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Vierte Corona-Welle droht: Haben wir nichts gelernt?


Nächste Corona-Welle droht
Haben wir nichts gelernt?

  • Annika Leister
Von Annika Leister

30.06.2021Lesedauer: 6 Min.
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Kanzlerin Angela Merkel (CDU): Sie hält sich in den letzten Monaten eher im Hintergrund.Vergrößern des Bildes
Kanzlerin Angela Merkel (CDU): Sie hält sich in den letzten Monaten eher im Hintergrund. (Quelle: Eibner/Uwe Koch/imago-images-bilder)

Folgt auf einen entspannten Sommer die vierte Welle? Diese Sorge wächst bei immer mehr Menschen. Sie klagen: Deutschland drohe ähnliche Fehler zu machen wie ein Jahr zuvor – ein Überblick.

Es ist 2021, Monat 15 der Corona-Pandemie in Deutschland. Doch wer die Nachrichten liest, fühlt sich zurückversetzt ins letzte Jahr: Verzweifelte Eltern fordern Luftfilter für Schulen, Politiker diskutieren über Reiserückkehrer, die aber kehren frisch aus dem Flieger zurück ins Großraumbüro – denn gerade ist die Homeoffice-Pflicht gefallen.

Dabei gab es in letzter Zeit keine größeren Engpässe bei Impfstofflieferungen. Ein Großteil der Bevölkerung könnte in wenigen Monaten vollgeimpft sein. Doch die ansteckendere Delta-Variante kursiert – und immer mehr Menschen lassen Impftermine verstreichen oder sagen diese wieder ab. (Mehr dazu lesen Sie hier.) Will die Bundesregierung das Rennen zwischen verabreichten Impfungen und Neuinfektionen gewinnen und eine vierte Welle vermeiden, ist weiterhin gute Pandemiepolitik gefragt.

"Man darf die gleichen Fehler nicht zweimal machen", warnte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Dafür scheint es in einigen Bereichen allerdings bereits zu spät. Ein Blick in vier Pandemie-relevante Bereiche: Reisen, Homeoffice, Teststellen, Schulen.

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Reisen ohne Kontrollen und ohne Quarantäne

Die Welt ist für Reisende aus Deutschland in unterschiedliche Risikostufen eingeteilt: einfache Risikogebiete, Hochinzidenzgebiete und Virusvariantengebiete. Ein Knackpunkt bei der Einreise nach Deutschland: Wer aus einem einfachen Risikogebiet kommt, muss innerhalb von 48 Stunden einen negativen Corona-Schnelltest vorlegen und wird von der Quarantäne befreit. Wer sich aber erst am Tag der Abreise oder kurz zuvor infiziert, wird den Test passieren – und muss sich nicht erneut testen und nicht in Quarantäne, kann also das Virus gänzlich unbewusst weiterverbreiten.

Experten wie Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) schlagen hier erneutes Testen fünf Tage nach der Einreise und bis dahin häusliche Isolation vor: "Es wäre eine kluge Regelung, wenn man in den fünf Tagen dazwischen für diejenigen, die aus Risikogebieten kommen, sogar Quarantäne vorsehen würde", sagte er.

Immer wieder wird auch die Zahl der Kontrollen kritisiert. Denn das negative Testergebnis muss beim Einsteigen ins Flugzeug im Ausland vorgezeigt werden und wird von Fluglinien überprüft. Bei der Grenzüberquerung mit dem Auto wird oft gar nichts gecheckt. Ob die anschließende Quarantäne tatsächlich eingehalten wird, ist in Deutschland stark von der Freiwilligkeit der Reisenden abhängig. Harte Kontrollen der Gesundheitsämter oder Instrumente wie "Überwachungsarmbänder", wie zum Beispiel in Israel, gibt es nicht.

