SPD streitet über "Manifest" Pistorius wirft Unterzeichnern "Realitätsverweigerung" vor

Kurz vor dem Parteitag streiten sich prominente SPDler über den Umgang mit dem Ukraine-Krieg. Verteidigungsminister Pistorius macht eine klare Ansage.
Es ist ein Angriff auf die schwarz-rote Bundesregierung und auf die eigene Parteiführung rund um Vizekanzler Lars Klingbeil: Prominente SPD-Mitglieder fordern in einem "Manifest" eine Abkehr von der Aufrüstungspolitik und direkte diplomatische Gespräche mit Russland. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hingegen übt scharfe Kritik an dem Papier und spricht von "Realitätsverweigerung".
"Es missbraucht den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Ende des furchtbaren Krieges in der Ukraine. Nach Frieden", so Pistorius weiter. Russland wolle den Frieden nicht, und wenn nur zu eigenen Bedingungen. "Mit diesem Putin können wir nur aus einer Position der Stärke verhandeln." Nötig sei die eigene Verteidigungsfähigkeit.
Streit um "Manifest" in der SPD: Stegner bereits vorher in der Kritik
Das Grundsatzpapier, das t-online vorliegt und über das zuerst der "Stern" berichtete, wurde von prominenten SPDlern wie dem Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich und dem Außenpolitiker Ralf Stegner, der zuletzt in der Kritik stand, weil er sich mit hochrangigen Kremlvertretern getroffen hatte, unterzeichnet.
Auf der Namensliste des Papiers stehen auch Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans, der ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel, sowie Bundestagsabgeordnete, Mandatsträger und Prominenz aus früheren Tagen der SPD.
Mützenich: "Suchen nach Auswegen in gefährlichen Zeiten"
Die sogenannten SPD-Friedenskreise fordern darin eine Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik. Von einer stabilen Friedens- und Sicherheitsordnung sei Europa aktuell weit entfernt, beklagen sie und werben für Deeskalation und schrittweise Vertrauensbildung statt Rüstungswettlauf.
Mützenich verteidigt das Anliegen auch gegen die Kritik aus der eigenen Partei. "Auch unsere Überlegungen können nicht alle Fragen beantworten, und dennoch suchen wir nach Auswegen in gefährlichen Zeiten", sagte Mützenich am Mittwoch dem "Stern". "Im Kern brauchen wir eine Kombination aus Verteidigungsfähigkeit und Anreizen zur Konflikteindämmung und für Koexistenz."
- "Irritiert, verstört und verärgert": SPD streitet über "Manifest"
"Manifest" löst Debatte in der SPD aus – Juso-Chef lobt
Unterstützung bekam er von Juso-Chef Philipp Türmer. Der lobte das Papier: "Es ist gut, dass wir jetzt diese Debatten führen, denn sie entfalten neben der inhaltlichen Ebene auch eine psychologische Wirkung", sagte Türmer dem "Stern" mit Blick auf die Diskussion über deutsche Verteidigungsausgaben.
"Hätten wir 2024 tatsächlich 3,5 Prozent des BIP ausschließlich für traditionelle Verteidigung aufgewendet, wären das über 150 Milliarden Euro gewesen", kritisierte Türmer. "Das sind von der Realität weitestgehend entkoppelte Mondzahlen."
Vor SPD-Parteitag: "Manifest" kommt an brisantem Zeitpunkt
Die SPD ringt schon seit langem mit der Aufarbeitung ihrer Russlandpolitik. Mit Spannung wird die Debatte beim Parteitag erwartet – denn auch im neuen Parteiprogramm dürften sich die Sozialdemokraten zu dem Thema positionieren.
Dann wollen die Sozialdemokraten nicht nur ihre Spitze neu wählen, sondern auch den Prozess für ein neues Parteiprogramm nach dem Debakel bei der Bundestagswahl beginnen. Kurz zuvor steht der Nato-Gipfel an, bei dem es um eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben gehen wird.
- SPD-Friedenskreise: Manifest
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP