Russland-Papier von Parteilinken SPD kritisiert "Manifest": "Irritiert, verstört und verärgert"

Die SPD-Linke fordert einen neuen Dialog mit Kremlchef Wladimir Putin. Pragmatiker in der Partei distanzieren sich scharf.
Vor dem SPD-Parteitag Ende Juni kommt es innerhalb der Partei zu einer Grundsatzdebatte über den künftigen außenpolitischen Kurs der Sozialdemokraten. SPD-intern regt sich heftige Kritik an einem außenpolitischen "Manifest" der Parteilinken um Ralf Stegner und Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, die sich für einen Dialog mit Russland aussprechen.
Falko Droßmann, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagt t-online: "Das Ziel sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik ist schon immer die Bewahrung des Friedens in Freiheit und Sicherheit gewesen. Zur Bewahrung dieses Friedens zwingt uns Russland, Sicherheitsvorsorge für unsere europäischen Partner und für uns zu leisten."
Putin "zwingt uns zur Erhöhung unserer Verteidigungsausgaben"
Der Verteidigungsexperte widerspricht zudem der Grundannahme des "Manifests" der SPD-Linken, die einen angeblichen "Zwang zu immer mehr Rüstung" beklagen und Gespräche mit Moskau fordern. "Das Machtstreben von Wladimir Putin richtet sich eindeutig gegen die regelbasierte internationale Ordnung und zwingt uns zur Erhöhung unserer Verteidigungsausgaben", so Droßmann. Nur mit glaubhafter Abschreckung durch die Nato werde man Russland von weiteren Aggressionen gegen ost- und mitteleuropäische Nationen abhalten.
"Uns leitet der Grundsatz: Wir wollen uns verteidigen können, um uns nicht verteidigen zu müssen", so Droßmann weiter. Man werde sämtliche Voraussetzungen schaffen, damit die Bundeswehr die Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung uneingeschränkt erfüllen könne. Vom ehemaligen Fraktionschef Mützenich zeigte er sich "etwas enttäuscht". Dieser habe immer Wert darauf gelegt, dass die Fraktion der Ort der inhaltlichen Auseinandersetzung sei und nicht die Medien. "Dass nun ausgerechnet er diesen Weg wählt, ohne vorher ein Wort der Kritik zu äußern und die Chance zur Diskussion zu geben, ist schade."
Fraktionschef Miersch geht auf Distanz
Auch SPD-Fraktionschef Matthias Miersch distanzierte sich von dem Papier. Im Interview mit dem "RND" verwies Miersch darauf, dass Russland mangelnde Gesprächsbereitschaft zeige: "Natürlich bleibt Diplomatie oberstes Gebot. Aber wir müssen auch ehrlich sagen: Viele Gesprächsangebote – auch vom Bundeskanzler Olaf Scholz – sind ausgeschlagen worden. Wladimir Putin lässt bislang nicht mit sich reden."
Miersch nannte das Papier einen Debattenbeitrag in einer Partei, in der über Außen- und Sicherheitspolitik immer schon intensiv debattiert worden sei. "Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile. Wir erleben eine reale Bedrohungslage, auf die wir mit klarer politischer Haltung und massiven Investitionen in unsere Verteidigungsfähigkeit reagieren." Die SPD-Fraktion stehe hinter diesem Kurs und habe für die Änderung der Verfassung gestimmt, um höhere Verteidigungsausgaben möglich zu machen. Es dürfe keinen Zweifel daran geben, dass Deutschland die Ukraine "mit allem uns Möglichem" unterstütze.
"Irritiert, verstört und verärgert"
Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Sebastian Fiedler, nahm Anstoß. Das als "Manifest" bezeichnete Dokument habe ihn "irritiert, verstört und verärgert", sagte Fiedler am Mittwoch den Sendern RTL und n-tv. "Da ist sogar von Zusammenarbeit mit Russland die Rede, also mit einem Kriegsverbrecher, der sich darauf vorbereitet, weitere Angriffsziele in den Blick zu nehmen", sagte Fiedler.
Auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, distanzierte sich von dem "Manifest". Ahmetovic sprach am Mittwoch im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP in Berlin von einem "inhaltlich in weiten Teilen fragwürdigen Papier", das "nicht Beschlusslage in der Fraktion oder Partei" sei. "Es würde im Falle einer Einbringung auf dem Bundesparteitag auch keine Mehrheit finden", fügte der Außenexperte hinzu.
Aus anderen Parteien kam ebenfalls Kritik. Die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann schrieb auf X: "Mützenich und Ralf Stegner, die Ewiggestrigen der deutschen Sicherheits- und Außenpolitiker. Ihr 'Manifest' ist ein realitätsverweigerndes Pamphlet voller fataler Fehleinschätzungen, Kotau vor einem Kriegsverbrecher und Verhöhnung der Opfer."
Auch Hans Eichel zählt zu den Unterzeichnern
Die SPD-Linke um Stegner und Mützenich hatte in dem betreffenden Papier eine neue Sicherheits- und Außenpolitik einschließlich einer Annäherung an Russland verlangt. "Schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland …", heißt es in dem sogenannten Manifest, das auch vom früheren Finanzminister Hans Eichel sowie dem ehemaligen SPD-Chef Norbert Walter-Borjans unterzeichnet wurde.
Das Papier wendet sich auch gegen eine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen und fordert den "Stopp eines Rüstungswettlaufs". Europa müsse zwar verteidigungsfähig sein, doch für Ausgaben von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung gebe es keine Begründung.
- Nachrichtenagenturen AFP, dpa
- rnd.de: SPD-Politiker fordern Kurswechsel in der Sicherheitspolitik - Fraktionschef Miersch geht auf Distanz