Die einzigen behördlichen Kontrollen bei der Einreise nimmt die Bundespolizei vor – in Stichproben. Auf Anfrage von t-online teilt eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums mit: In einem halben Jahr – zwischen dem 14. Januar und dem 27. Juni 2021 – habe die Bundespolizei rund 7,7 Millionen Kontrollen durchgeführt. 4,7 Millionen davon an den Landesgrenzen, 2,9 Millionen an den Luftgrenzen. Dabei habe man rund 208.500 Verstöße festgestellt, darunter rund 13.670 Verstöße gegen das Beförderungsverbot.

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Zu wenige Kontrollen in Zeiten, in denen Delta ferngehalten werden solle und die Sommer-Reiselust grassiere, kritisieren Ministerpräsidenten wie Berlins Michael Müller und Manuela Schwesig. Sie drängten in dieser Woche auf härtere Einreiseregeln. Nach Medienberichten soll aber nur Schwesig einen konkreten Verbesserungsvorschlag eingebracht haben: Mindestens fünf Tage Quarantäne auch bei der Rückkehr aus einem Risikogebiet. Doch Schwesig blieb mit dem Vorschlag allein, kein anderes Land wollte folgen.

Die Parteien scheuen sich davor, den Deutschen kurz vor der Wahl den Urlaub zu vermiesen. Das Treffen endete ohne Ergebnis, die Debatte hält an.

Rapider Rückgang bei Teststellen

Die ausbleibende Verschärfung der Reiseregeln hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit Blick auf eine hohe Zahl an Testmöglichkeiten verteidigt. "Mittlerweile haben wir sehr niedrigschwellig Millionen von Tests", sagte er. Vor einem Jahr sei das noch anders gewesen.

Doch nachdem Spahns Ministerium die Vergütungen für Corona-Tests gesenkt hat und viele Länder strengere Kontrollen bei den Testanbietern angekündigt haben, ändert sich das: Die Zahl der Testangebote sinkt. In Berlin waren es zur Hochzeit im Mai mehr als 1.600 Teststellen – mittlerweile sollen es nur noch rund 1.000 sein, wie der "Tagesspiegel" berichtet. Ein rapider Schwund, der noch lange nicht beendet sein könnte.

Raus aus dem Homeoffice, zurück ins Büro

Mit Ende des Monats Juni endet auch die gesetzlich festgelegte Homeoffice-Pflicht des Bundes. Für viele Beschäftigte bedeutet das: Der Chef ordert zurück in die Großraumbüros. Dabei sind gerade auch bei Büroangestellten viele erst einmal geimpft – wenn überhaupt. "Neue Regelungen fehlen bisher, auf Bundesebene und in den Betrieben", sagt Norbert Reuter, Leiter der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung im Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi, zu t-online.

Wann neue Regeln kommen, sei unklar. Reuter sieht "jetzt erstmal ein Zurückfedern". Viele Arbeitnehmer ziehe es zurück ins Büro, weil sie die Kollegen vermissten, weil der Platz zu Hause nicht reiche oder die Ausrüstung schlecht sei. Damit verbunden sei natürlich ein Risiko: "Die Gefahr besteht, dass wir zu früh zurückkehren." Besonders wichtig seien deswegen weiterhin Sicherheitsregeln in Büros – Maskenpflicht, Testangebote, Plexiglasscheiben zwischen Arbeitsplätzen.

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"Die Regelung müsste natürlich verlängert werden, insbesondere in Anbetracht der kommenden vierten Welle im Herbst", sagt Grünen-Politikerin Laura Dornheim t-online. Sie hat das Thema Homeoffice in der Pandemie eng betreut und vorangetrieben, auch zurzeit erhält sie viele Klagen von Beschäftigten über Druck von Vorgesetzten. "Fahrlässig" und "unverhältnismäßig" findet Dornheim die nun mögliche Rückkehr in die Büros. "Diesmal gefährden wir am meisten Familien mit kleineren Kindern, weil die eben noch nicht geimpft werden können."

