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Amoklauf in Hamburg: Hätte ein psychologisches Gutachten die Tat verhindert?


Schärfere Regeln für Waffenbesitz
Hätte ein Psychologe die Tat von Hamburg verhindert?

Von Miriam Hollstein

15.03.2023Lesedauer: 4 Min.
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Blumen liegen vor dem Königsreichssaal der Zeugen Jehovas in Hamburg (Archivbild): Ein Amoktäter tötete sieben Menschen und sich selbst, neun Menschen wurden verletzt.Vergrößern des Bildes
Blumen liegen vor dem Königsreichssaal der Zeugen Jehovas in Hamburg. Der Amoklauf, bei dem acht Menschen getötet wurden, hat die Rufe nach einem strengeren Waffenrecht verschärft. (Quelle: Hanno Bode/imago images)

Nach dem Amoklauf in Hamburg macht Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Reform des Waffenrechts Druck. Dabei geht es vor allem um eine Forderung. Doch die FDP mauert.

Die Schilderungen lassen Nancy Faeser nicht mehr los. Polizisten haben ihr erzählt, was sie als Erstes hörten, als sie zum Tatort des Hamburger Amoklaufs gerufen wurden. Plopp. Pause. Plopp. Pause. Plopp. Philip F. exekutierte kaltblütig und gezielt, als er am vergangenen Donnerstag in Hamburg eine Versammlung der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas überfiel. Ohne die schnelle Reaktion der Polizei hätte der schwer bewaffnete Attentäter wohl noch mehr Menschen umgebracht. Als sie das Gebäude stürmte, nahm er sich selbst das Leben.

Für die Bundesinnenministerin ist klar, was die Antwort auf diesen Vorfall sein muss: eine Verschärfung des Waffenrechts. Eine Reform ist schon länger geplant, doch bislang konnten sich die Ampelkoalitionäre nicht einig werden. Bereits im Januar legte Faeser einen Gesetzesentwurf vor. Eine der wichtigsten Änderungen: Künftig sollen alle Personen, die eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragen, ein psychologisches Attest über ihre Eignung vorlegen müssen. Bislang gilt diese Vorschrift nur für die unter 25 Jahren.

Unterstützung erhält Faeser von den Grünen. "Wir müssen endlich ohne ideologische Scheuklappen die Sicherheitslücken im Waffenrecht schließen", sagt Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag und früher als Polizeibeamtin tätig. Eine dieser Lücken sei die Tatsache, dass bislang nur 18- bis 24-Jährige ein psychologisches Gutachten vorlegen müssten. "Die Altersgrenze ist schlicht nicht sachgerecht und sollte fallen", sagt Mihalic. Selbstverständlich könne dadurch "nicht jeder potenzielle Täter erkannt" werden, sagt die Grünen-Politikerin. Sie ist aber überzeugt, dass obligatorische psychologische Gutachten auch die Arbeit der Waffenbehörden erleichtern: "Weil bestimmte Personen dadurch vorab schon einmal ausgesiebt werden konnten. Das ist ja auch gut für den Ruf der großen Mehrheit der Sportschützen, die sich stets an Recht und Gesetz halten."

Doch bei der FDP stößt Faeser mit ihren Plänen auf Widerstand. "Psychisch kranke Personen dürfen keine Schusswaffen besitzen. Es ist gut und richtig, dass das Waffenrecht dies schon heute unmissverständlich regelt", sagte der stellvertretende Vorsitzende der FDP im Bundestag, Konstantin Kuhle, t-online. Im Nachgang zum Anschlag in Hamburg müsse geklärt werden, warum die Waffenbehörde von einer Entziehung der waffenrechtlichen Erlaubnis abgesehen hat. Dabei müsse auch über eine bessere Ausstattung der Waffenbehörden gesprochen werden. Kuhle warnt allerdings: "Ohne präzise Aufarbeitung der Hintergründe sind überhastete Forderungen nach gesetzgeberischen Konsequenzen nicht angezeigt."

Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte sich bereits im Dezember gegen das Vorhaben der Innenministerin gestellt. "Wir haben in Deutschland strenge Waffengesetze", sagte der FDP-Politiker damals dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Wir müssen unser geltendes Recht besser durchsetzen."

"Der tatsächliche Nutzen ist fraglich"

Protest kommt auch vom Deutschen Schützenbund (DSB), dem größten Dachverband für Sportschützen in Deutschland. "Die Forderung nach medizinisch-psychologischen Untersuchungen aller Personen, die eine Waffe erwerben oder besitzen wollen, weisen wir als unverhältnismäßig zurück", sagt der Sprecher Thilo von Hagen zu t-online: "Denn das verpflichtende Einholen eines psychologischen Gutachtens bedeutet einen Generalverdacht gegen alle Antragsteller, der mit hohem finanziellen und zeitlichen Aufwand zulasten gesetzestreuer Bürger verbunden ist, dessen tatsächlicher Nutzen im Sinne eines echten Sicherheitsgewinns für die Gesellschaft aber fraglich ist."

Der DSB fordert stattdessen bessere und häufigere Kontrollen, wie es das Waffenrecht bereits jetzt vorsieht. "Dies wäre verhältnismäßig und würde im Einzelfall den gewünschten Sicherheitsgewinn erzielen. Erneut geht es hier also um einen konsequenten Vollzug der bestehenden Gesetzeslage durch die Behörden", so der DSB-Sprecher.

Nicht nur in der FDP argwöhnt man hinter Faesers Vorstoß noch etwas anderes: Nach ihrer eher halbherzig wirkenden Kandidatur als Spitzenkandidatin der SPD für die hessischen Landtagswahlen im Herbst wolle sie nun beweisen, dass sie als Bundesinnenministerin einen guten Job mache. Im Februar hatte Faeser die seit Monaten kursierenden Gerüchte bestätigt, sie werde in Hessen antreten. Zugleich kündigte sie an, im Falle einer Niederlage Bundesinnenministerin bleiben und nicht nach Hessen wechseln zu wollen.

Polizei übersah das Manifest des Täters

Doch hätte der Anschlag von Hamburg mit strengeren Auflagen verhindert werden können? Dafür spricht einiges. Denn im Dezember veröffentlichte Philip F. ein wirres Pamphlet, in dem er Adolf Hitler als "Werkzeug Christi" deklariert und Massenmord als "Gottes Auftrag" legitimiert. Auf seiner Linkedin-Seite warb er kurz vor der Tat noch einmal dafür. Seinen religiösen Wahn hätte er bei einer psychologischen Begutachtung wohl kaum verbergen können.

Andererseits hätte vermutlich auch schon das bestehende Waffenrecht ausgereicht, um ihm die waffenrechtliche Erlaubnis zu entziehen. Denn die Polizei hatte F. nach einem anonymen Hinweis überprüft. Das von ihm auf seiner Webseite beworbene Buch hatte sie dabei freilich übersehen.

Hier will Faeser den eigenen Reformvorschlag nachschärfen und Vorgaben einarbeiten, die eine gründlichere Überprüfung vorschreiben. Anderes wird hingegen vermutlich wieder gestrichen werden. So steht im ersten Entwurf auch ein Verbot halbautomatischer Waffen. Weil diese aber häufig von Jägern und Schützen verwendet werden, gibt es von den Verbänden massiven Widerstand. Eine weitere Idee von Faeser, die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis zwingend mit einer Abfrage beim jeweils zuständigen Gesundheitsamt zu koppeln, wird vermutlich am Datenschutz scheitern.

Am psychologischen Gutachten will die Bundesinnenministerin hingegen auf alle Fälle festhalten. Sie kann dabei auf ein ungeschriebenes Gesetz der Politik hoffen: Nach schrecklichen Vorfällen wie der Tat in Hamburg ist der Druck zum Handeln auf die Politik immer besonders groß. Das gilt auch für die FDP.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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