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Robert Habecks Osterpaket: Ist das jetzt der große Wurf?


Habecks Energie-Reformpaket
Ist das jetzt der große Wurf?


Aktualisiert am 06.04.2022Lesedauer: 7 Min.
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Robert Habeck: Mit gut 500 Seiten ins Zeitalter der erneuerbaren Energien. (Quelle: Pool/getty-images-bilder)

Geht es nach Robert Habeck, ist das der große Aufschlag: Mit seinem "Osterpaket" soll Deutschland endlich den Übergang ins Zeitalter der erneuerbaren Energien schaffen – und in die Unabhängigkeit von Russland. Doch an entscheidenden Stellen hakt es noch.

Robert Habeck hatte ohnehin schon kaum Zeit. Jetzt hat er noch viel weniger. Der Klimaschutzminister muss nun nicht nur das Klima schützen, sondern irgendwie auch Deutschlands Sicherheit. Die Energie soll so schnell wie möglich nicht mehr aus Russland kommen, damit Deutschland sich nicht länger vom Kriegstreiber Wladimir Putin erpressen lassen kann.

Es ist eigentlich alles ein bisschen viel. Oder wie Habeck es am Montag formuliert: "Insofern ist Eile geboten, und diese Eile haben wir uns auch zugemutet."

Er hatte sich das alles so schön gedacht. Mit zwei großen Gesetzespaketen wollte Habeck die Energiewende wuppen. Eines sollte zu Ostern kommen, das Osterpaket, und das zweite als Sommerpaket ein paar Monate später. Doch inzwischen haut sein Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz einfach alles so schnell raus, wie es nur irgendwie geht.

So wie am Montag. Zusammen mit Umweltministerin Steffi Lemke gibt Habeck in Berlin eine Pressekonferenz, die eigentlich erst im Zuge des Sommerpakets geplant war. Es geht um einen "schwierigen Komplex", nämlich den Konflikt zwischen Artenschutz und Windkraft, oder plastischer: den zwischen Rotmilan und Rotorblättern. Die Diskussionen dazu hätten sich in den vergangenen Jahren "ganz unglücklich verknotet", sagt Habeck. "Heute ist es gelungen, den Knoten durchzuschlagen."

Doch selbst wenn das stimmt: Habeck muss eben nicht nur beim Artenschutz den Knoten durchschlagen. Es liegen noch viele weitere Knoten vor ihm, damit das mit der Energiewende gelingen kann.

Das Osterpaket, das am Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden soll, ist Habecks großer Aufschlag. Gut 500 Seiten schwer. Fünf Gesetze und zahllose Verordnungen werden angepasst, damit Deutschland einen radikalen Neuanfang beim Ausbau der erneuerbaren Energien hinbekommt, die neuerdings auch gern Freiheitsenergien oder Sicherheitsenergien genannt werden.

Das Osterpaket muss der große Wurf sein, der alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg räumt. Doch ist es das auch? Und wo lauern die Probleme? Vier Hürden im t-online-Check.

1. Erfüllen wir damit die Klimaziele?

Dank großer Neuerungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) soll der Turboausbau für Windkraft und Photovoltaik endlich losrasen. Die Stromerzeugung ab 2035 soll nahezu keine neuen Treibhausgase mehr produzieren.

Für den Etappenstopp 2030 ist bereits ein Ökostromanteil von 80 Prozent vorgesehen. Innerhalb der nächsten acht Jahre muss im Strommix also knapp doppelt so viel grüne Elektrizität fließen wie heute.

Vor allem Sonne und Windräder sollen diesen großen Sprung in kurzer Zeit bewerkstelligen: Quasi überall im Land ließe sich daraus Strom erzeugen, Solar und Windkraft gelten schon jetzt als günstigste Stromarten und die Produktion vor der eigenen Haustür macht unabhängig von Kohle, Gas und Öl aus dem Ausland.

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Um im Jahr 2035 den Strom also "nahezu vollständig" aus erneuerbaren Quellen zu ziehen, wie es im Osterpaket heißt, setzt der Entwurf für ein gedoptes EEG auf deutlich höhere Ausbauraten. Kommen bei Windkraftwerken an Land dieses Jahr nur neue Anlagen mit einer Gesamtleistung von 3 Gigawatt hinzu, sollen ab 2027 jährlich Neubauten im Umfang von 10 Gigawatt ergänzt werden.

Bei der Photovoltaik ist vorgesehen, ab 2028 jedes Jahr Anlagen mit einer Leistung von 20 Gigawatt zuzubauen. Zum Vergleich: 2022 werden alle neuen Solaranlagen wohl insgesamt 7 Gigawatt beisteuern. Mit diesem Ausbauplan der EEG-Novelle könnte es bis 2030 durchaus klappen, bereits 80 Prozent des Stromsektors klimaneutral zu machen. Außer, der Strombedarf steigt schneller, als man im Klimaschutzministerium erwartet.