Norbert Reuter von Verdi sieht aus einem noch ganz anderen Grund dringenden Regelungsbedarf für das Homeoffice: Es bestehe die große Gefahr, dass Banken, Versicherungen und ähnliche Arbeitgeber, bei denen mobiles Arbeiten gut umsetzbar sei, die neue Möglichkeit für "eine weitere Kostensenkungsrunde" nutzten – und Kosten für Büroraum, Heizung, Möbel oder Ausstattung auf die Beschäftigten verlagerten, indem sie sie ins Homeoffice schickten. "Wichtig sind gesetzliche Regelungen, die Freiwilligkeit und die Bedingungen fürs Homeoffice festschreiben."

Schulen ohne Filter

"Das kommt viel zu spät", sagt Ines Weber am Telefon. "Da diskutieren wir seit einem Jahr drüber – und im Herbst wird es uns wieder auf die Füße fallen." Weber klingt nicht sauer, eher resigniert. Die Sächsin sitzt im Bundeselternrat, der Dachorganisation der Landeselternvertretungen in Deutschland, Repräsentanz von rund acht Millionen Schüler-Eltern. Sie spricht über Luftfilter, die als Heilsbringer im Kampf gegen Corona in Innenräumen gelten: Mit ihnen können die Viren recht einfach aus der Luft gefangen werden.

Bekannt ist das schon lange, getan hat sich seither in den meisten Bundesländern wenig. Inzwischen starten Eltern Petitionen online, mit Titeln wie "Jetzt sind die Kinder dran! Baut endlich Luftreiniger in die Schulen!"

Weil die Luftfilter nicht auch CO2 und Wasserdampf aus der Raumluft entfernen, empfiehlt das Umweltbundesamt sie bloß als ergänzende Maßnahme zum Stoßlüften. Und einige Bundesländer nutzen den Hinweis auf das Umweltbundesamt, um weitgehend tatenlos zu bleiben. Aus den Kultus- und Bildungsministerien in Ländern wie Sachsen oder Nordrhein-Westfalen heißt es: Daten zur Aufrüstung mit Luftfiltern bei den Schulen lägen ihnen nicht vor. Nicht unsere Zuständigkeit, verantwortlich sind die Schulträger.

Eine deutliche Ausnahme bildet hier das finanzstarke Bayern. Auf Nachfrage von t-online listet das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus detailliert auf, dass bereits 1.050 Schulträger für rund 14.000 Räume eine Förderung für Luftfilter erhalten haben. Und am Dienstag kündigte Ministerpräsident Markus Söder an, dass es im Herbst in jedem Klassenzimmer und den Kitas des Landes mobile Lüfter geben solle. Bayern will 50 Prozent der Kosten für mehr als 100.000 Geräte übernehmen.

Für Elternvertreterin Weber ist nicht zu verstehen, warum die Politik in anderen Ländern die Schulen so im Stich lasse. Dass die Umsetzung im letzten Jahr nicht gleich gelang – geschenkt. "Aber man hätte letzten Sommer gleich damit anfangen müssen, man hätte Pilotprojekte starten können, Planungsphasen einleiten und Kosten freistellen können", sagt die Ingenieurin. Eine Luftfilter-Pflicht müsse auch in jeder Bauordnung für neue Schulen fest verankert werden. Aber auch hier: Fehlanzeige.

Spätestens nach den Sommerferien kehren die Schulen wieder zurück zum vollen Präsenzunterricht, in den Klassenräumen wird es so voll werden wie seit einem Jahr nicht. Und im Gegensatz zur Restbevölkerung sind Kinder und Jugendliche dann noch kaum geimpft. Befürchtet werden Corona-Meldungen, Klassen in Quarantäne, Schulschließungen – Bilder wie im Frühjahr 2020. "Dauerhafte volle Präsenz im Herbst und Winter bleibt so ein Traum", sagt Weber. "Hoffen wir, dass es wenigstens ein paar Wochen gut geht."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Ines Weber, Norbert Reuter, Laura Dornheim
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