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Coronavirus-Ausbruch in Deutschland: Hilfe, die Mutanten sind da!


Corona-Pandemie in Deutschland
Hilfe, die Mutanten sind da!

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 19.02.2021Lesedauer: 6 Min.
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"Unsere Kräfte sind am Ende": Das Personal auf dieser deutschen Krankenhaus-Intensivstation schlägt Alarm – und sieht nur einen Ausweg. (Quelle: Reuters)

Die Mutationen des Coronavirus breiten sich in Deutschland immer weiter aus. Damit steigt auch die Gefahr, dass Impfstoffe nicht mehr ausreichend wirken. Es droht eine neue Pandemie.

Karneval ist immer die Zeit der Mutanten. Vor allem jüngere Menschen kennen sie als Helden aus Comics oder Science-Fiction-Filmen, viele verkleiden sich Jahr für Jahr als sprechende Schildkröten oder als Menschen mit Superkräften. Aber durch Corona kam alles anders: Durch die Pandemie fiel in diesem Jahr nicht nur Karneval ins Wasser, sondern Mutanten wurden zum Sinnbild einer Gefahr, die Menschenleben und die Hoffnung auf eine zeitnahe Rückkehr zu einem normalen gesellschaftlichen Leben bedroht.

Das Coronavirus mutiert, in unterschiedlichen Teilen der Welt auf unterschiedliche Weise. Diese neuen Virusvarianten haben Europa und Deutschland längst erreicht.

Sie sind offenbar aus zwei Gründen gefährlicher als ihre Vorgänger:

  • Einerseits sind die bekannten Mutationen ansteckender und werden somit zu einer noch größeren Bedrohung für eine Überlastung der Krankenhäuser.
  • Anderseits gibt es Hinweise darauf, dass zwei der bisher bekannten Mutanten Menschen anstecken, die bereits eine Corona-Infektion hatten. Das steigert die Befürchtung einiger Forscher, dass die entwickelten Impfstoffe gegen die neuen Varianten nur unzureichend schützen.

Es ist bislang noch unklar, ob sich diese ersten Beobachtungen von Wissenschaftlern bestätigen. Eines steht aber fest: Zumindest die mRNA-Impfstoffe könnten zwar vergleichsweise einfach angepasst werden, aber die Produktion der neuen Vakzine würde erneut viel Zeit in Anspruch nehmen. Durch die Mutationen droht eine neue Pandemie, vorschnelle Lockerungen der Corona-Maßnahmen wären gefährlich, da die Mutationen noch nicht ausreichend erforscht sind.

Drei Corona-Mutationen sind eine Gefahr

Für Virologen war die Mutation des Coronavirus keine Überraschung. Für derartige Viren ist dieser Vorgang normal, sie entwickeln sich weiter, um schneller mehr Wirte zu finden. Dieser naturgegebene Überlebensmechanismus ist in unserer gut vernetzten Welt unheimlich erfolgreich, die neuen Versionen des Coronavirus verbreiten sich rasant. Experten sprechen von einer "bedenklichen Variante" (VOC), wenn sie sich entweder schneller verbreiten kann als ihre Vorgänger oder sie die Fähigkeit entwickelt hat, dem Immunsystem auszuweichen, das sie bekämpft.

Momentan liegt der Fokus auf drei gefährlichen Mutationen:

1. Die britische Mutation B.1.1.7

Die Mutation B.1.1.7 wurde im September 2020 zuerst in Großbritannien entdeckt. Seither breitete sie sich schnell in Europa aus und droht innerhalb kürzester Zeit zur vorherrschenden Coronavariante auf dem Kontinent zu werden.

Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Mutation deutlich ansteckender ist als ihre Vorgänger. "Um 70 Prozent", meinte der britische Premierminister Boris Johnson noch Anfang des Jahres. Das ist aber bislang wissenschaftlich nicht erwiesen und gilt nur als Schätzwert. Der Virologe Alexander S. Kekule sprach wiederum im "Deutschlandfunk" von einer etwa 20 bis 30 Prozent höheren Infektiosität gemäß den Zahlen aus England. Britische Wissenschaftler gehen davon aus, dass B.1.1.7 ein höheres Risiko für schwere Krankheitsverläufe und insgesamt eine höhere Sterblichkeitsrate mit sich bringt. Aber für verlässliche Aussagen ist die momentane Datenlage noch zu knapp.

