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Corona-Pandemie in Deutschland: Massive Lockerungen? Jetzt geht es um viel


Massive Lockerungen in der Corona-Krise?
Deutschland ringt um Luft

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 04.05.2020Lesedauer: 7 Min.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsident Markus Söder und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher geben nach der Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer eine Pressekonferenz. (Quelle: dpa-bilder)

Die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland sinkt. Deshalb diskutieren Bund und Länder am Mittwoch erneut über Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Aber was genau ist geplant? Ein Überblick.

In der Corona-Krise hat Deutschland etwas Zeit zum Luftholen, aber Durchatmen kann die Bundesrepublik noch nicht. Einerseits sinkt die Zahl der Neuinfektionen stetig, hierzulande gibt es laut Angaben der Johns Hopkins Universität (Stand: 4. Mai, 12 Uhr) nur noch knapp über 26.000 akute Covid-19-Fälle, die registriert wurden.

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie scheinen zu funktionieren, aber für viele Experten ist das kein Grund für eine Entwarnung. Das Virus könne sich bei einer zu schnellen Rückkehr zur Normalität erneut sprunghaft ausbreiten, davon gehen Virologen und das Robert Koch-Institut aus. Trotzdem steigt der Druck aus der Wirtschaft auf die politischen Entscheidungsträger, die Kollateralschäden der Krise abzumildern, das öffentliche Leben und die Wirtschaft wieder hochzufahren. Das Problem des Konjunktureinbruchs rückt immer mehr in den Fokus.

Während Bundesländer wie Niedersachsen Lockerungspläne verkündigen, geht die Debatte am Mittwoch in die nächste Runde – dann beraten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder. Von dem Gespräch werden noch weitergehende Schritte erwartet als von dem in der vergangenen Woche, als die jetzigen Lockerungen beschlossen wurden.

Doch wie groß werden nun die Schritte in Richtung Normalität? Ein Überblick:

1. Wie ist die Ausgangslage?

Das Robert Koch-Institut warnte zuletzt in seinen Pressekonferenzen mehrfach davor, die Maßnahmen nicht zu schnell zu lockern, um "unsere Erfolge nicht zu gefährden". Im internationalen Vergleich ist die Pandemie in Deutschland verhältnismäßig unter Kontrolle. Laut Johns Hopkins Universität gibt es aktuell in der Bundesrepublik 890 Neuinfektionen am Tag (Stand: 2. Mai), in Frankreich sind es 1.200, in Spanien 3.147 und in Großbritannien 4.815.

Hinzu kommt, dass die Bundesländer weiterhin unterschiedlich stark von der Pandemie betroffen sind. In Bayern und Baden-Württemberg sind die Fallzahlen viel größer als beispielsweise in den Ländern im Nordosten.

Die Kontaktbeschränkungen gelten noch immer fast deutschlandweit – die Ausnahme ist Sachsen-Anhalt. Dort hatte die schwarz-rot-grüne Landesregierung am Samstag beschlossen, dass sich von Montag an Gruppen von bis zu fünf statt zwei Menschen treffen dürfen – bei Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern. Das erlaubt zahlreiche Lockerungen, etwa beim Vereinssport, aber auch bei Bildungsangeboten.

Die Krise zeigt auch immer größere Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Allein im März meldeten sich 300.000 Menschen arbeitslos, Clemens Fuest vom ifo-Institut beziffert die Kosten jeder Woche mit den jetzigen Maßnahmen auf 25 bis 57 Milliarden Euro. Während einige Unternehmen erklären, dass sie den Lockdown nur noch einen kurzen Zeitraum durchhalten können, geht es für andere Branchen – zum Beispiel Gastronomie, Tourismus oder Luftfahrt – um Existenzen.

2. Welche Lockerungen gelten bereits zum Start dieser Woche?

Schulen, Friseure, viele Museen: Nach wochenlangen Corona-Beschränkungen kommt das öffentliche Leben heute ein Stück mehr in Fahrt. Nach der Spitzenrunde zwischen der Kanzlerin und und den Ministerpräsidenten vom vergangenen Donnerstag sind Gottesdienste und Gebetsveranstaltungen wieder erlaubt. Außerdem können Spielplätze, Zoos, Tierparks und Kultureinrichtungen wieder geöffnet werden.

Welche weiteren Änderungen gelten ab dieser Woche?

