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AfD-Politiker attackiert: Rechte Agenda als Auslöser für Gewalt


Angriff auf AfD-Politiker in Mannheim
"Verfassungsfeinde sollte man ignorieren"

InterviewVon Laura Mielke

Aktualisiert am 06.06.2024Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Ein abgerissenes Wahlplakat der AfD: In Mannheim ist ein AfD-Lokalpolitiker mit einem Messer verletzt worden.Vergrößern des Bildes
Ein abgerissenes Wahlplakat der AfD: In Mannheim ist ein AfD-Lokalpolitiker mit einem Messer verletzt worden. (Quelle: dpa/dpa)

Binnen weniger Wochen wurde erneut ein Politiker angegriffen und verletzt. Die Gewalt gegen Amtsträger häuft sich. Ein Experte sagt: Die rechte Agenda hat dazu beigetragen.

In Mannheim ist am Dienstagabend ein AfD-Kandidat für die Kommunalwahl mit einem Messer verletzt worden (t-online berichtete). Kurz zuvor wurden auch andere Politikerinnen und Politiker teils so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus mussten – beispielsweise die Berliner SPD-Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey oder die Dresdner Politiker Yvonne Mosler (Grüne) und Matthias Ecke (SPD).

Die Anzahl der Übergriffe steigt allerdings nicht erst seit dem Wahlkampf im Osten oder der Europawahl. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion vom Januar 2024. Waren es 2019 noch insgesamt 1.420 Angriffe auf Repräsentanten aller Parteien, stieg die Zahl bis 2021 auf 2.840, und nach einem Einbruch der Zahlen 2022 liegen auch die vorläufigen Zahlen von 2023 demnach auf einem ähnlich hohen Level.

Laut Extremismusforscher Maximilian Kreter vom Hannah-Arendt-Institut haben unter anderem die Agenda und die Wortwahl rechtsextremer Parteien dazu beigetragen. "Es ist in gewisser Weise darauf zurückzuführen, dass einige Dinge und Ansichten sagbar wurden, die eine Legitimation bieten, den Worten Taten folgen zu lassen", sagt er im Gespräch mit t-online.

Herr Kreter, der Fall in Mannheim ist nicht der erste seiner Art: In den vergangenen Monaten gab es gehäuft Angriffe auf Mandatsträgerinnen und Mandatsträger. Woran liegt das?

Maximilian Kreter: Das ist tatsächlich kein Phänomen, das sich in den vergangenen Monaten entwickelt hat. Den Anstieg der Gewalt gegen Politiker, Journalisten und andere Akteure der Zivilgesellschaft beobachten wir seit etwa zehn Jahren. Es ist in gewisser Weise darauf zurückzuführen, dass einige Dinge und Ansichten sagbar wurden, die eine Handlungslegitimation bieten – beispielsweise gegen "die da oben". Was wir bei politisch motivierter Kriminalität von links beobachten können, ist eine Verschiebung von der Gewalt gegen Sachen hin zur Gewalt gegen Personen. Das war im Bereich rechter und religiöser Ideologie schon zuvor stärker ausgeprägt.

Wen trifft diese Gewalt?

In erster Linie sind das laut der Kriminalitätsstatistik Politiker der Grünen. An zweiter Stelle steht die AfD. Hierbei muss man sagen, dass die Zahl der rechtsextremen Straftaten deutlich höher ist als die linksextremer Straftaten. Bei Rechten gab es auch immer sehr viele schwere Straftaten. Das ist keine neue Erkenntnis. Das lässt sich mit bestimmten Abweichungen schon seit der Weimarer Republik beobachten.

Was bedeuten diese Angriffe denn für unsere Demokratie und gerade auch für die Kommunalpolitiker vor Ort?

Das hat ganz praktische Folgen: Die Leute lassen sich nicht mehr zur Wahl von Ämtern, insbesondere Ehrenämtern, aufstellen. Schlicht, weil sie Angst vor der Ausübung des Mandates haben. Damit geht auch das Engagement zurück, um sich selbst und die Familie zu schützen. Das bedeutet in der Folge, dass keine Lokalpolitikerinnen und -politiker mehr nachwachsen und eine extreme Gefahr für die Demokratie besteht.

Gerade die AfD nutzt diese Angriffe immer wieder für ihre Agenda. Wird sie das auch nach dem Vorfall in Mannheim tun?

Natürlich. Es gibt bei dieser Partei ein klares Drehbuch. Sie wird sich als Opfer inszenieren. Es wird wohl zu hören sein: "Wir werden im Wahlkampf behindert und von Systemparteien und Linksextremen angegriffen." Eine klassische Opferdarstellung, die man bei früheren Fällen nachverfolgen kann. Die Muster sind relativ ähnlich.

Hat man denn bisher zu wenig getan, um die aktuell sehr aufgeheizte Stimmung zu verhindern?

Es geht vielmehr darum, nicht die Agenda von Rechten zu bedienen. Das hat unter anderem zu dieser Stimmung beigetragen. Das Feindbild der Grünen ist gezielt von dieser Seite etabliert und von Teilen der CDU weitergetragen worden. Sei es beim sogenannten Heizungsgesetz, dem Veggieday oder dem Gendern. Dieses Spiel sollte man nicht mitspielen. So verbindet die AfD viele Themen der Innen- und Sicherheitspolitik mit dem Thema Migration, da es das zentrale Thema der Partei ist. Aber auch beim Wohnungsbau bietet die Partei statt konstruktiver Lösungen den Slogan "Abschieben schafft Wohnraum" an.

