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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Chaos um Verfassungsrichterwahl So kann das nicht weitergehen

Das Parlament heißt Parlament, weil dort miteinander gesprochen wird. Die Union verweigert der AfD und der Linken dieses Gespräch. Auch deshalb musste die Wahl der Verfassungsrichter nun abgesagt werden. Der Unvereinbarkeitsbeschluss muss weg.
Der Bundestag ist kein Zirkuszelt, hat Bundeskanzler Friedrich Merz unter Verweis auf die Würde des Hauses dieser Tage gesagt. Das stimmt. Aber ein Kindergarten ist er auch nicht. Und zu dem machen ihn im Moment die Akteure, die dort als Volksvertreter sitzen. An diesem unwürdigen Schauspiel hat gerade die Unionsfraktion, also Merz' eigene Leute, maßgeblichen Anteil.
Die Wahl der drei neu zu ernennenden Bundesverfassungsrichter musste abgesagt werden, weil sich die Regierungsfraktionen nicht einigen konnten. Es ist ein zutiefst unwürdiger Vorgang in dem Haus, dem die Verfassung das Primat der Legislative zugewiesen hat, den obersten Verfassungsrang, das also noch höher steht als der Kanzler. Beschädigt ist nun dieses Organ, und das Bundesverfassungsgericht ebenfalls. Es gab oft ein bisschen Gerangel um die Besetzung der Posten dort. Aber eine solche offene Saalschlacht mit kreuz und quer verlaufenden Linien zwischen Opposition und Regierung nie.
Die Sache hatte sich so fürchterlich verzopft, weil sich die Vorbehalte gegenüber einer einzelnen Kandidatin immer mehr mit Fragen der Ehre und des anständigen Umgangs miteinander mischten. Im Haaransatz ist dieser Rasta-artige Zopf entstanden, weil sich die Union auferlegt hat, nichts gemeinsam mit der Linken und/oder AfD zu machen.
Eine bange Frage schwebt über allem
Diese "Unvereinbarkeitsbeschluss" genannte Kontaktsperre hat dazu geführt, dass im Vorfeld nicht einmal mit der Linken (die im Unterschied zur AfD sogar manche Unionisten immer als zu den Demokraten im Parlament gehörig rechnen) Gespräche über den Unionskandidaten geführt wurden. Und die bange Frage schwebt über allem, dass die eigenen Kandidaten gewissermaßen besudelt wären, wenn sie mit den Stimmen der AfD gewählt würden.
Dieser Unfug muss aufhören. SPD und vor allem die Union müssen die neuen Realitäten anerkennen, dass die AfD derzeit die größte Oppositionsfraktion stellt und man deshalb bei Zwei-Drittel-Fragen wie einer Richterwahl für Karlsruhe nicht an ihr vorbeikommt. Ebenso wenig wie an Sondierungsgesprächen mit der Linken, denen in diesem Fall auch die Tür vor der Nase zugeknallt wurde, anstatt das Gespräch zu suchen.
Aus der Zeit Gefallenes muss weg
Dieser sogenannte Unvereinbarkeitsbeschluss hat strukturelle Ähnlichkeiten mit der Hallstein-Doktrin. Auch diese (kein Land kann diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik pflegen, welches das auch mit der DDR tut) war irgendwann aus der Zeit gefallen und musste deshalb weg. Der Unvereinbarkeitsbeschluss verdient seinen Namen tatsächlich aus einem ganz anderen Grund als jenem, der zu diesem Namen führte: Er ist unvereinbar mit der Praxis eines funktionierenden Parlamentarismus und setzt sich über den Souverän und seine Wahlentscheidung hinweg.
Friedrich Merz hat recht, wenn er mahnt, der Bundestag solle zur Besinnung kommen, weil er sonst sein Recht der ersten Wahl an den Bundesrat verliert. Dafür muss aber zuallererst in Abwägung aller Fürs und Widers die Union ihren unseligen Beschluss kippen und mit all jenen reden und sondieren, die im derzeitigen Bundestag sitzen. Alles andere ist eben genau das: Kindergarten. Und Missachtung des Souveräns.
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