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Schwachstellen bei der Bundeswehr: "Das hat die Bundesregierung verschlafen"


Vernichtender Bericht für die Bundeswehr
"Das ist nicht die Aufgabe der jüngeren Generation"


12.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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Mit Blick auf das zur Verfügung stehende Material sei die Truppe "noch nicht vollständig einsatzbereit". (Quelle: Reuters)

Der Jahresbericht der Wehrbeauftragten legt erneut Schwachstellen bei der Bundeswehr offen. Ein Sicherheitsexperte erklärt, was nun getan werden muss.

Verschimmelte Duschen, fehlende Spinde und zu wenig Personal – die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, weist in ihrem Jahresbericht für 2023 auf den desolaten Zustand der Bundeswehr hin. Trotz der zunehmenden Kriegsgefahr aus Russland fehlt es der Bundeswehr demnach noch immer an vielem. Högl sieht zwar "wichtige Zeichen" der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) versprochenen "Zeitenwende". Doch ein Blick in ihren Jahresbericht zeigt: Bei der Bundeswehr läuft diese schleppend.

"Die Probleme sind seit Jahren die gleichen", sagt Christian Mölling, stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Denkfabrik Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Gespräch mit t-online. "Die Bundeswehr hat einfach zu viele Flaschenhälse." Doch was genau sind die größten Baustellen bei der Bundeswehr? Und wie ließen sie sich beseitigen?

Fehlendes Material – "Bestellungen verschlafen"

Ein Manko, mit dem die Bundeswehr derzeit zu kämpfen hat, ist das fehlende Material. Laut Wehrbericht fehlt es trotz umfassender Materialbeschaffung und -bestellung sowohl an Munition, Ersatzteilen und kleinerem Material wie Nachtsichtmitteln als auch an Großgeräten wie Panzern und Flugabwehrsystemen. Die Lieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine reiße zudem "Lücken in ohnehin schon geringe Bestände". Högl will diese so schnell wie möglich wieder schließen. Sie klagt jedoch über überbürokratisierte Prozesse und Strukturen.

Mölling weist darauf hin, dass schon längst Bestellungen bei den Rüstungskonzernen hätten abgegeben werden müssen. "Das hat die Bundesregierung verschlafen", sagt er. Laut Högl genehmigte der Bundestag im vergangenen Jahr 55 Anträge mit einem finanziellen Gesamtvolumen von 47 Milliarden Euro für Rüstungsprojekte. Eine Bestellung ist damit jedoch noch nicht aufgegeben.

Christian Mölling ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Denkfabrik Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung. Er studierte Politik-, Wirtschafts- und Geschichtswissenschaften an den Universitäten Duisburg und Warwick und promovierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Mölling zufolge bestellen angesichts des andauernden russischen Krieges gegen die Ukraine nun sehr viele Länder bei den Rüstungskonzernen. Deutschland reihe sich zu spät in die Warteschlange ein. Doch nicht nur das: "Die Anforderungen an die Bundeswehr werden steigen", sagt Mölling mit Blick auf die Planung der Nato. Bereits jetzt würden die Anforderungen des Bündnisses an die Bundeswehr nicht erfüllt. Eine zugesagte Division für 2025 sei noch immer nicht in den Startlöchern.

Eine Lösung, so Mölling, wäre beispielsweise, andere Maßstäbe daran anzulegen, was "einsatzbereit" heißt. "Wenn man sagt, man macht keine Kompromisse bei Leib und Leben – ok. Im Notfall könnte man aber erst mal Waffen aus dem Ausland kaufen", so der Experte. "Die können wir im Zweifel später wieder abgeben, aber erst mal wären die Lücken gestopft."

Marode Infrastruktur – hohe Investitionen

Ein weiteres Problem liegt laut dem Jahresbericht der Wehrbeauftragten 2023 in der maroden Infrastruktur der Bundeswehr. Högl schreibt, es brauche "grundlegend neue Ansätze". Viele Kasernen seien "in einem desolaten Zustand". Es fehle mitunter an "Selbstverständlichkeiten wie Stuben, Lagerhallen, Sportmöglichkeiten und WLAN". Das sei teils beschämend und dem Dienst der Soldatinnen und Soldaten unangemessen.

Um genügend Ausrüstung für die Bundeswehr zu besorgen, weitere Waffen zu bestellen und auch die Kasernen für die Zukunft auf Vordermann zu bringen, nannte Högl schon im vergangenen Jahr einen Investitionsbedarf von mindestens 300 Milliarden Euro – eine Summe, die Mölling für realistisch hält. "Frau Högl wird die Zahl nicht gewürfelt haben", so der Experte. Er gehe davon aus, dass sich der notwendige Betrag inzwischen jedoch gesteigert haben dürfte.

Mit Blick auf die Planungen der Nato schätzt Mölling grob, dass die Anforderungen an die Streitkräfte um ein Drittel steigen. Übertrage man das auf Kosten wären wohl mindestens 400 Milliarden Euro nötig, um die Bundeswehr wieder auf Stand zu bringen. "Und da ist die Inflation noch nicht mit eingerechnet", so der Experte. Auch Högl schreibt in ihrem Bericht, dass nach Ausschöpfen des Sondervermögens Ende 2027 der Verteidigungsetat um mehrere Milliarden steigen müsse. Einen genauen Betrag nennt sie diesmal jedoch nicht.

Derzeit beträgt die für die Streitkräfte bereitgestellte Summe 58,5 Milliarden Euro – eine deutliche Steigerung gegenüber den Vorjahren. Zwar fiel der Verteidigungsetat selbst ("Einzelplan 14") mit 50,1 Milliarden Euro gegenüber 50,4 Milliarden Euro im Jahr 2022 etwas geringer aus. Aus dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr standen aber zusätzlich rund 8,4 Milliarden Euro zur Verfügung.

Personalprobleme – zu alt, zu männlich, zu wenig

Zudem kämpft die Bundeswehr laut dem Bericht Högls weiterhin mit einem "enormen Personalproblem". "Die Truppe altert und schrumpft immer weiter", schreibt die SPD-Politikerin in ihrem Jahresbericht. Bereits im vergangenen Sommer nannte sie das Personal im Gespräch mit der Tagesschau "eine fast noch größere Herausforderung als Material".

Geändert hat sich seitdem wenig: Ende 2023 dienten dem Jahresbericht zufolge 181.514 Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr – 1.537 weniger als 2022. Das Ziel, die Personalstärke bis 2031 auf dann 203.000 Soldatinnen und Soldaten zu erhöhen, sei somit nur schwer zu erreichen. Auch der Anteil von Frauen in der Truppe sei nach wie vor nicht zufriedenstellend. Zwar sei die Zahl der Soldatinnen 2023 leicht gestiegen. Die gesetzlich festgelegte Quote von 15 Prozent, Sanitätsdienst ausgenommen, sei aber nicht erreicht worden.

Um das zu ändern, hofft Högl auf ein "grobes Konzept" für eine Dienstpflicht. In der Debatte über einen Wehrdienst in Deutschland hatte sie sich zuletzt für einen Gesellschaftsdienst ausgesprochen, der neben der Bundeswehr auch Bereiche wie Soziales, Umwelt oder Kultur abdeckt. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner, forderte zudem Investitionen in die Truppe. Die Mängel bei Ausrüstung und Unterkünften sowie fehlende Waffensysteme hätten auch Auswirkungen auf die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber, warnte er. Sie seien "kein Aushängeschild".

"Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe"

Eine Bewerberstudie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr aus dem Jahr 2022 belegt das. Demnach sind Empfehlungen von Freunden, Familie und Bekannten, neben Informationen im Internet, ein Hauptgrund dafür, sich bei der Bundeswehr zu bewerben. Bei denen, die sich dann tatsächlich bewerben, stünden "idealistische Aspekte" im Vordergrund. Doch die Zahl jener sinkt offenbar seit Jahren.

Mölling weist darauf hin, dass es neben Investitionen daher vor allem einen Verständniswandel brauche. "Die Bundeswehr muss verstehen, dass sie um Menschen werben muss und darf nicht darauf setzen, dass sich die Menschen trotz ihrer Mängel in sie verlieben", so der Experte. "In einem so konservativen Umfeld wie der Bundeswehr scheint das allerdings schwer vorstellbar", so Mölling. Außerdem spricht sich der Experte für den von Högl ins Spiel gebrachten Gesellschaftsdienst aus. "Die Gesellschaft muss für den Ernstfall sensibilisiert werden", so Mölling.

Dabei geht es um Fragen wie: Welche Ro lle habe ich im Krisenfall? Was kann ich übernehmen, um gesellschaftliche Strukturen und die Infrastruktur aufrechtzuerhalten? Wo befinden sich Schutzräume? "Da gibt es eine ganze Menge Aufgaben", so Mölling. "Und es ist nicht die Aufgabe der jüngeren Generation, diese Aufgabe zu schultern, sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", so der Experte. Ein solcher Dienst müsse daher an alle Menschen von 18 bis 65 Jahren adressiert werden.

Verwendete Quellen
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