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Hoffnung dagegen macht, dass die bekannten Impfstoffe auch gegen die Mutation zu wirken scheinen. Generell bereite die britische Variante deshalb "am wenigsten Kopfschmerzen", erklärte der Gießener Virologe Friedemann Weber dem "Deutschlandfunk" und verwies auf entsprechende Studien. Sorgen macht allerdings, dass B.1.1.7 in Großbritannien bereits wieder mutiert ist und dass die neue Variante wiederum Charakteristika von der "südafrikanischen Mutation" aufweist.

2. Die Südafrika-Mutante B.1.351

Mit der südafrikanischen Variante B.1351 ist eine weitere Mutation auf dem Vormarsch, sie wurde erstmals im Oktober 2020 in Südafrika entdeckt. B.1.351 soll ähnlich ansteckend wie die britische Mutation sein, aber sie ist offenbar noch gefährlicher, weil sie weniger angreifbar durch Antikörper ist.

"Es ist erstaunlich und erschreckend, wie schnell sie sich durchgesetzt hat", sagte Richard Lessells von der KwaZulu-Natal Research and Innovation Sequencing Platform (KRISP) der "Washington Post". In Südafrika ist die Mutation bereits für über 90 Prozent der Neuinfektionen verantwortlich.

Auch hier ist die Datenlage noch unklar, aber südafrikanische Forscher gehen davon aus, dass die Wirkung von Antikörpern gegen B.1.351 im Vergleich zur herkömmlichen Corona-Variante um das Zehnfache verringert ist. Vor allem mRNA-Impfstoffe – wie der von Pfizer /Biontech – scheinen trotzdem wirksam zu sein und können so schwere Covid-19-Erkrankungen verhindern. Leichte Krankheitsverläufe scheinen aber trotz Impfung möglich.

Sorgen bereitet dagegen der Vektorimpfstoff von Astrazeneca. Eine Vorab-Studie der Johannesburger Wits Vaccines and Infectious Diseases Analytics (VIDA) kam zu dem vorläufigen Ergebnis, dass die Schutzwirkung gegen B.1.351 "minimal" sei, daraufhin setzte die südafrikanische Regierung den Einsatz des Impfstoffes aus. Eine Studie der Universitäten Witwatersrand und Oxford kam zu einem ähnlichen Ergebnis.

3. Die brasilianische Mutation P.1

Die "Brasilien-Variante" P.1 hat große Ähnlichkeiten mit der Mutation aus Südafrika. Sie soll ebenfalls deutlich ansteckender sein als ihre Vorgänger, außerdem infizierten sich offenbar im brasilianischen Manaus Menschen mit der neuen Variante, die bereits eine Infektion hinter sich haben.

Aber besonders zur brasilianische Mutation gibt es wenig Daten, die Variante muss für weitere Rückschlüsse weiter erforscht werden.

Spahn mahnt zu Vorsicht

Momentan kann lediglich verlässlich festgehalten werden, dass sich die Mutationen rasant verbreiten – alle drei Varianten wurden auch schon in Deutschland nachgewiesen. Nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) stieg der Anteil des zuerst in Großbritannien entdeckten Typs binnen zwei Wochen von knapp 6 auf mehr als 22 Prozent. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte dazu: "Wir müssen mit Blick auf die Mutationen sehr vorsichtig sein, wenn wir jetzt langsam den Lockdown verlassen."

In Europa und Deutschland ist vor allem die britische Variante auf dem Vormarsch. Spahn warnt: "Wir müssen damit rechnen, dass die Variante bald auch bei uns die dominierende werden könnte." Die Südafrika-Mutation hat nun einen Anteil von 1,5 Prozent. Dies ermittelte das RKI Spahn zufolge in einer repräsentativen Stichprobe von 23.000 positiven Testergebnissen.

Brauchen wir neue Impfstoffe?

Die Angst vor den Mutationen sorgte unter anderem dafür, dass die Bundesregierung bei einer möglichen Lockerung der Corona-Maßnahmen auf die Bremse trat und als Voraussetzung dafür eine 7-Tage-Inzidenz von 35 angeben hat – zuvor wurde 50 als Zielwert angepeilt.

