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Rechtsextremismus – Hajo Funke: "Diese Zahl ist absurd"


Rechtsextremismus
"Diese Zahl ist absurd"

  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 17.12.2019Lesedauer: 3 Min.
Interview
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang (li.), BKA-Chef Holger Münch und Innenminister Horst Seehofer: Die Sicherheitsbehörden wollen den Rechtsextremismus entschiedener bekämpfen.Vergrößern des Bildes
Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang (li.), BKA-Chef Holger Münch und Innenminister Horst Seehofer: Die Sicherheitsbehörden wollen den Rechtsextremismus entschiedener bekämpfen. (Quelle: Gregor Fischer/dpa-bilder)

Die Sicherheitsbehörden wollen verstärkt gegen Rechtsextremismus vorgehen. Reichen die Pläne, um Rechtsterror wie in Halle zu verhindern? Experte Hajo Funke schätzt die Vorhaben ein.

Der Rechtsextremismus ist mittlerweile die Ursache für die Hälfte aller politisch motivierten Körperverletzungen in Deutschland. Innenminister Horst Seehofer, Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang und BKA-Chef Holger Münch wollen das ändern. Auf einer Pressekonferenz stellten sie jetzt eine Reform der Behörden vor. Mehr Personal, aber auch mehr Aufmerksamkeit für die Verbindungen von Gewalttätern in die Szene der Neuen Rechten.

Wie gefährlich ist der Rechtsextremismus wirklich? Reichen die Bemühungen der Behörden aus? Das ordnet Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke im Gespräch mit t-online.de ein.


Prof. Dr. Hajo Funke (75) ist Politikwissenschaftler und arbeitete bis zu seiner Emeritierung 2010 an der Freien Universität Berlin. Er ist führender Experte für Rechtsextremismus und Antisemitismus. Im November wurde ihm für seine Verdienste um Wissenschaft und Gesellschaft das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Prof. Funke, wie gefährlich ist der Rechtsextremismus?

Die Gefahr des Rechtsextremismus hat immens zugenommen. Das zeigt sich bei den Straftaten, bei den Gewalttaten und bei den besonders drastischen Verbrechen wie beim Rechtsterror in Halle und dem Attentat auf den CDU-Politiker Walter Lübcke.

Seit wann sehen Sie eine neue Qualität?

Seit dem Fanal von Chemnitz hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. Das war das erste Mal seit 1949, dass eine im Bundestag vertretene Partei offen und strategisch mit gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremen gemeinsame Sache gemacht hat.

Sie meinen die AfD. An wen richtete sich dieses Fanal, dieses Zeichen?

Es war ein Fanal, das in zwei Richtungen zielte: Es hat die weitere Rechtsextremisierung eines großen Teils der AfD befördert, um den sogenannten "Flügel" mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Und es war ein Fanal an die gewaltbereiten Rechtsextremen, die offenen Rückhalt gespürt haben.

Ist das eines der Hauptprobleme im Kampf gegen Rechtsextremismus? Dass es mit der AfD nun eine Partei gibt, in der es Verbindungen in die Szene gibt und die zugleich eine gesellschaftliche Stimmung schafft, in der auch Gewalt gedeihen kann?

Ja. Die AfD und ihre rapide Rechtsradikalisierung unter Alexander Gauland ist ein Hauptproblem. Es gibt natürlich weiterhin die lang etablierten Szenen und Netzwerke insbesondere an Hotspots wie Kassel, Dortmund und Chemnitz. Aber das Problem ist die Entfesslung des Ressentiments durch Pegida und AfD. Dadurch wird ein Resonanzraum ins Schwingen gebracht, der vorher zwar auch da war, der sich aber bisher in Küchengesprächen erschöpft hat und nun als Bewegung eine gefährliche Kraft darstellt.

Der Verfassungsschutz hat heute von 12.700 gewaltbereiten Rechtsextremen gesprochen. Zugleich werden beim BKA nur 48 Rechtsextreme als "Gefährder" eingestuft, denen jederzeit eine Straftat von erheblicher Bedeutung zugetraut wird. Das soll nun überprüft werden.

Diese Zahl ist absurd. Das ist offenbar auch Konsens zwischen Innenminister Horst Seehofer, Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang und BKA-Chef Holger Münch. Wie viele es genau sein müssten, kann ich nicht sagen. Aber es gibt sicher eine mittlere dreistellige Zahl an "Gefährdern".

Das BKA soll nun 300 neue Stelle bekommen und das Bundesamt für Verfassungsschutz auch 300. Reicht das?

Es geht gar nicht so sehr um die Zahlen. Entscheidend ist, wie qualifiziert das Personal ist und vor allem wie es von der Leitung ausgerichtet und eingesetzt wird. Wenn sich die Behörden auf den verschiedenen Ebenen gegenseitig blockieren, wie vielfach beim NSU, dann bringen auch 5.000 neue Stellen nichts. Der Wille zur Aufklärung, zu systematischen Ermittlungen und zur Übergabe an die Strafverfolgungsbehörden ist entscheidend.

Dieser Wille zur Aufklärung hat ja auch immer etwas mit dem politischen Willen zu tun…

…sehr viel!

Tut der Innenminister genug im Kampf gegen Rechtsextremismus?

Horst Seehofers Rolle hat sich sehr verändert. Er hat den Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum in München mit neun Toten noch vor ein, zwei Jahren und heute auch wieder als Amoklauf bezeichnet. Große Teile der Sicherheitsbehörden stufen den Anschlag erst jetzt als rechtsextreme Tat ein. Seehofer schwankte in seiner Haltung immer wieder. Aber Halle hat ihn schockiert. In der Synagoge ist ihm bei seinem Besuch zugerufen worden: "Sie schützen uns nicht!" Das hat ihm gezeigt: Ich muss da ran. Es ist sehr spät, aber immerhin.

Sie haben also Hoffnung, dass sich etwas ändert?

Es ist für mich sehr klar, dass Seehofer, Haldenwang und Münch es jedenfalls ernst meinen. Ob daraus eine verbesserte Sicherheit entsteht, wissen wir nicht. Dazu muss sich auch die Transparenz verbessern, es muss eine andere Fehlerkultur und eine andere Kultur der Selbstkritik geben. Es braucht unabhängige Kontrollen der Arbeit, und zwar durch das Parlament. Und die Effizienz der Arbeit muss steigen, wie nun versprochen wurde. Nur wenn das alles zusammenkommt, wird sich nachhaltig etwas ändern. Dann wäre es eine neue Qualität der Sicherheitspolitik.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Prof. Hajo Funke am Telefon
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