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Sachsen – Michael Kretschmer: "Es muss gewisse Erleichterungen geben"


Michael Kretschmer
"Wir haben uns allen viel zugemutet"

InterviewVon Tim Kummert

05.02.2021Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Michael Kretschmer: Bei t-online skizziert der sächsische Ministerpräsident seine Strategie für die nächsten Wochen.Vergrößern des Bildes
Michael Kretschmer: Bei t-online skizziert der sächsische Ministerpräsident seine Strategie für die nächsten Wochen. (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)

In Sachsen war die zweite Corona-Welle besonders heftig. Jetzt sind die Zahlen merklich gesunken. Wie ist das gelungen? Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer über Zweifel in der Krise und künftige Lockerungen.

t-online: Wann hatten Sie in dieser Corona-Krise am meisten Angst?

Michael Kretschmer: Das war um den Jahreswechsel, das werde ich wahrscheinlich mein Leben lang nicht vergessen.

Wieso?

Die Situation in den Krankenhäusern war dramatisch. Und hinzu kam, dass wir noch keinen Effekt der neuen Maßnahmen von Mitte Dezember sehen konnten.

Dachten Sie zu dem Zeitpunkt über eine vollständige Ausgangssperre für Sachsen nach?

Nein. Aber hinter uns lag bereits eine Zeit, in der wir mit verschiedenen Maßnahmen versucht hatten, den Anstieg der Infektionen zu brechen. Nach jedem Beschluss hatten wir, die Staatsregierung, die Landräte und Bürgermeister die Hoffnung, dass wir jetzt erfolgreich sein würden.

Und was kam dann?

Zweifel, ob die neuen Regeln reichen. Ich bekomme ja jeden Tag aufs Neue die Zahlen vorgelegt. Man schwankt zwischen der Zufriedenheit über das Erreichte und der Unsicherheit, ob das ausreicht.

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Mittlerweile sind die Infektionszahlen in Sachsen wieder stark gesunken. Wie kam das?

Durch konsequente Maßnahmen. Wir haben uns allen viel zugemutet. Die Bilder aus den Krankenhäusern haben bei vielen Menschen Spuren hinterlassen und ein aktives Mitwirken ausgelöst. Und wir haben immer wieder darauf gedrängt, dass die Maßnahmen eingehalten werden.

Kann die Bundesregierung etwas von Ihrem Krisenmanagement lernen?

Ich bin dankbar für das Miteinander der Ministerpräsidenten und der Bundesregierung. Wir sprechen miteinander den richtigen Weg ab und am Ende einigen wir uns auf eine gemeinsame Richtung. Aufgabe der Politik ist es, Abwägungsentscheidung zu treffen zwischen verschiedenen Interessen. In diesem Fall der Pandemie ist es allerdings so: Das Virus nimmt auf unsere Interessen und Bedürfnisse keine Rücksicht. Trotzdem haben Fragen der Bildung, der psychischen Gesundheit von Kindern und Familien und auch die Situation von Selbstständigen und Unternehmern eine ganz große Bedeutung und werden bei allen Entscheidungen stark berücksichtigt.


Nächste Woche konferieren Sie und die anderen Ministerpräsidenten wieder mit der Kanzlerin. Ist mit einer Lockerung der Maßnahmen zu rechnen?

Ich glaube schon, dass es gewisse Erleichterungen im Februar geben muss. Insbesondere im Bereich von Kitas und Grundschulen.

Wird es darüber hinaus Lockerungen geben?

Erstmal nicht, denn wir machen einen Schritt nach dem anderen, wir folgen einem genauen Plan: Ab Montag dürfen die Abschlussklassen und auch die der Berufsschulen, die unmittelbar vor Prüfungen stehen, wieder in die Schulen in Sachsen. Dennoch müssen wir einen Jo-Jo-Effekt verhindern.

Was meinen Sie?

Immer wieder aufs Neue in einen vollständigen Lockdown zu fallen, und dann wieder vollständig zu lockern.

Wie lässt sich das vermeiden?

Indem wir nicht unvorsichtig und vorschnell Lockerungen vornehmen. Und trotzdem rate ich sehr dazu, eine rote Linie zu definieren, also einen klaren Inzidenzwert, ab dem die leichten Lockerungen zurückgenommen werden müssen.

Wie konsequent muss diese Marke eingehalten werden?

Bei ein oder zwei Tagen, in denen die Zahl leicht höher liegt, braucht man nicht gleich in Panik zu verfallen. Aber ja, einen langfristig höheren Anstieg als diesen Wert sollten wir vermeiden.

Wie sieht die langfristige Perspektive aus Ihrer Sicht aus kann man im Mai oder Juni wieder im Restaurant essen gehen?

Es wäre völlig unseriös, das jetzt vorherzusagen. Sehen Sie, wir müssen uns immer in Schritten von zwei bis drei Wochen bewegen. Wir lockern jetzt wahrscheinlich die Maßnahmen für Kitas und Grundschulen. In drei Wochen überprüfen wir, ob das Infektionsgeschehen weiterhin kontrollierbar bleibt. Erst dann können wir weiterschauen. Doch dabei hat sich einiges im Vergleich zum Sommer verändert.

Infektionsketten stehen nicht mehr so im Vordergrund wie damals.

Richtig. Damals haben wir über Infektionsketten und Nachvollziehbarkeit von Kontakten gesprochen, es wurden diverse Kontaktlisten in den Restaurants ausgelegt. Aber durch die Mutation müssen wir darauf setzen, dass Mobilität und Kontakte ganz grundsätzlich unterbunden werden. Und natürlich ist das sehr, sehr anstrengend und kräftezehrend, weil wir jetzt eigentlich noch vorsichtiger sein müssen, das verlangt uns allen viel ab.

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Einigen ist das zu viel: Im Januar versammelten sich 30 Wut- und Reichsbürger vor Ihrem Haus und stellten Sie zur Rede, als Sie gerade Schnee schippten.

Darunter waren auch Menschen, die eine Reichskriegsflagge dabei hatten, ja, und eine erklärte, sie sei Reichsbürgerin. Und sie waren alle sehr wütend.

Konnten Sie diese Wut über die Corona-Maßnahmen verstehen?

Teilweise. Denn das waren Leute, die eigentlich wollten, dass der Lockdown sofort beendet wird und dabei auch sehr laut wurden. Teilweise leugneten sie auch, dass es überhaupt Corona-Tote gibt, das fand ich schon bedenklich. Ich habe dann mit ihnen geredet und klargestellt: Ich lasse mich nicht beschimpfen und ich lasse mich nicht anschreien. Aber ich suche gern den demokratischen Diskurs und habe versucht, die Argumente darzulegen.

Kann dieser Austausch manche Echokammer aufbrechen?

Davon bin ich fest überzeugt. Abgesehen davon: Was ist denn die Alternative dazu – also zu einem respektvollen Umgang mit Argumenten? Der ist für mich alternativlos. Nur weil mich einer anschreit, darf ich nicht direkt zurückbrüllen. Ja, der Ton wird insgesamt rauer, aber als Politiker muss man ohne emotionale Überhöhung agieren.

Gerät der demokratische Diskurs in der Corona-Pandemie insgesamt in Schieflage?

Das ist möglich, und ich kann nur davor warnen. Denn wir leben aktuell in einer Zeit, in der differenzierte Töne in der Berichterstattung und in der Politik kaum noch gehört werden. Es wird sich stattdessen auf die Suche nach Fehlern und Unstimmigkeiten gestützt. Das ist zwar nachvollziehbar, weil die Nerven blank liegen, aber es hilft nicht weiter.

Wie stark wächst die Unzufriedenheit über die Bewältigung der Pandemie?

Die Anzahl der Menschen, die keine Kraft mehr haben, steigt. Und das ist nur verständlich: Zwei Monate, teilweise drei Monate, Lockdown für einige Unternehmen – das ist eine psychische und finanzielle Herausforderung. Und da haben wir über die Angestellten, die noch einen festen Job haben und nicht in Kurzarbeit sind, noch gar nicht geredet.

Teilen Sie die These der Bundeskanzlerin, es sei bei der Impfstoffbestellung "im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen"?

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Wir Deutschen hätten die finanzielle und wirtschaftliche Kraft, uns den Impfstoff in einer Millionenzahl zu besorgen. Aber das wäre zu Lasten von anderen Staaten gegangen, wie Slowenien, Tschechien und den baltischen Staaten. Doch wir sind davon abhängig, dass es in diesen Ländern auch einen Fortschritt gibt, damit wir uns nicht gegenseitig anstecken.

Also teilen Sie die Aussage der Bundeskanzlerin.

Das habe ich nicht gesagt. Mich stört etwas ganz anderes.

Nämlich?

Es ist jetzt bald zwei Monate her, dass die Friseurgeschäfte und der Einzelhandel geschlossen wurden. Aber bis heute kann man immer noch keine Anträge für die Wirtschaftshilfe III stellen, deshalb gibt es keine Auszahlungen – das sorgt für viele Sorgen, die nicht nötig wären. Da lassen wir die Menschen im Stich. Dieser Punkt ist berechtigt.

Herr Kretschmer, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Michael Kretschmer
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