Bundeswehr Rückkehr zur Wehrpflicht? Union für Vorbereitungen

Um der Bedrohung durch Russland zu begegnen, hat die Nato hat ein großes Aufrüstungsprogramm beschlossen. Doch wie sollen mehr Soldaten gefunden werden? Die Debatte wird schärfer.
In der Koalition gibt es zunehmend Differenzen über eine zügige Rückkehr zur Wehrpflicht. Unionsfraktionschef Jens Spahn plädiert dafür, die Voraussetzungen für einen etwaigen Pflichtdienst in der Bundeswehr vorsorglich schon zu schaffen - die SPD will das nicht.
"Es muss auf jeden Fall eine Struktur bei der Bundeswehr geschaffen werden, die eine zügige Rückkehr zur Wehrpflicht möglich macht. Das geht nicht von heute auf morgen, aber wir müssen mit den Vorbereitungen beginnen", sagte Christdemokrat Spahn der "Rheinischen Post". "Wenn das über Freiwilligkeit gelingen sollte, gut. Mein Eindruck aber ist, dass wir die Wehrpflicht dafür brauchen werden."
Auch der Wehrbeauftragte des Bundestags, der CDU-Politiker Henning Otte, pochte in der "Welt am Sonntag" auf eine Absicherung, falls es nicht genug Freiwillige gibt.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner verwies auf das Adverb "zunächst" für die im Koalitionsvertrag vereinbarte Freiwilligkeit. "Das schließt also nicht aus, dass man perspektivisch nach Bedarf und mit entsprechender Infrastruktur eine Wehrpflicht wiedereinführt", sagte die CDU-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie sei allerdings Fan einer allgemeinen Dienstpflicht, die auch andere Bereiche des sozialen Lebens umfasst.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte vor kurzem "zusätzliche Schritte" beim Wehrdienst nicht ausgeschlossen.
Was im Koalitionsvertrag steht
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD kommt das Wort "Wehrpflicht" nicht vor. Darin heißt es stattdessen: "Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert." Hier hatte sich die SPD in den Verhandlungen gegen die Union durchgesetzt.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) machte zuletzt mehrfach deutlich, dass die vereinbarte Freiwilligkeit nur gilt, wenn der Bedarf an Soldaten auf diesem Weg gedeckt werden kann.
Spahn will Automatismus
Im ARD-"Bericht aus Berlin", sagte Spahn: "Wenn wir in ein, zwei, drei Jahren merken sollten, das klappt nicht über die Freiwilligkeit, dann braucht es einen politischen oder einen gesetzlichen Automatismus, dass dann auch die Wehrpflicht kommt." Dazu brauche es eine politische Vereinbarung.
Pistorius wies in der ARD darauf hin, man habe derzeit gar nicht die Infrastruktur für die Wehrpflicht, zum Beispiel genügend Kasernen. Diese würden mit Nachdruck gebaut. "Wir steigen mit einem Wehrdienst ein, einem erweiterten freiwilligen, attraktiven Wehrdienst, und beobachten sehr genau die Lage", sagte der SPD-Politiker. Er gebe allen Recht, die sagten, es müssten Vorkehrungen getroffen werden für den "Zeitpunkt X", zu dem die Freiwilligen nicht mehr reichten. "Das werden wir im Gesetzgebungsverfahren miteinander diskutieren."
Was die Nato für nötig erachtet
Inzwischen haben die Nato-Verteidigungsminister vereinbart, was künftig jedes Mitgliedsland beitragen muss, damit die Allianz ausreichend verteidigungsfähig ist und einen potenziellen hochgerüsteten Angreifer wie etwa Russland abschrecken kann. Für Deutschland benötige daher 50.000 bis 60.000 aktive Soldaten mehr, sagte Pistorius.
Aber schon das bisherige Ziel von 203.000 Männern und Frauen in den stehenden Streitkräften wurden nicht erreicht. Trotz Werbekampagnen und Social-Media-Auftritten, vielfach verkündeter "Personalwenden" und gesenkter Anforderungen sank die Zahl auf kaum mehr als 181.000 Soldaten.
Wie Anforderungen und Zahlen zusammenpassen
Gemessen am jahrelang verkündeten alten Ziel müsste die Bundeswehr in der Lage sein, kurzfristig gut 20.000 Soldaten auszurüsten und zu trainieren. Doch soll der neue Wehrdienst zunächst mit 5.000 Freiwilligen beginnen, wie es zuletzt hieß. Für mehr fehlten schon die Ausbilder.
Deutlich wird, dass es in der Debatte um mehr geht als die nun strittigen Rechtsgrundlagen. Wer die Voraussetzungen für eine Wehrpflicht schaffen will, muss zeitig Kasernen, Ausrüstung und Ausbilder vorhalten. Die Zeit drängt, erklären Nachrichtendienste und Fachpolitiker. Bis 2029 sei Russland zu einem Angriff auf Nato-Gebiet fähig.
Warum es die Wehrpflicht nicht mehr gibt
Die Wehrpflicht war 2011 unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Sie galt bis dahin nur für Männer und tritt für Männer wieder in Kraft, wenn der Bundestag den Spannungs- oder Verteidigungsfall feststellt. Soll die Pflicht auch für Frauen gelten, müsste das Grundgesetz geändert werden.
Das nun nötige Gesetz über einen neuen Wehrdienst wird im Verteidigungsministerium geschrieben und befindet sich aktuell in der sogenannten Ressortabstimmung zwischen den Ministerien.
Was die SPD will
Die SPD-Fraktion äußerte sich zurückhaltend zu einer Rückkehr zur Wehrpflicht. "Über eine Wehrpflicht kann man dann gegebenenfalls in der kommenden Legislaturperiode verhandeln, in dieser nicht", hatte jüngst SPD-Fraktionschef Matthias Miersch der "Neuen Osnabrücker Zeitung" gesagt.
Der verteidigungspolitische SPD-Fraktionssprecher, Falko Droßmann, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Wir arbeiten hart daran, junge Männer und Frauen für den Dienst in unseren Streitkräften zu begeistern. Dafür muss die Infrastruktur der Bundeswehr massiv verbessert werden und es müssen attraktive und flexible Laufbahnmodelle angeboten werden. Da sind wir mit Hochdruck dran. Wer diese notwendigen Anstrengungen scheut und allein auf Zwang setzt, macht es sich deutlich zu leicht."
Was der Wehrbeauftragte sich vorstellen kann
Auch der Wehrbeauftragte Otte kann sich noch mehr Anreize für junge Menschen vorstellen, sich freiwillig zu melden. "Dazu könnten Erleichterungen beim Studienzugang oder zusätzliche Rentenpunkte gehören", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das müsse sich dann konkret in der nötigen gesellschaftlichen Diskussion über den Dienst in der Bundeswehr ergeben.
- Nachrichtenagentur dpa