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Sondervermögen Bundeswehr: Scheitert Olaf Scholz' wichtigstes Projekt?


Olaf Scholz
Scheitert sein wichtigstes Projekt?

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier, Miriam Hollstein

11.05.2022Lesedauer: 6 Min.
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Olaf Scholz: Er könnte schaffen, was die Union in 16 Jahren Kanzlerinnenschaft nicht hinbekommen hat.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Er könnte schaffen, was die Union in 16 Jahren Kanzlerinnenschaft nicht hinbekommen hat. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Olaf Scholz droht nach dem Impfpflicht-Debakel eine weitere Niederlage: Für seinen Plan, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro zu modernisieren, braucht er die Union. Doch die könnte den Kanzler auflaufen lassen.

Am Anfang stand eine gewaltige Zahl. Am Ende könnte eine Bundesrepublik stehen, die sich im Ernstfall tatsächlich verteidigen kann. Oder aber die größte Niederlage in der noch kurzen Amtszeit von Olaf Scholz.

Eines von beiden.

Vor ein paar Wochen hat der Bundeskanzler die "Zeitenwende" ausgerufen, was für Deutschland nicht nur die Unterstützung der Ukraine mit Waffen bedeuten sollte, sondern auch 100 Milliarden Euro für ein "Sondervermögen Bundeswehr".

Scholz, der Sozialdemokrat, könnte damit schaffen, was der Union in 16 Jahren Kanzlerinnenschaft nicht gelungen ist: Die Bundeswehr so auszustatten, dass es genügend Unterwäsche gibt. Und funktionierendes Gerät, das auch.

Es ist Scholz' bisher wichtigstes Projekt als Kanzler. Doch ausgerechnet für dieses Projekt hat er sich mal wieder abhängig gemacht von seinem größten Widersacher: Friedrich Merz. Dem Friedrich Merz, der mit seiner Union gerade erst die Impfpflicht verhindert hat und damit ein anderes zentrales Scholz-Projekt.

Wie genau das Sondervermögen ausgestaltet wird und wer davon profitiert, darüber gehen die Vorstellungen zwischen Ampelkoalition und Union nun unglücklicherweise recht weit auseinander. Seit Anfang der Woche wird ernsthaft über einen Kompromiss verhandelt, es geht hin und her. Ausgang: offen.

Was aber ist eigentlich, fragt sich inzwischen mancher Ampelpolitiker, wenn Merz auch diesmal ernst macht – und die 100 Milliarden scheitern lässt?

"Die Ampel in die Scheiße reiten"

Spätestens seit der Impfpflicht trauen viele in der Koalition Friedrich Merz nicht mehr recht über den Weg. Man könne sich auf Absprachen mit ihm offensichtlich nicht verlassen, heißt es auch von hochrangigen Ampelkoalitionären. Einige in den Fraktionen formulieren es noch undiplomatischer. Das Ziel von Merz sei es, die Ampel in die Scheiße zu reiten, sagt jemand.

Je schlechter Olaf Scholz aussieht, desto besser sieht Friedrich Merz aus. So würde das Merz'sche Kalkül lauten. Was generell gar nicht ungewöhnlich ist, sondern nur ein übliches Spiel zwischen Kanzler und Oppositionschef.

Besonders in der SPD aber hoffen sie, dass Merz es beim Sondervermögen anders als bei der Impfpflicht gar nicht auf die Spitze treiben kann. Selbst wenn man ihm unterstellt, dass es ihm kein bisschen um die Soldatinnen und Soldaten geht. Denn ein CDU-Chef, der der Bundeswehr Milliarden verweigert – das kann er doch seinen Wählern gar nicht verkaufen.

So die Theorie.

Zwei Prozent und kein Gedöns

Die Praxis sieht derzeit etwas anders aus. Dafür nämlich, dass Merz angeblich gar keine andere Wahl hat als einzulenken, kostet er die Lage genüsslich aus. "Wir lassen uns nicht unter Zeitdruck setzen", sagte Merz am Dienstag. "Hier geht Sorgfalt vor Geschwindigkeit." Er sah dabei recht entspannt aus.

