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Thüringen | CDU nimmt AfD-Stimmen in Kauf: Ein Debakel mit Ansage


CDU und AfD
Warum die Brandmauer gegen rechts in Thüringen fiel

  • Marianne Max
  • Carsten Janz
Von M. Max, C. Janz, S. Sievert

Aktualisiert am 15.09.2023Lesedauer: 4 Min.
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Björn Höcke (AfD), Fraktionsvorsitzender im Plenarsaal des Thüringer Landtags: Seine Partei verbucht den jüngsten Vorgang als Erfolg. (Quelle: Martin Schutt/dpa)

Die CDU hat in Thüringen ein Gesetz mit Stimmen der AfD durch den Landtag gebracht. Dass das möglich war, liegt an einer verzwickten Parteienkonstellation – und an einer bewussten Entscheidung der CDU.

Erstmals in Deutschland hat die CDU mit Stimmen der AfD ihren politischen Willen auf Landesebene durchgesetzt: In Thüringen brachte die Partei am Donnerstag einen Gesetzentwurf im Landtag ein, von dem sie vorher wusste, dass dieser nur mit Zustimmung von FDP und AfD beschlossen werden kann – und so kam es auch.

Während die CDU eine Zusammenarbeit mit der Thüringer AfD bestreitet, wirft ihr die rot-rot-grüne Landesregierung vor, die sogenannte Brandmauer zur AfD eingerissen und einen "Pakt mit dem Teufel" geschlossen zu haben. Doch was genau ist im Thüringer Landtag geschehen und wie konnte es dazu kommen? t-online gibt einen Überblick:

Was ist im Thüringer Landtag genau passiert?

Die CDU, die in Thüringen in der Opposition ist, hat am Donnerstag einen Gesetzentwurf zur Senkung der Grunderwerbssteuer in den Landtag gebracht – und mit Stimmen der FDP und der AfD beschlossen. Damit hat sie in den Augen vieler einen Tabubruch begangen. Der Vorwurf: Die CDU habe bewusst mit der AfD zusammengearbeitet, was die Christdemokraten bislang immer ausgeschlossen hatten.

Während der Vorgang bei SPD, Grünen und Linken auf scharfe Kritik stößt, verbucht die AfD ihn als Erfolg, wie Sie hier lesen können. Der Landessprecher der AfD Thüringen, Stefan Möller, bezeichnete das von der CDU vorbereitete Gesetz auf dem Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, sogar als "unser Gesetz".

Die CDU streitet eine Zusammenarbeit mit der AfD hingegen ab – obwohl es sich faktisch um eine solche handelt. Der CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt rechtfertigt die Durchsetzung der Steuersenkung dagegen als eine Maßnahme, um unzufriedene Wähler wieder von der AfD zurückzugewinnen. Absprachen mit der AfD habe es zuvor keine gegeben. Dennoch spricht viel dafür, dass die CDU die Stimmen der AfD zumindest bewusst in Kauf genommen hat.

Warum ist die Situation in Thüringen so verzwickt?

Weil in Thüringen seit Februar 2020 eine Minderheitsregierung aus Linkspartei, SPD und Grünen unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) regiert, kommt es in Thüringen immer wieder zu Unruhe. Da die rot-rot-grüne Koalition keine eigene Parlamentsmehrheit hat, ist sie beispielsweise bei der Verabschiedung des Landeshaushalts auf Stimmen der Opposition angewiesen.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Stellt sich die regierende Koalition gegen einen Gesetzentwurf, können die drei Oppositionsparteien CDU, AfD und FDP sowie die vier fraktionslosen Abgeordneten diesen theoretisch dennoch durchsetzen und die rot-rot-grüne Koalition überstimmen.

Zwar kam es bei Gesetzen bis jetzt noch nicht dazu. Jedoch war der Start der aktuellen Landesregierung von einem Eklat geprägt, bei dem aus der Theorie plötzlich Wirklichkeit wurde: So wählten die Abgeordneten im Februar 2020 zunächst nicht, wie von Beobachtern erwartet, Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten, sondern den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich – mit Stimmen der AfD. Diese hatte offenbar geschlossen für Kemmerich gestimmt, um den Linken-Politiker Ramelow aus dem Amt zu drängen. Ihrem eigenen Kandidaten gab die AfD im letzten Wahlgang nicht eine einzige Stimme.

Kemmerich nahm die Wahl damals zunächst an – trat jedoch auf Druck der Öffentlichkeit und seiner eigenen Partei schon nach einem Tag von seinem Amt als Ministerpräsident zurück. Mehr zum Fall Kemmerich lesen Sie hier.

Bei der jüngsten Abstimmung zur Grunderwerbssteuer lagen die Dinge etwas anders und für die CDU vorhersehbarer. Denn tatsächlich hatte sich im Vorfeld abgezeichnet, dass die CDU ohne die AfD keine Mehrheit für ihren Antrag bekommt. Nach Angaben von Thüringens CDU-Chef Mario Voigt hatten sich die Parteien der rot-rot-grünen Koalition seit Dezember 2022 einer Debatte über die Steuersenkungen verweigert. Zwar lud Bodo Ramelow die CDU im Sommer nochmal zu Gesprächen ein, um über einen möglichen Kompromiss zu sprechen. Allerdings war es bei dem Treffen nie zu einer Einigung gekommen.

Es gibt nun den Vorwurf: Die CDU-Abgeordneten hätten nicht nur gewusst, worauf sie sich einlassen, sie hätten die Sache sogar so geplant und mit den Stimmen der AfD kalkuliert.

Der Antrag entspricht zwar im Kern der Haltung der Ampel im Bund. Trotzdem soll die SPD während des vergangenen Finanzausschusses erklärt haben, sie werde nicht für den Antrag stimmen. Die AfD soll sich hingegen klar dafür ausgesprochen haben, sie soll sogar Wortführer gewesen sein. Das erfuhr t-online aus Teilnehmerkreisen.

Demnach wusste die CDU, dass sie bei einer Abstimmung eine Mehrheit mithilfe von AfD-Stimmen erzielen würde. Sie brachte ihren Entwurf dennoch ein. Die Regierungskoalition aus Linke, SPD und Grünen hatte die CDU vor ihrem Schritt gewarnt.

Gab es eine Absprache vor der Abstimmung?

Tatsächlich geht ein zweiter Vorwurf noch weiter: In Thüringen heißt es, die CDU habe sich sogar mit der AfD abgesprochen. Demnach sollen die Christdemokraten nicht nur die Stimmen der rechtsextremen Partei "in Kauf" genommen, sondern sich sogar mit ihr abgestimmt haben.

Als Beleg dafür wird angeführt, dass sowohl CDU als auch AfD noch einen weiteren Punkt auf der Tagesordnung für die Sitzung am Donnerstag hatten. Weil jedoch nicht klar war, inwieweit dann noch Zeit für den Antrag zur Grunderwerbsteuer bleiben würde, entschieden sich jeweils beide, ihre anderen Anliegen zu streichen. War das ein Zufall? Die AfD sagt, man habe sich abgesprochen. Die Union beteuert das Gegenteil.

Warum halten viele die AfD in Thüringen für so gefährlich?

Dass der Fall jetzt bundesweit Aufsehen erregt, liegt auch daran, dass er sich ausgerechnet in Thüringen ereignete. Dort ist der Landesverband der AfD im Frühjahr 2021 vom Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistisch" eingestuft worden. Fraktionsvorsitzender ist Björn Höcke, der nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Meinigen als "Faschist" bezeichnet werden darf.

Er wurde vor allem durch seine führende Rolle im ehemaligen rechtsextremen "Flügel"-Netzwerk der AfD bekannt. Nachdem der Verfassungsschutz den "Flügel" als "rechtsextrem" eingestuft hatte, stand dieser unter geheimdienstlicher Beobachtung. Formal löste Höcke das rechtsextreme Netzwerk im Frühjahr 2020 zwar auf, doch berichtet der Verfassungsschutz auch danach noch von "Fortsetzungsaktivitäten".

Und auch Höcke als Einzelperson hält seinen rechtsextremistischen Kurs. So muss er sich etwa bald wegen der Verwendung von NS-Vokabular vor Gericht verantworten. Mehr dazu lesen Sie hier.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • verfassungsschutz.thueringen.de: "Verfassungsschutzbericht 2021 Freistaat Thüringen"
  • twitter.com: Profil von Stefan Möller
  • welt.de: ""Ausweitung der Kampfzone" - Wie sich der völkische Flügel um Björn Höcke neu formiert"
  • bmi.bund.de: "Verfassungsschutzbericht 2020"
  • zeit.de: "Björn Höcke darf als "Faschist" bezeichnet werden"
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