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Olympia 2021: "Cancel Culture" ist im Fall Moster angebracht


Olympische Spiele
"Cancel Culture" ist im Fall Moster angebracht

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 29.07.2021Lesedauer: 5 Min.
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Sportdirektor Patrick Moster: Er soll aus Tokio abreisen. Nicht genug, findet unsere Kolumnistin.Vergrößern des Bildes
Sportdirektor Patrick Moster: Er soll aus Tokio abreisen. Nicht genug, findet unsere Kolumnistin. (Quelle: Schwenke/imago-images-bilder)

Nachdem er Sportler als "Kameltreiber" bezeichnete, soll Patrick Moster aus Tokio abreisen. Das aber reicht noch lange nicht, findet unsere Kolumnistin. Die Verantwortlichen meiden klare Entscheidungen – nicht nur in diesem Fall.

Es ist ein besonders schlimmer Fall von Rassismus im deutschen Olympiateam: Der Leistungssportdirektor des Bunds Deutscher Radfahrer, Patrick Moster, rief seinem Athleten zur Anfeuerung zu: "Hol' die Kameltreiber, hol' die Kameltreiber, komm." Gemeint waren der Algerier Azzedine Lagab und der Eritreer Amanuel Ghebreigzabhier. Diese beiden sollte sein Schützling Nikias Arndt durch die Anfeuerung seines Trainers einholen.

Der Fall ist deshalb so schlimm, weil die Worte unbewusst, aus der Emotion und dem Eifer des Gefechts beim olympischen Zeitfahren aus Patrick Moster herausgesprudelt sind. In einem kurzen Moment am Streckenrand, in dem er sich unbeobachtet fühlte, offenbarte sich sein Innerstes. Er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Hätte man Patrick Moster danach gefragt, ob er etwas gegen Algerier oder Eritreer habe, hätte er dies gewiss mit einer großen Geste der Empörung von sich gewiesen.

Wegen Moster bleibt der Eindruck: "Die deutschen Nazis mal wieder!"

"Kameltreiber", "Ölaugen", "Kanaken". Das sind die Schimpfworte, die ich in meiner Kindheit schon auf dem Schulhof dauernd hören musste – damals, als der 54-jährige Patrick Moster ein Teenager war. Offenbar sitzen sie bei ihm so fest, dass er den inneren Unterdrückungsmechanismus erst aktiv einschalten muss, damit er sie nicht ausspricht. Das ist eines der Hauptprobleme mit dem Rassismus – er steckt zu vielen Menschen so tief im Inneren, dass sie selbst von ihm überrascht werden.

Ich glaube Patrick Moster, dass er nun womöglich über sich selbst erschrocken ist und sich Vorwürfe macht. Seine Bitte um Entschuldigung klingt glaubwürdig, dennoch ist er unter den gegebenen Umständen als Sportdirektor nicht zu halten. Er sollte seinen Posten aufgeben oder entlassen werden. Er ist ein wichtiger Funktionär und damit Führungsfigur. Er muss anderen ein Vorbild sein.

Zudem vertrat er Deutschland bei einem großen internationalen Wettkampf. Seinetwegen bleibt nun der Eindruck in der Welt: "Die deutschen Nazis mal wieder!"

Rassismus gehört auf den Index

Patrick Moster von seinem Posten zu entheben, wird zwar in Sachen Rassismus unmittelbar nichts ändern, aber es erhöht den Druck auf andere, in sich zu gehen und ihre eigenen Vorstellungen zu hinterfragen. "Cancel Culture" – hier ist sie angebracht. All jene haben recht, die behaupten, man dürfe in Deutschland nicht alles sagen. Genau so muss es an dieser Stelle sein. Rassistische Äußerungen gehören auf den Index. Und wenn Menschen darüber nicht freiwillig in sich gehen wollen, muss man sie eben zwingen.

Klare Entscheidungen sind gefordert. Aber im Fall von Rassismus tut sich der deutsche Sport schwer. Nach der pflichtschuldigen und routinierten Verurteilung von Äußerungen folgt erst mal nichts. Ex-Schalke-Boss Clemens Tönnies bekam nach seiner Beleidigung von Afrikanern eine Auszeit aufgebrummt und wurde vom Ehrenrat entlastet. Der Deutsche Olympische Sportbund erklärte zunächst, er wolle den Vorfall mit Patrick Moster in Ruhe aufarbeiten. Als der öffentliche Druck steigt, wird Moster erst mal vorzeitig nach Hause geschickt. Der Bund Deutscher Radfahrer will mit ihm ein Gespräch führen – nach den Olympischen Spielen.

Warum danach?

Nikias Arndt zeigte sich da weniger zögerlich. Nach seinem Wettkampf griff er zum Smartphone und twitterte eine Distanzierung von seinem Chef. Wie gesagt, gegen Rassismus sind klare Entscheidungen gefordert.

Wer nicht gegen einen Israeli antreten will, gehört gesperrt

Das gilt ebenso für zwei andere Fälle in Japan. Sie betreffen den Judo. Hier müssen die Sportverbände und das Internationale Olympische Komitee (IOC) ebenfalls durchgreifen. Wer nicht gegen einen Israeli antreten will bei internationalen Turnieren, gehört gesperrt – und zwar lebenslänglich. Möglicherweise nicht nur für Olympische Spiele, sondern auch für Welt- und Europameisterschaften und alle anderen internationalen Turniere.