Das könnte einerseits daran liegen, dass Merz die Regierung vor seiner Zustimmung noch ein bisschen länger zappeln lassen will. Andererseits aber scheint er mindestens zwei Kritikpunkte gefunden zu haben, die er im Zweifel seinen Wählern eben doch als Grund verkaufen könnte, dem Milliardensegen nicht zuzustimmen.

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Die Union besteht zum einen darauf, dass die 100 Milliarden Euro ausschließlich der Bundeswehr zugutekommen. Und nicht etwa dem Zivilschutz, wie es manche Grüne gerne hätten. Das Argument ist aus dieser Sicht gewissermaßen: kein Gedöns, nur Gewehre.

Zum anderen wollen CDU und CSU, dass die Verteidigungsausgaben dauerhaft über dem Zwei-Prozent-Ziel liegen, also mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, wie es die Nato anstrebt. Die Union kann sich sogar vorstellen, dieses Ziel ins Grundgesetz zu schreiben, was auch künftige Regierungen binden würde.

Nur: Wie ernst meint Merz das? Könnte er es daran wirklich scheitern lassen? Das sei gerade die große Frage, heißt es dazu aus den Ampelfraktionen. Von Unionspolitikern gebe es unterschiedliche Signale. So richtig entspannt ist niemand. "Die Union täte gut daran", sagte Grünen-Chef Omid Nouripour t-online, "nicht ständig neue Hürden für die Verhandlungen zum Sondervermögen aufzustellen."

Zwei-Prozent-Ziel: (K)ein Problem?

Während gerade vieles noch unklar ist und es auch zwischen den Ampelpartnern unterschiedliche Prioritäten gibt, ist eines ziemlich klar: Das Zwei-Prozent-Ziel ins Grundgesetz zu schreiben, wird die Regierung nicht mitmachen.

Wer jedoch der Union in diesen Tagen zuhört, der bemerkt recht schnell, dass sie davon gar nicht mehr spricht. Das Zwei-Prozent-Ziel müsse "zügig und dauerhaft" erreicht werden, sagte etwa der Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei t-online – und erklärt: "Sinnvollerweise ist das Zwei-Prozent-Ziel in einem Errichtungsgesetz festzuschreiben."

Und das Errichtungsgesetz ist schlicht das Gesetz, mit dem der Bundestag das "Sondervermögen Bundeswehr" beschließt, also "errichtet". Die Grundgesetzänderung wird mit einem ganz anderen Gesetz beschlossen. In der Verfassung würden die zwei Prozent nicht landen.

Streng genommen argumentiert die Ampel also gerade lautstark gegen eine Forderung, die die Union so gar nicht mehr aufstellt. Vielleicht, damit die Koalitionäre am Ende ihren Leuten sagen können, sie hätten zumindest verhindert, dass die zwei Prozent in der Verfassung landen?

Es wäre eine übliche Verhandlungstaktik. Als SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Dienstag danach gefragt wurde, ob die SPD das Zwei-Prozent-Ziel im Errichtungsgesetz mitgehen könne, sagte er jedenfalls maximal unverbindlich: "Wir müssen einfach mal schauen, was da noch kommt." Und erklärte dann einmal mehr, warum die "willkürliche Zahl" nicht ins Grundgesetz dürfe – die 100 Milliarden aber ja in den ersten Jahren ohnehin sehr "auskömmlich" seien.

Allerdings bleibt es dabei, dass viele in der Ampelregierung das Zwei-Prozent-Ziel grundsätzlich unsinnig finden. Ein weiterer Kompromiss, der diskutiert wird, ist deshalb, einfach in der mittelfristigen Finanzplanung deutlich mehr Geld für Verteidigung einzuplanen – also in der (recht unverbindlichen) Vorausplanung des eigentlichen Haushalts.

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Raum für Kompromisse jedenfalls, den scheint es durchaus zu geben.

Cyberabwehr mit oder ohne Uniform?

Allerdings werden Kompromisse auch an anderer Stelle noch gebraucht. Bei der Cyberabwehr zum Beispiel. Die Ampelregierung betont von Beginn an, dass die Sicherheit im 21. Jahrhundert eben nicht nur mit Panzern, sondern auch mit Computern verteidigt werde.