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Viel wird davon abhängen, ob sich die derzeit produzierten Impfstoffe gegen die Mutationen als wirksam erweisen. Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Der britische Verkehrsminister Grant Shapps sprach von einer "sehr großen Besorgnis unter den Wissenschaftlern", dass Impfstoffe auf die südafrikanische und brasilianische Variante des Virus nicht in gleicher Weise anspringen könnten wie bei der Ursprungsform.

Deutlich optimistischer können Pfizer und Biontech sein. Ihr Impfstoff schützt einer aktuellen Untersuchung zufolge wahrscheinlich auch vor der südafrikanischen Virusvariante – allerdings ist die Zahl der dagegen gebildeten Antikörper wohl geringer. Das berichten Wissenschaftler im "The New England Journal of Medicine". Sie hatten im Labor überprüft, inwieweit sich mit dem Blutserum geimpfter Personen Viren mit verschiedenen Mutationen neutralisieren lassen. Bei der südafrikanischen Variante war die Zahl der neutralisierenden Antikörper geringer, die Neutralisierungsrate des Impfstoffs um etwa zwei Drittel reduziert.

Es sei noch unklar, welchen Effekt dies genau für die Wirkung der Impfung gegen die südafrikanische Virusvariante habe, schreiben die Wissenschaftler von der University of Texas Medical Branch. Für die Schutzwirkung eines Impfstoffes ist nicht allein die Menge der gebildeten Antikörper wichtig, das Immunsystem zeigt nach einer Impfung weitere schützende Reaktionen, etwa die Bildung von T-Zellen.

Laut den Impfstoffherstellern soll ihr Vakzin gegen alle bekannten Mutationen wirksam sein. Biontech-Gründer Şahin sagte dazu: "Die Immunreaktion durch dieses Vakzin kann auch mit dem neuen Virus umgehen." Die mRNA-Impfstoffe von Pfizer/ Biontech oder Moderna könnten außerdem vergleichsweise schnell an neue Mutationen angepasst werden. Das wäre allerdings dann ein neuer Impfstoff, der in der Europäischen Union (EU) neu zugelassen werden müsste.

EU will schneller reagieren

Dabei kommt wiederum die EU-Kommission ins Spiel, die wegen der Mutationen im Vorfeld eine schnelle Reaktion angekündigt hat. Kommissionschefin Ursula von der Leyen will nach dem insgesamt verpatzten Impfstart der EU für den Kampf gegen die neuen Virusvarianten mobil machen. Das Ziel: rasch angepasste Impfstoffe in großen Mengen. "Neue Varianten des Virus entwickeln sich schnell, aber wir müssen in unserer Reaktion noch schneller sein", sagte sie. Dafür legte sie einen Plan vor, der an drei Stellen ansetzt: Entdeckung der mutierten Viren, schnelle Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen und mehr Produktion in der EU.

So will die Kommission 75 Millionen Euro in die Entwicklung neuer Tests und den Ausbau von Virustyp-Analysen (Sequenzierung) stecken, die Varianten aufspüren können. Zur Erforschung der Varianten sollen 150 Millionen Euro hinzukommen. Ein Netzwerk aus 16 EU-Staaten und fünf weiteren Ländern soll klinische Tests beschleunigen, auch bei Kindern und Jugendlichen. Zugleich orderte die Kommission nochmals bis zu 300 Millionen Dosen des bereits zugelassenen Impfstoffs des US-Herstellers Moderna.

Letztlich müssten Länder wie Deutschland beim Impfen in der Pandemie aber fast bei null anfangen, sollten die Impfstoffe wegen der Mutationen an Wirksamkeit verlieren. Wenn ein neuer Impfstoff produziert und verimpft werden müsste, wäre ein Ende der Corona-Maßnahmen nicht in Sicht – und möglicherweise ein noch längerer Lockdown erforderlich. Die Corona-Pandemie bleibt also ein Kampf gegen eine Naturkatastrophe, die nur schwer auszurechnen ist. Dabei sind Mutanten keine Comic-Helden mehr, sondern eine weitere lebensbedrohliche Gefahr in dieser Pandemie.

Verwendete Quellen
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