Friseure: Für viele Friseure ist montags eigentlich Ruhetag – doch diesmal werden viele Salons öffnen: Nach rund sechs Wochen Zwangspause rechnet die Branche zur Wiedereröffnung mit einem Ansturm. Wegen der Abstandsauflagen können aber weniger Menschen gleichzeitig bedient werden. "Gesichtsnahe Dienstleistungen" wie Augenbrauen- und Wimpernfärben sowie Bartpflege sind verboten.

Schulen: In vielen Ländern kommen nach den Abschlussklassen jetzt auch jene tageweise zurück, die im nächsten Schuljahr Abschlussprüfungen haben, sowie die obersten Grundschulklassen. Es gelten Abstandsregelungen und Hygieneauflagen, die einen befürchteten sprunghaften Anstieg der Infektionszahlen vermeiden sollen. Die Kinder der anderen Jahrgangsstufen bleiben erst einmal zuhause.

Einkaufen: In einigen Ländern wie Sachsen-Anhalt, Thüringen und Rheinland-Pfalz dürfen von dieser Woche an wieder alle Geschäfte öffnen – unabhängig von ihrem Sortiment und auch mit mehr als dem bisherigen Maximalwert von 800 Quadratmetern Verkaufsfläche. Sie müssen aber Auflagen einhalten. So gilt etwa eine Maskenpflicht und eine Begrenzung der Menschen pro Quadratmeter. Andere wie Brandenburg und Hamburg bleiben vorerst bei der Begrenzung. In weiteren Ländern wie Nordrhein-Westfalen und Bayern gilt die Regelung mit Ausnahmen.

3. Über welche Lockerungen wird am Mittwoch gesprochen?

Der Druck auf die Politik aus Wirtschaft und Bevölkerung wird spürbar größer. Am 6. Mai schalten sich Bund und Bundesländer wieder zu Gesprächen zusammen, einige Länder wie Sachsen-Anhalt oder Niedersachsen gingen in den letzten Tagen schon in die Offensive.

Was sagen die Länder?

Und genau das kritisierte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder am Montag. Er sei ein "bisschen unglücklich" darüber, dass manche Länder jetzt schon über das hinausgingen, was man zwischen Bund und Ländern vergangene Woche vereinbart habe, sagte der CSU-Vorsitzende bei einer Pressekonferenz. Nun sei zwar die Zeit für schrittweise Erleichterungen gekommen, aber dennoch seien weiterhin Vorsicht und Umsicht entscheidend. "Wir dürfen die Erfolge, die wir haben, nicht verstolpern."

In der Beratung wollen Bundesländer laut einem "Bild"-Bericht eine Lockerung des Kontaktverbots durchsetzen. In einer vorbereitenden Telefonkonferenz der Staatskanzleichefs habe es geheißen, dass Zusammenkünfte von bis zu fünf Personen wieder erlaubt sein könnten, berichtet die Zeitung (Online). Söder dementierte dies aber in der ARD-Sendung "Anne Will": "Davon weiß ich nichts." Und: "Geredet wird viel."

Zum Thema Fußball schrieb die "Bild" über die Telefonkonferenz: "Für die im Mai geplante Zulassung sogenannter Geisterspiele der Bundesliga (ohne Zuschauer im Stadion) soll eine Regelung gefunden werden, diese Partien auch im öffentlichen TV zu übertragen." Hintergrund sei, dass in der laufenden Saison der Abo-Sender Sky die Fernsehrechte habe und die Länderchefs befürchteten, dass es zu regelrechten Sky-Parties von Fußball-Fans kommen könne.

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Nordrhein-Westfalen drohte bei den Kitas einen Alleingang an, falls die Bund-Länder-Runde keinen einheitlichen Öffnungskurs beschließt. "Wir lassen uns nicht noch eine Woche vertrösten", sagte der Vize-Ministerpräsident und Familienminister Joachim Stamp (FDP) im "Morning Briefing"-Podcast von Gabor Steingart.

Beim Thema Lockerungen in der Gastronomie preschte Niedersachsen als erstes Bundesland vor. Ab kommenden Montag sollen dort Gaststätten, Cafés und Biergärten mit Einschränkungen wieder öffnen und Ferienwohnungen an Gäste vermietet werden können. Diese Lockerungsmaßnahmen dürften die Debatte um Alleingänge einiger Bundesländer in der Corona-Krise erneut befeuern – auch bei den Gesprächen am Mittwoch.

Was sagt der Bund?