Bei der Union steht das hingegen nicht ganz vorne auf der Agenda. Zumal es sie in ein argumentatives Dilemma bringt: Denn wichtige Behörden der Cyberabwehr gehören nicht zur Bundeswehr, etwa das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) oder das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BBK). Die Union will die 100 Milliarden aber ja ausschließlich der Bundeswehr zukommen lassen.

Mit dem "Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum" hat die Bundeswehr zwar inzwischen entsprechende Strukturen. Viele Digitalpolitiker halten die zivilen Behörden aber für wesentlich geeigneter.

"Die Stärkung der Resilienz unserer digitalen Gesellschaft wurde von Seiten der Politik lange sträflich vernachlässigt", sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz t-online. "Insgesamt müssen wir vor allem in die Härtung digitaler Netze und die verbesserte Abwehr investieren."

Die Bundeswehr sieht von Notz da offensichtlich nicht zuerst gefordert. "Die zusätzlichen Mittel sollten vor allem den Bundesbehörden zugutekommen, die schon heute sehr wichtige Arbeit im dem Bereich leisten", sagte der Innen- und Digitalexperte. Also aus seiner Sicht dem BSI, dem BBK sowie dem Technischen Hilfswerk, "das um ein im Koalitionsvertrag verankertes Cyberhilfswerk ergänzt werden sollte".

Nur: Ob die Union da mitmacht? Fraglich. Ebenso fraglich scheint allerdings zu sein, ob die Ampel es daran scheitern ließe. Aus der SPD jedenfalls gibt es erste Signale, an der Stelle möglicherweise kompromissbereit sein zu können – und der uniformierten Cyberabwehr das Geld zu geben.

Was, wenn die Union wirklich nicht mitmacht?

Allerdings würde das wohl besonders bei den Grünen die Bereitschaft sich zurückzunehmen, ziemlich auf die Probe stellen. Denn sie haben in den vergangenen Wochen ohnehin schon diverse Positionen geräumt, die sie direkt nach Scholz' "Zeitenwende"-Rede noch lautstark eingefordert hatten.

Mit den 100 Milliarden auch den Zivilschutz zu stärken, davon sind die Grünen mittlerweile abgerückt. Etwas mehr Geld soll es stattdessen über den regulären Haushalt geben. Und das Sondervermögen soll nun auch kein Geld mehr für die Unabhängigkeit bei der Energieversorgung bereitstellen. Das kommt jetzt aus dem Klimafonds.

Auch deshalb erscheint es nach wie vor möglich, dass sich Ampel und Union am Ende nicht einigen. Und dann?

Über einen Plan B werde er in der Öffentlichkeit nichts ausbreiten, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Dienstag. Doch in den Ampelfraktionen wird über einen solchen Plan B hinter vorgehaltener Hand natürlich trotzdem gesprochen. Eine Möglichkeit: das Sondervermögen einfach ohne eine Grundgesetzänderung beschließen, um nicht auf die Union angewiesen zu sein.

Bei "Naturkatastrophen oder anderen außergewöhnlichen Notsituationen" kann die Bundesregierung die Schuldenbremse nämlich umgehen. So wie sie das beim Corona-Fonds gemacht hat, den sie nun zum Klimafonds umgewidmet hat.

Ob der russische Krieg gegen die Ukraine allerdings eine "außergewöhnliche Notsituation" auch für Deutschland ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Bei einer Expertenanhörung im Bundestag sahen das zwei Juristen nicht so, einer ganz eindeutig schon.

Reicht es für eine solche Notsituation, dass Deutschland Waffen in die Ukraine liefert, statt sich schneller selbst gut auszurüsten angesichts einer drohenden Ausweitung des Krieges? Und dass Nachbarländern schon der Gashahn abgedreht wurde, was auch Deutschland drohen kann? Es gibt Ampelpolitiker, die das eindeutig so sehen.

Nur braucht es auch nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass Friedrich Merz gegen einen solchen Plan B klagen würde. Und damit Olaf Scholz einmal mehr vorführen könnte.

Verwendete Quellen
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