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Lars Winkelsdorf: ein Journalist gegen Justizirrtum


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Behörden manipulierten Verfahren
"Staatsanwalt Pinocchio"


21.07.2024Lesedauer: 7 Min.
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Polizisten im Einsatz nach einem Angriff mit Schusswaffen: Hätten die Schießereien im Hamburger Drogenkrieg verhindert werden könnten? (Quelle: Sebastian Peters/imago-images-bilder)
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Der Journalist und Waffenexperte Lars Winkelsdorf kämpft seit Jahren gegen seine Verurteilung an. Er will, dass der Prozess neu aufgerollt wird. Fürchtet die Staatsanwaltschaft sich vor ihren eigenen Fehlern?

Seit gut zwei Jahren wartet Lars Winkelsdorf darauf, dass sein Antrag auf Wiederaufnahme behandelt und der Prozess gegen ihn neu aufgerollt wird. Er wurde im April 2012 wegen des Anstiftens zum Führen von Waffen verurteilt. Rund um einen Fernsehbeitrag, den er gar nicht erstellt hatte. Er hatte lediglich einen Kollegen beraten.

In den Ermittlungsakten fehlten damals wie heute wichtige Dokumente, ein Staatsanwalt stellte Winkelsdorf wider besseres Wissen als "Pseudo-Journalisten" dar und verharmloste den mittlerweile inhaftierten Waffenhändler. Unterdessen gibt es auch weitere Zeugen, die Winkelsdorfs Erzählungen stützen.

Warum sträubt sich die Staatsanwaltschaft vor einer Klärung der offenen Fragen? Es erweckt den Eindruck, als werde ein Unschuldiger geopfert, um über die eigenen Fehler hinwegzutäuschen. Ein Staatsanwalt droht Winkelsdorf sogar.

Die Geschichte beginnt vor mehr als 15 Jahren. Im Jahr 2006 kam Winkelsdorf in Kontakt mit dem illegalen Waffenhändler Guido W. Zu dieser Zeit arbeitete der Journalist an einem Sat.1-Film, der sich mit illegalem Waffenhandel, Schwarzmarktpreisen und der Trägheit der Ermittlungsbehörden beschäftigte. Winkelsdorf verifizierte sorgfältig, dass Guido W. tatsächlich mit Waffen handelte. Sie trafen sich zu Vorbesprechungen, bei denen Guido W. ihm Waffen zeigte und Informationen über deren Herkunft und Käufer preisgab. "Alles war überprüfbar", so Winkelsdorf. Für den Film traf er sich mit Guido W. in einer Garage in der Nähe von Winkelsdorfs Haus. Dort führten sie ein Interview, in dem die illegalen Waffen gefilmt wurden. Spätestens seit diesem Treffen war Guido W. darüber informiert, wo Winkelsdorf wohnte.

Winkelsdorf vermittelt anderen Journalisten Kontakt

Der Beitrag erregte bald großes Aufsehen, auch bei Winkelsdorfs Kollegen Mark L., der einen ähnlichen Beitrag für den Sender Kabel 1 erstellen wollte. Mark L. bat Winkelsdorf, ihm den Kontakt zu Guido W. zu vermitteln, was dieser auch tat. Fortan hatte Mark L. direkten Kontakt mit dem Waffenhändler. Am 12. März 2007 rief Mark L. jedoch Winkelsdorf an, weil Guido W. darauf bestand, sich in vertrauter Umgebung zu treffen: in Winkelsdorfs Haus in Hamburg, das er bereits von den Gesprächen im Jahr zuvor kannte. Widerwillig stimmte Winkelsdorf zu, und die Dreharbeiten fanden bei ihm statt. Der Film wurde unter dem Titel "Kabel 1 – Dealer am Abzug" ausgestrahlt.

Später wurde Winkelsdorf für den Beitrag von Mark L. wegen Anstiftung zum Führen von Waffen verurteilt.

Dabei wurde Winkelsdorf bei der ersten Anklage sogar freigesprochen. Doch die Staatsanwaltschaft ging in Berufung und spickte die Begründung dafür mit unwahren Tatsachenbehauptungen. Und stützte diese auf lücken- und fehlerhafte Ermittlungsakten. Auf diese Fehler wiesen Winkelsdorf und sein Anwalt in dem Wiederaufnahmegesuch hin. Und informierten sogar den Generalstaatsanwalt der Hansestadt Hamburg, Jörg Fröhlich. Bislang ohne Erfolg.

