrochenen Wortes rebellierte die Basis. Schulz musste registrieren, dass kein Einziger aus der Führungsriege ihm öffentlich beisprang.

Und musste auch darauf verzichten, um nicht das Ja der SPD-Mitglieder beim Entscheid über den Eintritt in die Koalition zu gefährden. Ein letzter Dienst an der Partei. Über Nahles und den Außenminister statt seiner, Heiko Maas, hat er bisher kein schlechtes Wort verloren. Das Jahr schüttelt man nicht so aus den Kleidern, sagt er selbst.

"Ein Jahr voll Höhen und Tiefen"

Früher nutzte er viel den Nachrichtendienst Twitter. Die letzte Botschaft ist schon einen Monat alt. "Wenn ich mit meinem Rücktritt zur Erneuerung der SPD beitrage, hat er sich gelohnt", steht dort geschrieben. "Ich blicke zurück auf ein Jahr voll Höhen und Tiefen."

In einem Buch hätte der Rheinländer sicher einiges zu erzählen. Zuletzt hat der frühere Buchhändler während der Auszeit in Würselen ein recht lehrreiches Buch gelesen: Die Biografie des Historikers Peter Longerich über den NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.

Besonders die Endphase der Weimarer Republik fand Schulz dabei sehr bemerkenswert, wie Goebbels das Vorgehen gegen NSDAP-Politiker als Verfolgungsakt des alten Systems gegen die neue Bewegung anprangerte.

Lehren aus der Geschichte

Skandalisieren, Fakten verdrehen, sich als Opfer und Anwalt der kleinen Leute inszenieren, das war die Methode. So mancher könnte Parallelen zur AfD erkennen. Auch damals wurde es immer schwieriger, noch Koalitionen zu bilden. Helmut Schmidt erzählte oft vom großen Fehler der SPD, die große Koalition unter Führung von SPD-Kanzler Hermann Müller 1930 platzen zu lassen – wegen eines Streits um eine Senkung der Arbeitslosenversicherung um 0,25 Punkte. Es folgte ein Regieren mit Notdekreten, bis Adolf Hitler Reichskanzler wurde. Der Koalitionsbruch war eine Zäsur; er leitete das Ende der Republik ein.

Merkel selbst erzählte diese Geschichte nach Angaben der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auch als Warnung in den Jamaika-Verhandlungen. Schulz sieht die ganzen aktuellen Zeitläufte im Inland wie im Ausland mit großer Besorgnis. Auch deshalb kämpfte er aus staatspolitischer Verantwortung so für die Regierung, der er nun nicht angehört. Er will im Bundestag bleiben, auch wenn er einfach aufhören könnte. Denn er sieht in diesen nervösen Zeiten durchaus noch Aufgaben für sich.

Verwendete Quellen
  • dpa
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