Hat man sich zu wenig mit Angriffen auf Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker beschäftigt?

Ja, absolut. Der Fokus darauf hat gefehlt, denn das ist auch zuvor schon vorgekommen. Beispielsweise, wenn Demonstrationen vor die Privathäuser von Ministern oder Kommunalpolitikern ziehen. Dabei werden klare Grenzen überschritten, die bis dato nicht überschritten wurden. Beispielsweise 2015, als Rechtsextreme vor das Haus des Bürgermeisters von Tröglitz (Sachsen-Anhalt), Markus Nierth, zogen und dabei ihn und seine Familie über einen längeren Zeitraum bedrohten, sodass er sein Amt aufgab. Das sind nur die sichtbarsten Beispiele. In Kommunalparlamenten arbeiten extrem rechte Parteien, wie die NPD und der Dritte Weg, gezielt mit Einschüchterung.

Video | Video soll Messerangriff in Mannheim zeigen
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Quelle: t-online

Man könnte solche Angriffe auch als Ausdruck einer generellen Verrohung unserer Gesellschaft sehen.

Es findet eine gewisse Enthemmung statt, wenn Worte gesagt werden, wie "das AfD-Schwein" oder "das grüne Vieh". Es erhöht die Legitimation, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Von einer generellen Verrohung würde ich aber nicht sprechen. Das müsste man an konkreten Aspekten festmachen.

Kann man Angriffe auf Politikerinnen und Politiker überhaupt verhindern?

Ganz verhindern wird man das nicht können. Aber eine Strategie ist, eine klare Front gegen diese Spirale der verbalen und politischen Eskalation zu bilden. Klar zu sagen: Wir stehen für ein demokratisches und gewaltfreies Miteinander. Und ganz praktisch muss auch der Schutz von Amtsträgern dort gewährleistet sein, wo die Bedrohungslage gegeben ist.

Ein weiterer Punkt ist, Rechtsextremisten keinen Raum in Medien zu geben. Das passiert leider immer wieder. Egal, ob das Talkshows, Podiumsdiskussionen und dergleichen sind. Das gilt auch für soziale Medien, wie TikTok und X. Die AfD und rechtsextreme Akteure sind dort mit Abstand am erfolgreichsten. Dem muss man auf den Plattformen begegnen und gleichzeitig früh mit politischer Bildung und Medienbildung entgegenwirken.

Parteien, die Sitze in Parlamenten haben, kann man aber nicht einfach ignorieren.

Verfassungsfeinde, wie einzelne Gruppierungen und Landesverbände der AfD und ihre Mitglieder, muss man nicht einladen und ihnen somit ein Podium für ihre menschenverachtenden und verfassungsfeindlichen Ideen bieten. Menschen, die ganz offensichtlich die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit verbundene Werte abschaffen wollen, sollte man nicht einladen.

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Das ist im Fall der AfD durch die Einstufung der Verfassungsschutzämter als "gesichert rechtsextremistisch" in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bzw. als "rechtsextremer Verdachtsfall" im Bund, legitim. NPD-Leute wurden aus gutem Grund nicht eingeladen. So auch Tommy Frenck, ein bekannter Rechtsextremist, oder Thorsten Heise, ein militanter Neonazi, nicht. Rechtsextreme Stimmen wie Björn Höcke braucht man vielleicht für Quoten, aber nicht im Sinne der Demokratie.

Sie haben von politischer Bildung gesprochen. Gelder für genau diese Zwecke wurden aber jüngst im Zuge der Sparmaßnahmen der Bundesregierung eingekürzt oder sogar ganz gestrichen.

Das ist ein absolut fatales Signal, gerade im Bereich der politischen Bildung und Medienbildung. Das ist gefragt wie nie zuvor. Jetzt ist der falsche Zeitpunkt, um zu sparen. Demokratieprojekte nicht mehr zu fördern, halte ich für sehr gefährlich und zu kurzfristig gedacht. Es ist auch eine wirtschaftliche Rechnung: Wenn wir ausländische Fachkräfte anwerben wollen, braucht es eine offene und tolerante Gesellschaft, sonst sieht es finster aus.

Zur Person

Maximilian Kreter ist Forscher am Hannah-Arendt-Institut in Dresden. Er forscht zu politisch motivierter Gewalt und Rechtsextremismus.

Was könnten härtere Strafen und schnellere Verfahren für solche Angriffe auf Politiker bewirken? Gerade nach den jüngsten Vorfällen ist das eine große Forderung.

Davon halte ich absolut gar nichts. Damit schafft Deutschland nur Sondergerichtsbarkeiten und Sondergesetze. Die Deutsche Polizeigewerkschaft forderte in dem Sinne schon härtere Strafen für Angriffe auf Polizisten. Härtere Strafen halten Täter nicht davon ab, das lässt sich empirisch belegen.

In diesem Jahr stehen viele Wahlen an, etwa in Thüringen, aber auch die Europawahl. Kommt es deswegen so geballt zu diesen Angriffen? Und können wir hoffen, dass es danach aufhört?

Nein, aufhören wird es nicht. Durch die ganzen Wahlstände und Wahlkampfveranstaltungen ergeben sich natürlich mehr Gelegenheiten. Aber diese Angriffe finden auch unabhängig von Wahlen statt.

Herr Kreter, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Maximilian Kreter
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