Die Unwahrheiten der Staatsanwaltschaft:

1. Der Pseudo-Journalist

Die Staatsanwaltschaft versucht, in den unterschiedlichen Teilen der Ermittlungsakte ein schlechtes Bild über Winkelsdorf und seine journalistische Arbeit zu zeichnen. So finden sich in den kompletten Akten, trotz einer Hausdurchsuchung bei Winkelsdorf, keine Belege für seine Tätigkeit für unterschiedliche Redaktionen. Nachweislich arbeitete Winkelsdorf jedoch für Fachzeitschriften rund um das Waffenrecht, aber auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. So war er immer wieder Autor für das für seine investigative Arbeit bekannte Format Frontal 21 (heute: frontal) tätig. t-online liegen Rechnungen aus dieser Zeit vor. Außerdem finden sich diverse Beiträge in den Archiven des Senders und Winkelsdorf war sogar bei Pressekonferenzen in den Räumen der Polizei Hamburg als Journalist für Frontal 21 zugegen.

Der damals zuständige Staatsanwalt zieht diese investigative Arbeit von Winkelsdorf ins Lächerliche. So schreibt er in einer Verfügung, dass Winkelsdorf lediglich "nach eigenen Angaben für gute und seriöse Arbeit bekannt ist". Mit welcher Art Journalist er es zu tun hat und wie Journalisten in solchen sensiblen Bereichen vorgehen, hätte der Staatsanwalt mit einem Gutachten klären können. Das sieht die RistBV, die Richtlinie für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, eigentlich sogar vor. Und zwar beim Deutschen Journalistenverband (DJV). Doch solch ein Gutachten wird nicht eingeholt.

Keine Fachexpertise

Dann hätte der Staatsanwalt vielleicht auch weitere Beweisstücke richtig eingeordnet. Denn in den Akten nennt er Autorenbeiträge für Fachmagazine "Konzepte". Oder er deutet ein Sendemanuskript von Kabel 1, das nach jeder Sendung für Gehörlose zur Verfügung gestellt wird, als Drehanweisung. So ist bei dem Staatsanwalt offenbar fälschlicherweise der Eindruck entstanden, Winkelsdorf hätte dem illegalen Waffenhändler gewissermaßen Regieanweisungen gegeben. Dabei war dies nur eine Hilfe für Menschen mit Handicap, die den Beitrag nachlesen wollten.

"Wenn die Staatsanwaltschaft hier den Vorwurf der Lügenpresse erhebt," moniert Winkelsdorf, "dann muss der Generalstaatsanwalt Fröhlich bereit sein, den Beweis vor Gericht anzutreten." Der muss jetzt aufgrund Winkelsdorfs Beschwerde entscheiden, ob die Akte fehlerhaft ist. Winkelsdorf besteht auf dem Gutachten des DJV.

Ob bei einer möglichen Wiederaufnahme des Prozesses ein Gutachten eingeholt wird, beantwortete die Staatsanwaltschaft auf Anfrage nicht. Das Gericht schreibt: "Ob und inwieweit der Sachverhalt hier einen [...] journalistischen Kern hat, ist gerade eine der Fragen, die im laufenden Verfahren zu klären sein könnten."

2. Der angebliche Waffenspezialist

Auch in einem anderen wichtigen Part macht es den Eindruck, Lars Winkelsdorf werde vom Staatsanwalt bewusst in ein schlechtes Licht gerückt. Der Staatsanwalt geht hier nach ähnlichem Muster vor. In der Begründung für die Berufung des ersten Urteils schreibt er, Winkelsdorf würde "sich selbst als Waffenspezialist" bezeichnen. Damit ignoriert er offenbar, dass Winkelsdorf schon damals mit 27 Jahren einer der jüngsten Waffensachverständigen Deutschlands war.

Er arbeitete unter anderem für die Fraktion der Grünen im Bundestag an einem Änderungsvorschlag des Waffengesetzes. Damals wie heute. Er hatte auch eine waffenrechtliche Erlaubnis als Sachverständiger, wird aber in den Akten immer wieder als "Sammler" bezeichnet. Die Waffenbehörde der Hansestadt Hamburg gab Winkelsdorf sogar einen Waffenschein. Dieser erlaubt das Führen von Waffen in der Öffentlichkeit und wird nur äußerst selten vergeben.

Seine Experteneinschätzungen erscheinen bundesweit in großen Fachzeitschriften. Das alles erwähnt die Staatsanwaltschaft nicht. So erlangt auch das Gericht keine Kenntnis darüber. t-online hat die Staatsanwaltschaft schriftlich um Aufklärung zu diesen Fragen gebeten. Es kam bislang keine Antwort.

3. Der Fake-Waffenhändler

Belastet wurde Winkelsdorf vor allem von einem illegalen Waffenhändler, über den die Fernsehberichte erstellt wurden. Die Staatsanwaltschaft stützte einen großen Teil der Anklage auf diesen Zeugen. Und das, obwohl dieser Guido W. selbst angeklagt war und großes Interesse daran hatte, Winkelsdorf als Mittäter zu belasten. Die Staatsanwaltschaft schätzte Guido W.s Aussagen als sehr glaubhaft ein, machte Winkelsdorf unglaubwürdig und spielte die Rolle des Waffenhändlers herunter.

