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Bürgergeld für Ukrainer streichen? CSU-Chef Söder zündet die Nebelkerze


Diskussion über Söder-Vorstoß
Das Bürgergeld für Ukrainer war von Anfang an falsch


04.08.2025 - 12:43 UhrLesedauer: 1 Min.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU): Geht es nach ihm, bekommen Ukrainer in Deutschland bald kein Bürgergeld mehr.Vergrößern des Bildes
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU): Geht es nach ihm, bekommen Ukrainer in Deutschland bald kein Bürgergeld mehr. (Quelle: IMAGO/Heiko Becker)
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6,3 Milliarden Euro kostet es pro Jahr, den in Deutschland lebenden Ukrainern Bürgergeld auszuzahlen. CSU-Chef Söder fordert, ihnen diese Unterstützung zu streichen.

Für Menschen im Bürgergeld hat der Staat 2024 rund 46,9 Milliarden Euro an Hilfen gezahlt – rund vier Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor. Rund 48 Prozent dieser Summe ging an Menschen ohne deutschen Pass.

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Nun muss Deutschland allerdings angesichts der beiden Sondervermögen, auf die sich die schwarz-rote Regierungskoalition geeinigt hat, sparen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, dessen CSU Teil der Bundesregierung ist, hat dabei eine Gruppe an Bürgergeldempfängern ins Visier genommen: 6,3 Milliarden Euro Bürgergeld zahlte der Staat im Jahr 2024 an in Deutschland lebende Ukrainer aus.

Anders als im Koalitionsvertrag beschlossen, forderte Söder im Sommerinterview des ZDF am Sonntagabend, dass Ukrainer künftig gar kein Bürgergeld mehr bekommen sollen, sondern nur die niedrigeren Leistungen, die Asylbewerbern zustehen. Das führt zu der Frage:

Sollte Deutschland Menschen aus der Ukraine das Bürgergeld streichen?

Pro
Christoph SchwennickeBereichsleiter Exklusiv

Das Bürgergeld für Ukrainer war ein Fehler im Affekt

Politik macht immer dann ihre schwerwiegendsten und kostspieligsten Fehler, wenn sie gefühlsgesteuert entscheidet, sich von Gefühlen übermannen lässt. So war das immer wieder bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, am fatalsten, aussichtslosesten und teuersten in Afghanistan. In den 20 Jahren des vergeblichen Versuchs, das Land zu demokratisieren und flächendeckend Mädchenschulen einzurichten, hat der deutsche Einsatz dort über 17 Milliarden Euro gekostet.

Einen Fehler in noch größerer finanzieller Dimension hat die deutsche Bundesregierung begangen, als vor mehr als drei Jahren der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine losging und Ukrainerinnen und Ukrainer Zuflucht im Ausland suchten, nicht zuletzt in Deutschland. Damals gab es den breiten Konsens bis hin zur Union, zu der Zeit noch in der Opposition, den ankommenden Ukrainern sofort Bürgergeld zu geben. Sie waren vom ersten Moment an Flüchtlinge Erster Klasse.

Bei gut 700.000 Bezugsberechtigten verursacht das Kosten im Jahr von 6,3 Milliarden Euro, das wären in Afghanistankategorien auf 20 Jahre gerechnet 126 Milliarden Euro. Ein Fehler also in fast zehnfacher Dimension, was die Kosten anlangt. Und das war schon ein sündhaft teurer Irrtum. Und einer mit großem gesellschaftlichem Sprengpotenzial. Denn diese Lex Ukraine kratzt am Gerechtigkeitsgefühl vieler, die in das System einzahlen.

Dieser Fehler ist seinerzeit im Affekt begangen worden, auch von der heute regierenden Union, auch von Markus Söders CSU. Deshalb musste man ihn eine Zeit lang ertragen und hinnehmen. Aber man muss nicht daran festhalten. Die Menschen aus der Ukraine sollen natürlich Schutz und Zuflucht bekommen und versorgt werden. Dafür reichen aber die Alimentationen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Abgesehen davon kommen die Ukrainer im Schnitt nicht so mittellos hier an wie Migranten etwa aus Afrika. Ihre Kreditkarten funktionieren, ihre Konten sind nicht eingefroren. Wenn der Eindruck der Fahrzeuge mit ukrainischem Kennzeichen nicht furchtbar täuscht, dann sind viele der vor dem Krieg Geflüchteten auch nicht ganz mittellos, auch wenn das bei der Berechnung des Bürgergelds berücksichtigt wird.

Zudem darf – auch bei Existenz möglicher weiterer Gründe – davon ausgegangen werden, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der vergleichsweise generösen Versorgung und dem fehlenden Drang zur Arbeit. In anderen Ländern, die ukrainische Flüchtlinge aufgenommen haben, ist die Quote derer, die Arbeit angenommen haben, viel, viel höher als in Deutschland.

Fehler im Affekt passieren in der Politik. Leider nicht selten auch sehr teure. Das wird sich nie vermeiden lassen. Aber man muss sie dann abstellen, wenn man sie mit etwas Abstand klar als solche erkannt hat. Deshalb hat Söder recht, auch dann, wenn er mit seinem Vorstoß über den Bestandsschutz der schon Angekommenen im Koalitionsvertrag hinausgeht.

Kontra
Tobias SchibillaRedakteur Politik & Wirtschaft

Söders gefährliche Nebelkerze

Markus Söder will das Bürgergeld für ukrainische Geflüchtete streichen – ein Vorstoß, der vor allem eines ist: populistisch. Statt echte Lösungen für die Herausforderungen der Integration zu liefern, gießt er Öl ins Feuer einer ohnehin aufgeheizten Debatte und zündet damit eine gefährliche Nebelkerze. Wer Menschen in Not unter Druck setzt, löst keine Probleme – sondern schafft neue.

Ukrainerinnen und Ukrainer sind vor einem brutalen Angriffskrieg geflohen. Wer ihnen hier die Grundsicherung entzieht, schränkt nicht nur ihre Existenz, sondern auch ihre Chancen auf Teilhabe und Integration massiv ein. Perspektiven entstehen nicht durch Entzug, sondern durch Förderung – etwa durch gezielte Sprachkurse, Ausbildung und Jobvermittlung.

Ohnehin bekommen Ukrainer, ebenso wie Deutsche, erst Bürgergeld, nachdem der Staat ihre Einkommen und Vermögenswerte geprüft hat. Andere bekommen die Grundsicherung, weil sie eben noch nicht arbeiten können – sei es wegen Sprachkursen, oder weil sich Ukrainerinnen, die einen Großteil der Geflüchteten ausmachen, um ihre Kinder kümmern müssen. Wer diesen Menschen das Bürgergeld streicht, verlängert die Abhängigkeit – und untergräbt so den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Denn: Die gestiegenen Ausgaben für das Bürgergeld resultieren nicht aus massenhaftem Missbrauch, wie der Arbeitsmarktexperte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erklärt. Sie spiegeln vielmehr die Wirklichkeit einer Grundsicherung wider, die sich an die Realität anpasst und etwa bei steigender Inflation die Bezüge anpasst.

Beim Bürgergeld geht es um die Sicherung des Existenzminimums. Wer das infrage stellt, ignoriert bewusst die sozialen Realitäten vieler Menschen – ob geflüchtet oder nicht. Mit seiner Forderung öffnet Söder Tür und Tor für eine Politik, die Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Menschen einführen will, die ohnehin schon mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten zu kämpfen haben.

Dabei gäbe es durchaus ernst zu nehmende Wege, im Haushalt Einsparpotenziale zu heben: Eine moderate Vermögenssteuer – etwa ein Prozent auf Nettovermögen ab zwei Millionen Euro – würde laut Studien jährlich rund 10 Milliarden Euro bringen. Auch eine Reform der Erbschaftssteuer, die große Betriebsvermögen nicht länger privilegiert, könnte Milliardeneinnahmen generieren – mit dem Vorteil, dass sie generationenübergreifend sozial gerecht wirkt.

So könnte der Staat Milliarden Euro einnehmen. Allerdings würde er sich damit bei den Stammwählern der Union unbeliebt machen. Söder hat mit seinem Vorschlag also nicht das Wohl der Deutschen, sondern das seiner Wähler im Sinn. Dabei wäre es für die Regierung an der Zeit, angesichts der nötigen Sparmaßnahmen an den wirklich großen Stellschrauben zu drehen.

Stattdessen versucht Söder, mit seinem populistischen Vorschlag das Geld aus den dünnsten Portemonnaies zu nehmen. Damit gefährdet er nicht nur den sozialen Zusammenhalt in Deutschland, sondern beschädigt auch das Ansehen der Politik, die in der sozialen Marktwirtschaft ökonomisches Augenmaß immer mit Menschlichkeit verbinden sollte.

 
 
 
 
 
 
 

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