Corona-Krise in Deutschland Die Rufe nach einem hartem Lockdown werden lauter

Wie schafft es Deutschland aus der dritten Pandemie-Welle? Der Lockdown muss verschärft werden, da sind sich immer mehr Fachleute und Politiker sicher.
Die dritte Corona-Welle rollt und dennoch schlagen einige Bundesländer einen Öffnungskurs ein – bei medizinischen Experten sorgt das für Entsetzen. So fordern die Intensivmediziner einen harten Lockdown und sofortigen Stopp aller geplanten Öffnungsschritte: "Die Beschlüsse für Modellprojekte nach Ostern sind völlig unpassend und müssen von Bund und Ländern sofort zurückgenommen werden", sagte Christian Karagiannidis, der Präsident der Intensivmediziner-Gesellschaft DGIIN, der "Rheinischen Post".
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"Es braucht eine Mischung aus hartem Lockdown, vielen Impfungen und Tests. Nur so lässt sich ein Überlaufen der Intensivstationen noch verhindern", sagte er. Ein solcher Lockdown müsse bundesweit gelten und zwei Wochen dauern. "Ich bitte die Politik, das Krankenhauspersonal nicht im Stich zu lassen." Auch andere Mediziner und Virologen hatten den Öffnungskurs mancher Länder kritisiert.
Auch Spahn hält weiteren Lockdown für nötig
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält einen weiteren Lockdown für erforderlich. "Wenn wir die Zahlen nehmen, auch die Entwicklungen heute, brauchen wir eigentlich noch mal 10, 14 Tage mindestens richtiges Runterfahren unserer Kontakte, unserer Mobilität", sagte Spahn bei einer Online-Diskussionsveranstaltung der Bundesregierung, bei der Bürgerinnen und Bürger Fragen stellen konnten.
Nötig sei ein Lockdown ähnlich wie an Ostern im vergangenen Jahr, so der Gesundheitsminister. Er selbst würde auch lieber Ostern im größeren Kreis der Familie feiern, sagte er. "Aber es geht halt dieses Jahr noch nicht." Wenn es gelinge, diese Welle zu brechen bevor sie im April zu groß werde, dann seien anschließend auch Öffnungsschritte möglich.
Lauterbach rechnet mit bis zu 50.000 Infizierten pro Tag
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Es ist ganz klar, dass wir im exponentiellen Wachstum sind und innerhalb von kurzer Zeit Tageszahlen von 30.000, 40.000, 50.000 Infizierten erreichen können." Einige andere Länder ziehen deshalb auch die "Notbremse" und verschärfen Maßnahmen wieder.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Samstagmorgen eine Sieben-Tage-Inzidenz von 124,9. Damit ist der Wert so hoch wie seit dem 19. Januar (131,5) nicht mehr. Am Freitag hatte das RKI die Inzidenz noch mit 119,1 angegeben, vor zwei Wochen lag sie bei 76,1. Die Sieben-Tage-Inzidenz gibt die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche an und ist eine wichtige Kennzahl zum Pandemieverlauf. Zudem meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland dem RKI im Laufe des Freitags 20.472 neue Corona-Infektionen. Darüber hinaus wurden innerhalb von 24 Stunden 157 neue Todesfälle verzeichnet. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 16.033 Neuinfektionen und 207 neue Todesfälle verzeichnet.
Bund und Länder einigten sich auf Modellprojekte
Trotz der seit längerem steigenden Zahlen hatten Bund und Länder auf der Ministerpräsidentenkonferenz zu Beginn der Woche beschlossen, dass die Länder in "ausgewählten Regionen" in "zeitlich befristeten Modellprojekten" einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens testweise öffnen dürfen, "mit strengen Schutzmaßnahmen und einem Testkonzept". Mehrere Länder haben angekündigt, gleich mehrere Modellregionen entsprechend zu öffnen. Das Saarland will nach Ostern sogar das ganze Land öffnen – bisher auch ohne eine Befristung.
Das Land steht laut Daten des Robert Koch-Instituts von Samstagmorgen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 69,7 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner im Bundesvergleich (124,9) zwar relativ gut da, aber mit steigender Tendenz. Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) verteidigt die Entscheidung: "Wir sind ein kleines Land, unsere Testinfrastruktur ist gut aufgestellt, und aktuell das Infektionsgeschehen moderat – also gute Voraussetzungen um dies saarlandweit zu tun", sagte er der "Bild"-Zeitung. "Ein Jahr nach der Corona-Pandemie muss uns jetzt mehr einfallen als nur zu schließen und zu beschränken." Er fügte an: "Deshalb werden wir die Tests noch stärker ausweiten, das Impfen beschleunigen und unter strengen Hygieneauflagen mehr Freiheiten ermöglichen." Sollten "die Infektionszahlen exponentiell steigen, werden wir rechtzeitig die Notbremse ziehen".
"Verständliches Bedürfnis, dass sich alles wieder etwas normalisiert"
Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, befürwortet weitere Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen. "Jetzt muss auch der Erschöpfung der Menschen durch kluge Öffnungen Rechnung getragen werden", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Mit den absolvierten Impfungen der alten Menschen, dem Beheben der Impf- und Testprobleme und guter Organisation sollte es klappen, wieder Zusammenkünfte von mehr Menschen als bislang zu ermöglichen. Und Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger sagte der "Heilbronner Stimme": "Es geht um das verständliche Bedürfnis, dass sich alles wieder etwas normalisiert, hier muss die Politik Perspektiven aufzeigen."
An der Sicherheit der viel beschworenen Schnelltests gibt es inzwischen aber starke Zweifel. "Antigentests sind bei weitem nicht so sicher, wie man glaubt", sagte Lauterbach den Funke-Zeitungen. Studien zeigten: "Wenn jemand wirklich asymptomatisch ist, schlägt der Schnelltest in sechs von zehn positiven Fällen an. In vier von zehn Fällen ist der Test negativ."
Umfrage in Bevölkerung: 36 Prozent wollen Verschärfung
Inzwischen sprechen sich auch wieder mehr Menschen für eine Verschärfung als eine Lockerung der Maßnahmen aus, wie das ZDF-Politbarometer ergab. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) will sie verschärfen, knapp ein Drittel (31 Prozent) beibehalten und ein Viertel (26 Prozent) lockern.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der gleich acht öffnende Modellregionen einrichten will, bittet die Menschen zugleich, sich Ostern weiter an die Corona-Regeln zu halten. "Ziviler Ungehorsam hilft am Ende niemandem – weder dem Einzelnen noch allen. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Hilfen, die einige bekommen, gibt es nur, weil andere sie mitfinanzieren. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Solidarität hoch halten", sagte er der "Passauer Neuen Presse" und dem "Donaukurier".
- Nachrichtenagentur dpa