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Krankenversicherungen | Lauterbach-Vorstoß: Es hagelt Kritik von allen Seiten


Neuer Lauterbach-Vorstoß
Es hagelt Kritik von allen Seiten

Von Lisa Becke

Aktualisiert am 07.07.2022Lesedauer: 5 Min.
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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (Archiv): "Das ist jetzt die Notbremsung", sagt ein Experte.Vergrößern des Bildes
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (Archiv): "Das ist jetzt die Notbremsung", sagt ein Experte. (Quelle: Florian Gaertner/imago-images-bilder)

Gesundheitsminister Karl Lauterbach muss ein Milliardenloch in der gesetzlichen Krankenversicherung stopfen. Kann das gut gehen?

Die Lage ist schwierig. Äußert schwierig. So schiebt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Verantwortung erst einmal auf seinen Vorgänger von der CDU, Jens Spahn. "Ich habe dieses Defizit im Wesentlichen von meinem Vorgänger geerbt", sagte Lauterbach am Mittwoch vergangener Woche.

Das Defizit, von dem der Gesundheitsminister sprach: Ein 17 Milliarden Euro großes Loch klafft in den Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung. So prognostiziert es zumindest der Spitzenverband der Krankenkassen für das kommende Jahr. Es wäre ein Rekordwert.

"Es muss beseitigt werden", sagte Lauterbach über das Finanzloch bei der Vorstellung seiner Eckpunkte eines Entwurfs. Diese sollen zu einem Gesetz mit dem sperrigen Titel "GKV-Finanzstabilisierungsgesetz" werden. Das soll die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung stabilisieren und genügend Geld für die Ausgaben schaffen.

Lauterbach will Spahn-Neuerung zurücknehmen

Welche Maßnahmen sollen jetzt also kommen? Zunächst kündigte Lauterbach an, dass die Krankenversicherten mehr zahlen müssten. Der Zusatzbeitrag zur Versicherung solle um 0,3 Prozentpunkte steigen, sagte er bei der Vorstellung der Eckpunkte. Hier lesen Sie mehr dazu. Auch die Krankenkassen sollen ihren Beitrag leisten und vorhandene Finanzreserven beisteuern.

Darüber hinaus will Lauterbach an allen Ecken des Gesundheitswesens Geld einsparen. Bei den Ärzten will Lauterbach eine erst unter Spahn eingeführte Neuerung zurücknehmen. Sein Vorgänger wollte erreichen, dass Patienten schneller Termine in den Praxen bekommen – und führte eine Regelung ein, wonach Ärzte für Patienten, die sie neu aufnehmen, mehr Geld abrechnen können. Das will Lauterbach rückgängig machen und begründet die Streichung damit, dass "hier Patienten als neue Patienten geführt wurden, die in Wirklichkeit keine echten Neupatienten sind". Damit sei die Regelung nicht zielführend, so der Minister.

Die Ärzte aber gehen auf die Barrikaden: "Das werden wir nicht auf uns sitzen lassen. Wir werden uns gegen diese Streichung wehren", schreibt Christiane Wessel von der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin in einem offenen Brief an den Gesundheitsminister. "Wir werden unsere Praxen schließen, wenn unser Budget aufgebraucht ist", droht sie darin. Und: "Wir werden keine neuen Patient:innen mehr aufnehmen."

Krankenhäuser drohen mit Entlassungen

Auch bei den Krankenhäusern will Lauterbach Geld einsparen: Spahn führte ein, dass das Pflegepersonal in den Krankenhäusern aus einem extra Budget bezahlt wird. Dadurch wollte Lauterbachs Vorgänger verhindern, dass Krankenhäuser am Pflegepersonal sparen. Doch in der Praxis gebe es nun Summen, die gewissermaßen doppelt gezahlt würden, so Lauterbach.

Die Krankenhäuser sehen das anders und zeigen sich entsetzt: Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft warnt, dass Kliniken Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Heilerziehungspfleger und Hebammen "aus der Pflege am Bett abziehen und schlimmstenfalls sogar entlassen müssten", wenn diese nicht mehr über Pflegebudgets finanziert würden. "Dieser Gesetzentwurf ist ein Schlag ins Gesicht der Mitarbeiter, die seit vielen Jahren wertvolle Arbeit zur Unterstützung der Pflege am Patienten leisten", klagt Gaß.

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Auch auf dem Arzneimittelmarkt will Lauterbach Geld eintreiben: Die Pharmazeuten sollen eine "Solidaritätsabgabe" bezahlen, im nächsten und darauffolgenden Jahr jeweils eine Milliarde Euro. Die Abgabe sei gerechtfertigt, denn die "pharmazeutische Industrie hat durchweg in der vergangenen Legislaturperiode Umsatzsteigerungen zeitigen können", so Lauterbach.

Die Kritik lässt auch hier nicht lange auf sich warten: Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller kritisiert, dass Lauterbach sich nicht mit ihnen abspreche, so das "Ärzteblatt". "Dieser Entwurf und die Art und Weise der Entstehung ist grottenschlecht. So kann man nicht miteinander umgehen", wird der Präsident des Verbands, Han Steutel, zitiert.

"Grottenschlecht" und "Schlag ins Gesicht"

"Grottenschlecht", ein "Schlag ins Gesicht" – es hagelt vernichtende Kritik von allen Seiten. Dabei war der Vorschlag Lauterbachs von der Gesundheitsbranche schon seit Monaten erwartet worden. Im Frühjahr war ein erster Anlauf für einen Gesetzentwurf mit Karacho gescheitert – Lauterbach preschte vor, Finanzminister Christian Lindner (FDP) fuhr ihm in die Parade. Bei der Vorstellung der jetzigen Eckpunkte bedankte sich Lauterbach ausdrücklich bei Lindner und erweckte den Eindruck, dass dieses Mal alles abgestimmt sei.

Denn das Problem drängt: Es war entstanden, weil verminderte Zuwächse bei den Beitragseinnahmen auf steigende Kosten treffen: "Alle wissen seit geraumer Zeit, dass die Krankenversicherung auf ein Defizit zuläuft", sagt der Experte für Gesundheitspolitik, Heinz Rothgang, von der Universität Bremen. Doch 17 Milliarden Euro seien eine Größenordnung, die nun nicht mehr ignoriert werden könne – Lauterbach sei zum Handeln gezwungen. "Das ist jetzt die Notbremsung", so Rothgang.

Experte: "Doktern an Symptomen herum"

Was ist angesichts dessen von all dieser Kritik zu halten? Im Gesundheitswesen finden sich an jeder Ecke wohlformierte Interessen und starke Verbände, die lautstark aufschreien, wenn es um unbequeme Reformen geht – seien es die Ärztevertreter, die Krankenhäuser, Apotheken oder Pharmazeuten. "Wenn der Gesundheitsminister von allen Seiten Kritik bekommt, könnte man zunächst annehmen, dass er etwas richtig gemacht hat", sagt Experte Rothgang deshalb. Er fügt aber hinzu: "Es kann aber auch sein, dass die Maßnahmen wirklich falsch sind." Denn natürlich sei die Kritik zum einen ein Reflex. Doch wenn man sich anschaue, was die Akteure im Einzelnen sagen, sei manches davon durchaus berechtigt.

Mit dem geplanten Ende der Neupatienten-Regelung etwa entstehe der Eindruck, dass alles ohne strategische Planung geschehe, so der Experte. "Die Art und Weise, wie das jetzt ad hoc gemacht wird – erst einigt man sich auf etwas, dann wird es wieder zurückgenommen – ist nicht akzeptabel", urteilt Rothgang.

Das sei auch generell das Problem mit dem Vorstoß des Gesundheitsministers: "Wir haben große Probleme, gehen aber keine große, strukturelle Reform an, sondern doktern an Symptomen herum", sagt der Wissenschaftler von der Universität Bremen. Es werde bereits jetzt deutlich: "Lauterbach dreht ein Schräubchen hier und ein Schräubchen da, aber es gibt keinen Gesamtplan." Was jetzt passiere, werde nicht reichen, ist sich Rothgang deshalb sicher. "Das wird uns auch die nächsten Jahre beschäftigen."

FDP will offenbar gegen den Entwurf vorgehen

Neben der heftigen Kritik aus der Branche bahnt sich nun aber noch ein weiteres Problem für Lauterbach an: Selbst aus der eigenen Koalition wird Kritik laut. Am Donnerstag wird deutlich, dass Lauterbach seinen Entwurf offenbar erneut nicht ausreichend mit den Ampelparteien abgestimmt hat, bevor er damit an die Öffentlichkeit ging.

Die FDP will zumindest gegen Teile des Entwurfs vorgehen, berichtet der "Tagesspiegel". Die Solidarabgabe für die Pharmabranche, aber auch das Ende der Neupatienten-Regelung ist den Liberalen ein Dorn im Auge. Und auch Gesundheitspolitiker der Grünen und selbst Lauterbachs eigener Partei fühlen sich demnach nicht eingebunden und wurden von den Vorschlägen Lauterbachs überrumpelt, die Gereiztheit sei groß. Lauterbach scheint allein auf weiter Flur. Das gesamte Vorhaben könnte damit – erneut – gefährdet sein.

Verwendete Quellen
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