Lehrer und Polizeigewerkschaft nach Amoklauf "Die deutschen Schulen sind sicher"

Nach dem Amoklauf in Graz haben viele Menschen Angst vor weiteren Angriffen. Lehrerpräsident Düll rät davon ab, nun aus Angst zu handeln, während GdP-Chef Kopelke betont, dass sich die Polizeiarbeit verändert habe.
Der Amoklauf eines 21-Jährigen an einer Grazer Schule am Dienstag hat auch weit über die Landesgrenzen hinaus Bestürzung ausgelöst. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, sagt t-online: "Die schreckliche Tat in Graz macht betroffen und lässt die Gedanken auch unweigerlich zur eigenen Schule, den eigenen Kollegen, den eigenen Schülern wandern."
Durch die Tat starben sieben Mädchen und drei Jungen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren. Zunächst hatte die Polizei von 15- bis 17-Jährigen gesprochen. Unter den Toten war ein Pole, die anderen waren österreichische Staatsbürger. Eine schwer verletzte Lehrerin starb im Krankenhaus.
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Elf Verletzte werden weiterhin in Kliniken in Graz betreut. Sie sind zwischen 15 und 26 Jahre alt. Acht Verletzte stammen aus Österreich, zwei aus Rumänien, und eine Person stammt aus dem Iran. Der Schütze selbst nahm sich auf einer Schultoilette das Leben.
Es war der folgenschwerste Amoklauf, der jemals in Österreich verübt wurde. In Deutschland weckt er Erinnerungen an Taten wie den Amoklauf von Winnenden im Jahr 2009. Düll rät aber davon ab, sich von Angst und Trauer leiten zu lassen.
Taschenkontrollen "kaum umsetzbar"
"Die deutschen Schulen sind sicher", sagt er. "Die Wahrscheinlichkeit eines Amoklaufs ist gering, aber nicht völlig ausgeschlossen. Das ist schlimm, aber damit müssen wir leben." Düll ist Schulleiter des Justus-von-Liebig-Gymnasiums im bayerischen Neusäß und seit 2023 Präsident des Deutschen Lehrerverbands.
Von anderen Ländern könne Deutschland nur bedingt lernen. "Taschenkontrollen, wie an vielen Schulen in Frankreich oder in den USA, sind in Deutschland kaum umsetzbar", sagt Düll. "Wir haben ein sehr freiheitliches Verständnis von Schule: keine unüberwindbaren Zäune oder Maschendraht, oft dürfen auch jüngere Schüler schon für die Mittagspause das Gelände verlassen. Da kämen die Kontrolleure gar nicht hinterher", erläutert er. Zudem sind viele mögliche Angriffsszenarien denkbar. "Wenn jemand eine solche Tat plant, findet er einen Weg", so Düll.
Es werde aber sicherlich zu einem Austausch zwischen der deutschen und österreichischen Polizei geben und auch von den Kultusministerien werde das Thema Amoklauf in den kommenden Monaten sicherlich aufgegriffen.
Die Polizei teilt Dülls Einschätzung. Auf t-online-Nachfrage erklärt der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP, Jochen Kopelke: "Schulen in Deutschland sind sicher, wenn alle dazu beitragen." Das bedeute, dass Schüler und Lehrkräfte "wachsam, aufmerksam und empathisch" miteinander umgehen müssten. So könnten Drohungen und Konflikte schon frühzeitig bei der Polizei gemeldet werden.
Düll: "Ablauf für den Fall eines Amoklaufs nur grob geübt"
Laut Düll wurden das Thema und die Gefahren auch bisher nicht verschwiegen: "In der Lehrerausbildung wird über verschiedene Krisensituationen gesprochen."
Was die konkreten Maßnahmen betrifft, komme es auf die einzelnen Einrichtungen an. "Die Sicherheitskonzepte sind je nach Schule individuell", führt Düll aus. Das fange schon bei den baulichen Voraussetzungen an. So gebe es in manchen Schulen eine automatische Durchsage und Telefone in den Klassenräumen, sodass eine Lehrkraft im Notfall nicht auf ihr Handy angewiesen sei.
"Gleichzeitig wird der Ablauf für den Fall eines Amoklaufs nur grob geübt; es gibt nicht den einen Amoklauf", so der Lehrerpräsident. Das sei eine bewusste Entscheidung: "Die Schulleitungen arbeiten mit der Polizei zusammen und wollen absichtlich nicht alle Details mit dem gesamten Kollegium teilen. Denn je mehr Leute Bescheid wissen, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass die Informationen bei einem möglichen Täter landen."
GdP: "Mittlerweile kann die Polizei also viel früher agieren"
GdP-Chef Kopelke teilt mit, dass die Erfahrung von früheren Amokläufen auch die Polizeiarbeit verändert habe. Die Einsatzmodelle, Trainings, Ausrüstung und Interventionen seien verändert worden. Das habe die Einsatzkräfte schneller und effektiver gemacht. So werde nicht mehr bis zum Eintreffen des Sondereinsatzkommandos gewartet, sondern sofort versucht, den Täter aufzuhalten. Zudem suche die Polizei auch online nach Hinweisen auf mögliche Angriffspläne. "Mittlerweile kann die Polizei also viel früher agieren und hat bereits eine Menge von Bedrohungen und Straftaten abwehren können", so der Sprecher. Auch in Österreich war die Polizei binnen weniger Minuten vor Ort und die Lage galt entsprechend schnell wieder als sicher.
Es gebe zudem verbindliche Absprachen mit Schulen und Schulleitungen. Es werde ein guter Kontakt gepflegt und entsprechende Schulungen für Lehrpersonal durchgeführt. "Heute reagiert die Polizei verdeckt und uniformiert sofort bei kleinsten Einsatzanlässen an Schulen", so der GdP-Vorsitzende weiter. Allerdings sei das personalintensiv. "Um die Reaktionsfähigkeit der Polizei immer zu gewährleisten, brauchen wir aber mehr Polizisten in Deutschland."
Abschließend hat Lehrerpräsident Düll noch einen Appell: "Auch wenn es schwerfällt: Wir dürfen uns von diesen Taten nicht kirre machen lassen." Es habe in den vergangenen Angriffe auf Volksfesten, in Schulen und in Zügen gegeben. "Doch die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines solchen Angriffs zu werden, ist weiterhin gering und sollten nicht unser Leben einschränken."
- Gespräch mit Stefan Düll
- Anfrage an die GdP
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa