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Sondierungs-Strategie der FDP: Lindners riskantes Spiel


Verhandlungsstrategie der FDP
Lindners riskantes Spiel

t-online, Jonas Schaible

08.11.2017Lesedauer: 3 Min.
Lindner bei den Sondierungen: Bloß nicht werden wie Westerwelle.Vergrößern des BildesLindner bei den Sondierungen: Bloß nicht werden wie Westerwelle. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)
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Christian Lindner betont stets: Die Koalition könne auch scheitern. Bisher war diese Verhandlungsstrategie erfolgreich. Doch es gibt erste Anzeichen, dass er es zu weit treibt.

Eine Analyse von Jonas Schaible

Wenn Christian Lindner verhandelt, dann sieht Fortschritt so aus:

Am 19. Oktober, dem ersten Tag der Sondierungsgespräche, gibt der FDP-Chef die Chancen für eine schwarz-gelb-grüne Koalition an: 50 Prozent.
Am 1. November sagt Lindner, die Chancen lägen “immer noch bei Fifty-Fifty”.
Am 3. November schreibt er auf Facebook: “Die Chancen stehen unverändert 50:50.”
Am 5. November sagt er in einem Interview: “Die Chancen für Jamaika stehen 50:50.”
Am 6. November, dem Tag, als die zweite Sondierungsrunde beginnt, sagt er: “Die Wahrscheinlichkeit ist fifty-fifty. Ob es ein Prozentpunkt mehr oder weniger wird, wird man am Ende vielleicht dieser oder spätestens der nächsten Woche ja sehen.”

Viel Bewegung ist das nicht, für zweieinhalb Wochen voll mit Verhandlungen.

Die Strategie ist offensichtlich: Die FDP will sich teuer verkaufen und bei alldem nie so wirken, als habe sie es auf Posten und Macht abgesehen. Dafür verhandelt sie hart. Doch langsam drängt sich die Frage auf: Verhandelt sie zu hart?

So sehr Lindner auch betont, dass die FDP die Partei der Vernunft und der Mitte sei, so riskant ist das Spiel, das er spielt. Und er droht, zu überreizen.

Das Trauma von 2013 wirkt nach

Seit er im Jahr 2013 die Partei übernommen hat, versucht er eigentlich, der FDP ein neues Image zu geben. Nicht soll mehr erinnern an die klientelistische Mövenpick-Partei. An die unseriöse Spaßpartei. An eine Machtpartei, die für eine Regierungsbeteiligung beinahe alles geben würde. Lindner will nicht zum Westerwelle werden, der sich zu oft und zu laut nach vorne gedrängt hat.

Dazu kommt das Trauma von 2013: In die schwarz-gelbe Koalition 2009 hatte sich die FDP übereilt gestürzt. Sie geriet an einen Partner, der von ihrer Großspurigkeit genervt und in eine Regierung, die sich in zentralen Fragen uneinig war. Sie fiel vor allem durch Streitereien auf. Öffentlich beschimpften sich die Koalitions-Partner zum Beispiel als "Wildsau" und "Gurkentruppe".

Nach den vier Jahren an der Regierung flog die FDP zum ersten Mal aus dem Bundestag. Daraus folgert sie: Nur nicht denselben Fehler machen, nicht vorschnell unterschreiben, nicht auf eigene Kernpunkte verzichten. Lindner will nicht zum Westerwelle werden, der zu lax verhandelt hat.

Prinzipienfest oder ruchlos?

Im Wahlkampf verzichtete die FDP auf Steuersenkungen als Hauptthema. Ganz vorne auf ihrer Liste standen Bildung und Digitalisierung. Nicht mehr von “Liberalen” sprach er, sondern von “Freien Demokraten”. Statt ständig von Unternehmen redete er viel von Kindergärtnern, Facharbeitern, kleinen Leuten. Er erwägt offenbar, Fraktionsvorsitzender zu bleiben und kein Ministeramt zu übernehmen – Westerwelle griff sich sofort das prestigeträchtige Auswärtige Amt.

Lange ist Lindner mit seiner Mischung aus permanenter Medienpräsenz, kalkulierter Provokation und Kompromisslosigkeit gut gefahren. Er hat die FDP wieder auf 10,7 Prozent gehievt. Auch in anderen Parteien spricht man anerkennend über den Wahlkampf und Lindners Öffentlichkeitsarbeit. Noch gilt er als jung, ehrgeizig, talentiert und ist relativ beliebt. Aber das könnte kippen. Erste Anzeichen gibt es schon.

Lieber erscheine er kompromisslos, als seine Prinzipien zu verraten, sagte Lindner. Schon jetzt gilt er auch in schwarz-gelb-grünen Kreisen als derjenige, an dem die schwarz-grün-gelbe Koalition am ehesten scheitern könnte. In dieser Analyse erscheint er nicht mehr prinzipienfest, sondern stur oder gar ruchlos. Zu verhandeln und dabei zu signalisieren: Hier stehe ich, ich kann auch anders – dieses Kokettieren hat Grenzen. Nicht nur im Lutherjahr.

Fast 45 Prozent der Deutschen finden Lindner zu offensiv

Mit seiner Kritik an Kohleausstieg und den deutschen Klimazielen stellt er sich nicht nur gegen die Grünen, sondern auch gegen die Wirtschaft. Ein Bündnis von 50 Unternehmen wirbt mittlerweile für eine schnellen Kohleausstieg – darunter sind etwa Siemens, SAP, Aldi Süd, Adidas oder EnBW.

Sollte eine Koalition auch an der Energiepolitik scheitern, wie sollte er das einer Öffentlichkeit erklären, die sowieso mehrheitlich für den Kohleausstieg ist?

Und scheitern könnte die Koalition – an der Grünen Basis. Laut einer Umfrage der Meinungsforscher von Civey für t-online.de finden zwei Drittel der Grünen-Wähler, Lindner trete in der Öffentlichkeit zu offensiv auf. Sie müssen am Ende aber entscheiden, ob sie ihre Partei in eine Koalition schicken.

Aber es sind nicht nur die Grünen. Rund 22 Prozent der Deutschen finden, Lindner sei derzeit zu offensiv. Weitere 23 Prozent sagen sogar: viel zu offensiv.

Lesetipps:
Der frühere FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle rät Lindner im Interview, sich stärker zurückzuhalten.
Schon am ersten Tag der Sondierungsgespräche wurde klar, dass Lindner härter verhandeln würde als die Grünen.
Auch die taz analysiert Lindners Strategie und kommt zum Ergebnis: Er weiß selbst noch nicht, ob er Schwarz-Gelb-Grün wirklich will.

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