Vergiftete Briefe So viel Spott, dass es wehtut
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ein Briefwechsel in scharfem Tonfall legt das Verhältnis zwischen Christian Lindner und Robert Habeck offen. Der Streit wird zur Belastung der Ampelregierung.
Schon im zweiten Satz des Briefes steckt so viel kampfeslustiger Spott, dass es beim Lesen fast wehtut. "Mit Erleichterung habe ich aufgenommen", schreibt Finanzminister Christian Lindner von der FDP, "dass die von den Grünen geführten Ministerien das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland nicht infrage stellen."
Wie bitte?
Christian Lindners spezieller Brieffreund ist nicht irgendjemand, sondern der "sehr geehrte Herr Kollege" Robert Habeck von den Grünen. Wirtschaftsminister, Vizekanzler – und in der Ampelregierung so was wie der Lieblingsfeind der Liberalen.
Die Antipathie beruht auf Gegenseitigkeit. Deshalb ist es nicht überraschend, dass sich die beiden mal wieder zoffen. Das Besondere daran ist der unversöhnliche Tonfall in den Briefen, die gezielt öffentlich gemacht wurden. Und die Unversöhnlichkeit der Positionen, die nun schwarz auf weiß aufeinanderprallen.
Der Streit reicht tief, sehr tief. Und lähmt die Ampelregierung längst.
Streit ums große Geld
In dem Streit zwischen Habeck und Lindner geht es ums ganz große Geld. Die Ministerien der Ampelregierung verhandeln gerade darüber, welche ihrer Projekte im Bundeshaushalt 2024 finanziert werden sollen. Dabei ist es wie immer, wenn es ums Geld geht: Alle wollen eigentlich mehr haben, als da ist.
Schon im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung wie üblich sogenannte Eckwerte beschlossen, die beschreiben, wie der Etat 2024 ungefähr aussehen soll. In diesen Wochen nun werden die Eckwerte überarbeitet. Für neue Probleme, die aufgetaucht sind, muss neues Geld eingeplant werden. Also wird aktualisiert. So weit, so üblich.
Nicht so üblich ist die Post, die am Dienstag dieser Woche das Finanzministerium erreicht hat. Vizekanzler Robert Habeck beschwert sich in einem Brief "stellvertretend für die von den Grünen geführten Ministerien" beim Finanzminister grob gesagt darüber, wie der seinen Job bei den Eckwerten macht.
"Lindner missbraucht seine Rolle"
Die Grünen ärgern sich schon länger über die Art und Weise, wie Lindner aus ihrer Sicht beim Haushalt gerade versucht, zu seinen Gunsten Fakten zu schaffen. Nämlich indem er die Herzensprojekte der FDP öffentlich ankündigt und sich durch den entstehenden Druck so einen Vorteil in den Verhandlungen verschafft.
Was einmal als Idee in der Welt ist, muss die Gegenseite oft wieder mühsam und mit großen Zugeständnissen wegverhandeln. Nicht immer funktioniert das. Auf diese Art hat die FDP im Sommer schon den "Tankrabatt" durchgedrückt. Wer so etwas ständig versuche, finden sie bei den Grünen, muss sich über Post wie die von Robert Habeck nicht wundern.
Der Vizekanzler macht seine Forderung in dem Brief an Lindner dann auch unmissverständlich klar: "Wir bitten Sie, keine weiteren öffentlichen oder internen Vorfestlegungen zu treffen, die einseitig weitere Ausgaben priorisieren."
Habeck nennt als Beispiele die Aktienrente, die Umsatzsteuerermäßigung für die Gastronomie und die Bundeswehr. Doch die Liste der Ärgernisse für die Grünen ist deutlich länger. Ein Grünen-Politiker wird überdeutlich: "Lindner missbraucht seine Rolle als Finanzminister und ignoriert Vertragsvereinbarungen."
Auge um Auge
Habeck kritisiert in dem Brief aber nicht nur. Er macht Lindner auch ein Angebot, um aus dem Schlamassel herauszukommen. Nämlich mit mehr Geld für den Staat. Habecks Lösung lautet dabei nicht "mehr Schulden". Der Vizekanzler weiß, dass die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse für die Liberalen zu wichtig ist.
Habeck schlägt stattdessen vor, darüber zu beraten, wie "wir Einnahmen verbessern, den Abbau umweltschädlicher Subventionen vorantreiben sowie Programme identifizieren können, die durch Ordnungsrecht ersetzt werden können". Das Problem ist nur, dass die Grünen das der FDP schon lange vorschlagen. Mit wenig Erfolg.
Entsprechend scharf ist die Tonlage im Antwortbrief von Christian Lindner, den er einen Tag später an seinen Kollegen Habeck schickt. Nach dem Spott schon im zweiten Satz des Briefes schreibt Lindner dort: "Die Nachricht, dass die grünen Ministerien die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2024 nicht mehr akzeptieren, hat mich überrascht."
Wenn man so angegangen werde, heißt es in der FDP, dürfe man sich eben verteidigen. Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Habecks Vorschlag, dem Staat mehr Geld zu verschaffen, lehnt Lindner wenig überraschend deutlich ab. "Diese Anregung möchte ich nicht aufgreifen", schreibt der Finanzminister. "Steuererhöhungen oder sonstige strukturelle Mehrbelastungen" seien "vom Koalitionsvertrag ausgeschlossen". Basta.
Viel Gelegenheit für Streit
In der FDP sieht man es so: Gerade weil die Liberalen unter Druck stehen nach mehreren schlechten Landtagswahlen, wollen sie im Bund ihre Standfestigkeit beweisen. Und das Mantra der FDP ist seit langer Zeit: So wenig Geld ausgeben wie möglich. Ein Staat im Slim-fit-Anzug, kein aufgepumpter Bodybuilder.
Ausgestanden ist der Streit noch lange nicht. Und er wird kaum zu lösen sein, ohne dass irgendjemand Abstriche machen muss. Am 15. März will die Bundesregierung die Eckwerte im Kabinett beschließen. Allein bis dahin muss noch viel passieren.
Anschließend werden die Details in der Bundesregierung bis zum Sommer weiterverhandelt. Und im Herbst greifen die Haushaltspolitiker im Bundestag noch mal in den Etat ein. Viele Gelegenheiten also für Streit. Und weitere freundliche Briefwechsel.
Oder wie es jemand aus der Ampelkoalition formuliert: "Mögen die Spiele beginnen ..."
- Eigene Recherche