Bleibt zu hoffen, dass der erhöhte Verbrauch für E-Mobilität, Wärmepumpen, Batterie- und Wasserstoffproduktion im erhofften Rahmen bleibt. An anderen Stellen klaffen Wunsch und Wirklichkeit aus Sicht von Experten aber auch jetzt schon auseinander.

Fragezeichen über dem 1,5-Grad-Ziel

Der Ausbauturbo richtet "den Zubau der erneuerbaren Energien konsequent auf den 1,5-Grad-Klimaschutz-Pfad aus", heißt es im Osterpaket. Eine Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) zeigt allerdings, dass zwischen dem dafür nötigen Zubau und dem Regierungsvorhaben eine große Lücke ist.

Bei neuen Solaranlagen müsste laut den Forschern der HTW mehr als das doppelte der höchsten geplanten Ausbauleistung pro Jahr her. Und das schon ab 2022 statt 2027. Für neue Windräder stimme zwar das jährliche Ausbauvolumen von 10 Gigawatt, dies müsste aber ebenfalls viel früher angestrebt werden. Und selbst dann sei man auf dem Weg zu 1,7 Grad Erwärmung, so die Wissenschaftler.

"1,5 Grad ist sowieso schon durch", sagt der Leiter der Forschungsgruppe an der HTW, Volker Quaschning. Die tatsächlichen Ausbaupläne der Regierung findet er dennoch nicht verkehrt.

"Diese Steigerungen wären durchaus ambitioniert und ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem, was die letzte Regierung getan hat. Als erster Schritt ist das gut. Ich finde es aber nicht ehrlich, das jetzt zu beschließen und dann permanent vom 1,5-Grad-Pfad zu reden."

Auch bei der Machbarkeit ihrer Ausbauziele muss ein umgekrempeltes EEG noch durch den Praxistest. Denn nicht nur mangelnder politischer Willen hat Windkraft und Solarstrom in Deutschland so lange kleingehalten.

2. Ist der Dauerstreit um den Rotmilan gelöst?

Der Artenschutz gilt tatsächlich als ein wesentliches Hindernis für den Ausbau von Windenergie an Land. Naturschützer bemängeln regelmäßig, dass ihre Rotorblätter gefährdete Vogelarten töten. Windkraftbetreiber wiederum beklagen lange Genehmigungsverfahren aufgrund der Bedenken der Naturschützer. Dieses Spannungsfeld will die Bundesregierung nun aufheben, was wohl ein etwas zu hoher Anspruch ist. Den Streit ein bisschen zu befrieden, wäre aber auch schon was.

Dafür sollen künftig deutschlandweit einheitliche Kriterien gelten, auf die die Länder keine zusätzlichen Regeln "draufsatteln" können, wie Habeck formulierte. Eine einheitliche Liste etwa definiert alle drei Jahre die betroffenen Vogelarten.

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Sie legt auch fest, wie weit entfernt von ihren Brutplätzen Windräder stehen dürfen. Ein Umkreis von meist 500 Metern ist ganz tabu, in einem größeren Umkreis von je nach Art bis zu fünf Kilometern braucht es ein Artenschutzgutachten. Besonders entscheidend: Außerhalb dieser Zonen soll es überhaupt keine weiteren Prüfungen mehr geben.

Die Resonanz der Verbände sei "durchweg gut" gewesen, sagte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bei der Pressekonferenz mit Habeck. Was die Verbände allerdings nicht davon abhielt, anschließend trotzdem Kritik zu üben. Die Deutsche Umwelthilfe etwa fordert, auch Zugvogelarten und Fledermäuse zu berücksichtigen. Der BUND sieht das Pferd gleich ganz von der falschen Seite aufgezäumt und beklagt, dass erneut "der Schutz für bedrohte Tierarten als Begründung für zu langsame Verfahren missbraucht" werde.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hingegen sieht wie alle anderen zwar gute Ansätze, bezweifelt aber, dass die Schutzbereiche für die Vögel wirklich so groß sein müssen wie bald definiert. Das sei wissenschaftlich nicht begründet. Der Verband hält es deshalb für "sehr fraglich, ob so tatsächlich zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands für Windkraftanlagen zur Verfügung stehen werden". Ganz befriedet, so viel kann man sagen, ist der Konflikt also nicht. Zumal die Einigung noch in Gesetze gegossen und sich dann in der Praxis bewähren muss.