So schrieb der Staatsanwalt in der Ermittlungsakte, dass Guido W. sich gegenüber Winkelsdorf lediglich bereit erklärt hatte, "einen Waffenhändler zu spielen". Er schrieb zur Rolle von Guido W. sogar in die Berufungsbegründung, dass ein Aspekt dagegenspreche, "Guido W. sei 'der professionelle Waffenhändler'". Winkelsdorf sei laut Staatsanwaltschaft die treibende Kraft gewesen.

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Waffenhändler als Schauspieler dargestellt

Diese Darstellung hatte schon damals Risse. Dass Guido W. kein Schauspieler war, sondern ein gefährlicher Waffenhändler, wurde nämlich spätestens vor drei Jahren klar. Im Zuge der EncroChat-Ermittlungen wurde Guido W. wegen des unerlaubten Waffenhandels zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. t-online berichtete über den Fall. Er handelte in ganz Norddeutschland mit Maschinenpistolen, UZIs, Schießkugelschreibern und Pistolen.

Im aktuellen Drogenkrieg in Hamburg, bei dem schon mehrere Menschen ums Leben gekommen sind, werden nachweislich auch immer wieder Waffen gehandelt, die den Waffen von Guido W. entsprechen. Auch beim Dreifachmord in Dänischenhagen bei Kiel, bei dem ein Zahnarzt seine Frau, ihren neuen Freund und einen Bekannten tötete, tauchten ähnliche UZIs, wie W. sie hatte, als Tatwaffe auf. t-online hat Hinweise darauf, dass der Mörder und Guido W. in Kontakt miteinander standen. Winkelsdorf hatte frühzeitig in einem offenen Brief die Polizei vor dem Einsatz dieser Waffen gewarnt. Gebracht hat es nichts.

Klar ist nur: Die Verurteilung von Winkelsdorf fußt auf den Aussagen eines mittlerweile rechtskräftig verurteilten Waffenhändlers. "Hier ist eindeutig ein Staatsanwalt dabei erwischt worden, wie er Pinocchio spielt", sagt Lars Winkelsdorf t-online.

Wie geht es weiter?

Vor gut zwei Jahren hat Winkelsdorf aufgrund dieser offenbar falschen oder unvollständigen Akten eine Wiederaufnahme beantragt. Sein Anwalt Gerhard Strate hatte dem Gericht einen Freispruch ohne weitere Verhandlung vorgeschlagen, das gibt die Strafprozessordnung her. Doch die Staatsanwaltschaft stimmte diesem Vorschlag nicht zu. Das bestätigte eine Sprecherin des Gerichts t-online. Warum die Staatsanwaltschaft dem Vorschlag nicht zustimmte, ist unklar. Auf mehrfache Anfrage antwortete die Pressestelle der Behörde nicht. Obwohl sie nach dem Pressegesetz dazu verpflichtet ist.

Winkelsdorf hatte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den damals ermittelnden Staatsanwalt eingereicht. Die wurde, wie es häufig passiert, vom ersten Oberstaatsanwalt abgelehnt. Doch dieser schrieb in die Begründung einen Satz, den man als Drohung verstehen kann: "Eine persönliche Auseinandersetzung über die von Ihnen erhobenen Vorwürfe ist in Ansehung des anhängigen Wiederaufnahmeverfahrens untunlich." Obwohl das Gericht und nicht die Staatsanwaltschaft über eine Wiederaufnahme entscheidet, spricht der Staatsanwalt hier über mögliche Folgen für ein Gerichtsverfahren. Das Gericht schreibt auf die Bedenken: "Entscheiden wird am Ende aber allein das Gericht in richterlicher Unabhängigkeit." Hier scheint das Problem erkannt.

Tatsächlich wartet Winkelsdorf nun schon gut zwei Jahre auf eine Entscheidung.

Das Gericht begründet das damit, dass zuerst Haftfälle und aktuellere Fälle behandelt würden und dass es personelle Engpässe gegeben habe. Nun gebe es aber eine neue zuständige Richterin. Nach unseren aktuellen Anfragen hat sich diese, nun seit Kurzem zuständige Richterin zur Klärung noch einmal an die Staatsanwaltschaft gewandt. Die muss nun innerhalb von weiteren sechs Wochen reagieren.

Hinweis: Gerne hätte t-online die Sicht der Staatsanwaltschaft auf den Fall ausgiebig dargestellt. Leider hat die Pressestelle auf mehrere Anfragen, die teilweise mehr als eine Woche vor der Veröffentlichung dieses Textes gestellt wurden, nicht geantwortet.

Verwendete Quellen
  • Mehrfache Anfragen an die Staatsanwaltschaft
  • Anfragen an die Pressestelle der Gerichte in Hamburg
  • Anfrage an Lars Winkelsdorf
  • RistBV in Presseangelegenheiten
  • Besuch des Autors mehrerer Gerichtsprozesse
  • Eigene Recherchen
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