Die Bundesregierung strebt trotz der zunehmenden Unterschiede in der Corona-Politik der einzelnen Bundesländer weiterhin ein gemeinsames Vorgehen an. Bei der Lockerung der Auflagen könne es "natürlich regionale und lokale Nuancen" geben, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Das Wichtige sei dabei, dass Bund und Länder "auf einem gemeinsamen Pfad" unterwegs seien und eine "gemeinsame Strategie" verfolgten.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mahnte zur Vorsicht, kündigte aber an, dass am Mittwoch über die Bundesliga-Spiele wie den Breitensport geredet werde, über die Öffnung der Schulen für weitere Altersstufen und über die Gastronomie. Laut "Bild" soll ein Plan für eine Öffnung der Restaurants vor Pfingsten vorgelegt werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte in der ARD: "Wichtig ist, dass wir auch dort eine Perspektive geben. Ich denke, dass das am Mittwoch geschieht."

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) kündigte bei "Anne Will" an, dass die Koalition Ende Mai oder Anfang Juni ein Konjunkturpaket auflegen will, um die Wirtschaftstätigkeit anzukurbeln. Diesen Zeitplan bestätigte auch Söder.

Seehofer nannte im ZDF zugleich aber auch den Maßstab für mehr Öffnungen: "Ich möchte, dass wir im Lichte der Infektionsentwicklung Stück für Stück zu mehr Lockerung kommen." Wie Spahn hält er Lockerungsschritte überhaupt nur deshalb für machbar, weil die Beschränkungen und die Disziplin der Bürger ermöglicht haben, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Besiegt ist es nicht, und Spahn hält es auch für möglich, dass es noch Jahre dauert, bis ein Impfstoff gefunden ist, wie er sagte.

Gibt es Kritik?

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping fordert beispielsweise ein "Aussteigen aus der Spirale der Lockerungsdebatte". Mit Blick auf deren Befürworter sagte sie im "Tagesspiegel": "Was uns (FDP-Chef Christian) Lindner, (NRW-Ministerpräsident Armin) Laschet und Co. als Exitstrategie verkaufen, führt nicht raus aus der Corona-Krise, sondern rein in eine zweite Infektionswelle." Das koste die Wirtschaft wie die Menschen mehr als ein verlängerter Lockdown.

4. Welche Forderungen kommen aus der Wirtschaft?

Angesichts des Konjunktureinbruchs dringen Wirtschaftsverbände auf einen schnellen Ausstieg aus den Anti-Corona-Maßnahmen. Die Industrieverband BDI pocht auf die Vorlage eines klaren Exit-Plans an diesem Mittwoch. "Unsere Unternehmen wollen und müssen wissen, in welchen Stufen das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder anlaufen soll – und zwar nach dem Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am 6. Mai", sagte BDI-Präsident Dieter Kempf den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Jede Woche eines Shutdowns kostet die deutsche Volkswirtschaft einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag an Wertschöpfung."

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Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) forderte, die Beschränkungen noch im Mai zu beenden. "Heben Sie den Lockdown auf, bevor es zu spät ist!", heißt es nach Verbandsangaben in einem Offenen Brief der Spitze um BVMW-Präsident Mario Ohoven an Kanzlerin Merkel. "In großer Sorge um die Zukunft dieses Landes und um den Wohlstand seiner Bürger appellieren wir an die Politik: Beenden Sie die einseitige Fixierung auf eine rein virologische Sichtweise und damit das gefährliche Spiel mit den Zukunftschancen dieses Landes."

Die Bundesregierung rechnet für das gesamte Jahr 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 6,3 Prozent und damit mit dem stärksten Einbruch seit Gründung der Bundesrepublik.

5. Welche Lockerungen sind zu erwarten?

Es wird auf politischer Ebene einmal mehr um Kompromisse und um eine Balance zwischen epidemologischen Vorsichtsmaßnahmen auf der einen und Freiheiten für Wirtschaft und Bevölkerung auf der anderen Seite gehen. Es ist mit weiteren Lockerungen, wie beispielsweise bei den Kontaktbeschränkungen oder beim Sport zu rechnen, der Zeitplan für die Umsetzung können die Länder jedoch frei gestalten – je nach Entwicklung der Infektionszahlen.

Jedoch benötigen Bürger und Unternehmen in der Corona-Krise eine Perspektive in Form eines Zeitplans, wann weitere Schritte in Richtung Normalität unternommen werden können. Angesichts des unklaren Verlaufs der Pandemie werden Bund und Länder dabei jedoch Vorsicht walten lassen, um keine falschen Hoffnungen zu wecken.

Lediglich eine Sache ist klar: Es wird am Mittwoche weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen geben – aber die Schritte werden weiterhin klein bleiben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen afp und dpa
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