3. Wohin mit all den Windrädern?

Auf zwei Prozent der Landesfläche sollen künftig Windräder errichtet werden dürfen. Bislang sind es nur rund 0,8 Prozent – und auch davon fällt ein Großteil wegen sogenannter Nutzungskonflikte gleich wieder weg.

Einige dieser Konflikte hat Habeck in diesen Tagen immerhin entschärft. Die Einigung mit Umweltministerin Lemke erlaubt, dass Windräder künftig in Landschaftsschutzgebieten gebaut werden dürfen. Keine Lappalie: NRW hat 40 Prozent seiner Fläche so gekennzeichnet. Und mit Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat er sich verständigt, dass Windräder auch im Umfeld von Anlagen zu Funknavigation und Wetterradar stehen dürfen. Ein jahrelanger Konflikt ist damit gelöst.

Doch den Betreibern reichen diese Schritte nicht. Der Präsident des Bundesverbands Windenergie, Hermann Albers, sagte t-online: "Für den im EEG skizzierten Ausbaupfad benötigen wir dringend weitere Flächen. Die im Koalitionsvertrag festgehaltenen zwei Prozent sind dabei das Mindestziel, das es zu erreichen gilt." Seinem Verband fehlt eine verbindliche Festschreibung.

Tatsächlich klammert Habeck dieses Thema im Osterpaket aus. Noch ist nicht klar, ob jedes einzelne Bundesland verpflichtet sein soll, zwei Prozent seiner Landesfläche auszuweisen. Manche Bundesländer wie etwa der Freistaat Bayern sträuben sich bislang mit eigenen Regeln gegen eine deutliche Ausweitung der bebaubaren Flächen.

Habeck muss in diesem Punkt wohl den Konflikt mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) suchen – denn Baurecht ist in erster Linie Ländersache und im Osterpaket fehlt eine klare Regelung.

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Denkbar wäre, die Flächenverpflichtung pro Bundesland gesetzlich festzulegen und Länder, die nicht mitziehen, finanziell stärker zu beteiligen. Bliebe die bayerische Landesregierung bei ihrer aktuellen Position, könnten Kosten für den Bau und Betrieb neuer Stromtrassen, Windkraft- und Solaranlagen beispielsweise überproportional auf den Freistaat umgelegt werden.

"Oder man regelt es über Stromtarife, die sich aus der Entfernung von den Anlagen ergeben", sagt HTW-Energieexperte Volker Quaschning. "Wenn Bayern nicht genug Windräder baut, müssen Leitungen durchs ganze Land gelegt werden, für die im Zweifel der Bund aufkommt. Fallen diese Mehrkosten aber auf die Bayern zurück, dürfte die bayerische Industrie letztlich die höchsten Strompreise der Republik haben. Da wird sich Söder schon bewegen", so Quaschning.

4. Die Sache mit der Bürokratie

Im EEG wird der Grundsatz verankert, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien im "überragenden öffentlichen Interesse" liegt und der öffentlichen Sicherheit dient. Wenn bei Klagen oder Einsprüchen Schutzgüter gegeneinander abgewogen werden, bekommen Wind und Sonne eben Vorrang. So sollen die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.

Denn das durchschnittliche Verfahren für den Bau eines Windrades dauert zurzeit sechs Jahre. Habeck hat das Problem also erkannt, doch Klagen sind dabei nur der eine Aspekt. Der andere ist die deutsche Bürokratie und die ist bekanntermaßen zäh. Auch hier muss er noch zeigen, wie er Länder und Kommunen für die Pläne gewinnen kann. In den zuständigen Behörden vor Ort fehlt oft Personal, das eine Genehmigung rasch erteilen könnte.

Die Industrie fordert zumindest eine Halbierung der Bearbeitungszeit auf drei Jahre. "Wir brauchen weniger bürokratische Hindernisse und viel mehr konzertiertes Handeln von Bund und Ländern. Hier muss im parlamentarischen Verfahren nochmals angesetzt werden", sagt BWE-Präsident Albers.

Das gilt übrigens auch für die Nachrüstung. Mittlerweile sind viele Anlagen so alt, dass neue Turbinen die Leistung um ein Vielfaches steigern würden. In der Branche spricht man von "Repowering". "Mit gezieltem Repowering ließen sich kurzfristig Leistungspotenziale von bis zu 45 GW heben. Keine andere Maßnahme kann derart schnell einen so umfangreichen Zubau entfesseln", so Albers. Auch das wird wohl Stoff für Habecks Sommerpaket.

In einer früheren Version dieses Artikels war das geplanten Ausbauvolumen bei Windkraft an Land mit 20 Gigawatt statt 10 Gigawatt angegeben. Dies wurde korrigiert.

Verwendete Quellen
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