Der Algerier Fethi Nourine und sein Trainer Amar Ben Yaklif verweigerten wegen des Nahostkonflikts den Kampf gegen Tohar Butbul. Auch der Sudanese Mohamed Abdalrasool trat nicht gegen den Israeli an – vermutlich aus denselben Gründen. Offiziell gab Mohamed Abdalrasool andere Gründe an, allerdings sind manche Akteure zu feige und fürchten drohende Sperren. Fethi Nourine und sein Trainer sind da eine Ausnahme. Sie bitten förmlich um die Sperre.

Sport kann nur funktionieren, wenn Wettkämpfer gegeneinander antreten. Wenn sich politische Kontrahenten gegenüberstehen, nennt man das für gewöhnlich Krieg. Insbesondere die Olympischen Spiele stehen von jeher für Völkerverständigung und friedliches Miteinander. Schon im alten Griechenland haben die Kontrahenten vor dem sportlichen Wettkampf ihre Waffen niedergelegt. Es galt die heilige Waffenruhe, Ekecheiria, der olympische Friede.

Dass Israel-Boykotte ausgerechnet im Judo immer wieder vorkommen, ist erstaunlich. Ausgerechnet im Judo! Fängt nicht jeder Kampf mit "Rei" an – selbst im Training? Mit einer verbeugenden Begrüßung? Fethi Nourine und sein Trainer Amar Ben Yaklif haben ihren eigenen Sport nicht verstanden. Was wollen sie dann noch dabei?

Schulterklopfer aus der antiisraelischen Welt

Den Respekt für den Gegner haben sie Tohar Butbul auf schlimme Art verweigert. Sie haben ihn sich einzeln herausgepickt und ungefragt in ihre Politshow hineingezogen. Wochen-, monate- und jahrelang hatte er für diesen Wettkampf in Japan hart trainiert – und dann wird er von ihnen für ihren Egotrip geopfert.

Zwei Algerier, die Tausende Kilometer entfernt leben, was haben sie mit dem Nahostkonflikt zu tun? Selbst wenn sie persönliche Bezüge zu den Palästinensern hätten, könnte das ihr Verhalten nicht rechtfertigen. Verblendet durch die jahrzehntelange antiisraelische Rhetorik in der arabischen Welt ist ihr Boykott kein Zeichen für die Palästinenser, sondern bloß ein Heischen nach Aufmerksamkeit, nach Schulterklopfern von antiisraelischen Freunden, Verwandten, Landsleuten oder dem eigenen Verband. Wofür? Für nichts. Seit Jahrzehnten haben solche Aktionen noch keiner Palästinenserin und keinem Palästinenser irgendwie geholfen.

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Sie sind ohne israelbezogenen Antisemitismus nicht zu erklären. Das macht die Angelegenheit noch widerlicher. Was ist mit den internierten Uigurinnen und Uiguren? Den vertriebenen und verfolgten Rohingya? Mit dem Leiden der Jemeniten und Jemenitinnen? Dem Unheil der Syrerinnen und Syrer? Für sie ist niemand im orientalischen Raum bei Olympia bereit, ein Zeichen zu setzen – immer nur gegen Israel.

Ägyptens Judoka Islam El Shehaby verweigerte 2016 in Rio seinem israelischen Gegner Or Sasson den Handschlag. Libanons Teamchef Salim al-Haj Nicolas hinderte israelische Athleten daran, im selben Bus zu fahren. Acht Jahre zuvor in Peking wollte der Iraner Mohammad Alirezaei offenbar nicht neben dem Israeli Tom Be'eri ins Becken springen. Irans Judoka Arash Miresmaeili, heute Verbandschef in seinem Land, trat 2004 in Athen nicht gegen den Israeli Ehud Vaks an; der damalige iranische Staatspräsident Mohammed Chātami sprach von einer "nationalen Ruhmestat".

Der Iran macht seine Sportler zu Marionetten

Beim Iran ist es ein offenes Geheimnis, dass er gegen die Werte des Sports verstößt und "seine Waffen" gegenüber Israel nicht niederlegt. Das Regime macht seine Sportlerinnen und Sportler zu Marionetten. Das Land hat bei Olympischen Spielen nichts verloren. Der Iraner Saeid Mollaei ist vor diesen Vorgaben aus Teheran vor zwei Jahren geflohen.

Er sollte einem Kampf gegen den Israeli Sagi Muki aus dem Weg gehen, weigerte sich und setzte sich nach Deutschland ab. Jetzt holte er in Tokio eine Silbermedaille für die Mongolei und trat gegen Judenhass ein. "Ich danke Israel für all die gute Energie. Diese Medaille ist auch euch gewidmet, und ich hoffe, Israel ist mit diesem Sieg auch glücklich. Toda!"

Ein Ausschluss von Akteuren wie Patrick Moster, Fethi Nourine, Amar Ben Yaklif oder dem Iran ist nötig. Rassismus und Antisemitismus sind zu hartnäckig, als dass Vernunft und Nachsicht in solchen Fällen noch irgendetwas bewirken könnten. Und sie haben vor allem im Sport nichts zu suchen.

Mehr Kolumnen von Lamya Kaddor lesen Sie hier.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal-Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen und ist Kandidatin der Grünen für den Bundestag. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen.

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