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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutschlands jüngster Abgeordneter "Hätte nicht gedacht, dass ich dieser Partei beitrete"

Er ist 23 und damit der jüngste Abgeordnete im neuen Deutschen Bundestag. Wie tickt Luke Hoß – und wie kommt er an seinen ersten Tagen im Parlament klar?
Noch bis vor fünf Wochen kannte ihn keiner, jetzt steht er im Rampenlicht. Luke Hoß, 23, ist Politiker der Linken und seit dieser Woche der jüngste Abgeordnete im neuen Deutschen Bundestag.
Das Interesse an ihm ist groß, viele Reporter wollen ihn sprechen dieser Tage. "Es müssen auf jeden Fall über 50 gewesen sein in den letzten vier Wochen", sagt er im Gespräch mit t-online vor der konstituierenden Sitzung diesen Dienstag. Die mediale Aufmerksamkeit störe ihn nicht, im Gegenteil: Er freue sich, über die Themen zu sprechen, die ihm wichtig sind, "erschwinglicher Wohnraum" etwa und "faire Lebensmittelpreise".
Der 21. Bundestag ist mit einem Altersschnitt von 47,1 Jahren der jüngste seit der Wiedervereinigung. Alexander Gauland (AfD) ist mit 84 Jahren der älteste Abgeordnete, Hoß und einige andere, die noch in ihren 20ern sind, ziehen den Schnitt wieder runter. Was treibt Hoß an – und wie findet sich einer wie er, der bis zuletzt noch im Hörsaal saß, im großen Plenaarsaal zurecht?
"Als dürfte ich hier nicht rein“
Neue im Bundestag sind keine Seltenheit. Tatsächlich ist in diesem Jahr jeder dritte Abgeordnete neu im Parlament. Die Union richtet für die Neulinge in der Fraktion zum Beginn deshalb sogar ein dreitägiges internes Bootcamp aus. Dabei lernen die Neu-Volksvertreter alle wichtigen Räume und Örtlichkeiten kennen, außerdem bringen ihnen Parlamentsgeschäftsführer und Referenten die Mechanismen und ganz eigenen Bundestagsrituale bei – zum Beispiel die Anwesenheitslisten, in die sich jeder Abgeordnete eintragen muss, wenn er die Gebäude des Bundestags betritt.
Für Hoß gibt es so etwas bei der Linksfraktion zwar nicht. Allerdings startet auch er mit einer dreitägigen Klausur für die gesamte Fraktion in die Legislaturperiode. Hoß wirkt selbstbewusst, sagt aber auch, er habe großen Respekt vor der Verantwortung, die mit seiner politischen Aufgabe einhergeht. Vor seinem ersten Gang in den Plenarsaal sagt er: "Wenn ich hineinlaufe, wird sich das wahrscheinlich so anfühlen, als dürfte ich hier nicht rein."
Von der Grünen Jugend zur Linkspartei
Luke Hoß stammt aus der Nähe von Stuttgart, wuchs dort in "ärmlichen Verhältnissen" auf, wie er selbst sagt. Nach dem Abitur zog es ihn für sein Jurastudium nach Passau. Dort trat er zunächst der Grünen Jugend bei, verließ die Jugendorganisation jedoch schon bald wieder, weil die Mutterpartei in der Migrationspolitik zu oft eingeknickt sei. Heute sagt er: Die Grünen sind "keine Verbündeten im Kampf gegen rechts mehr".
Ein Jahr war er parteipolitisch nicht aktiv – bis Sahra Wagenknecht aus der Linken austrat, um ihre eigene Partei zu gründen. Für ihn der richtige Zeitpunkt, sich der Linken anzuschließen. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch mal dieser Partei beitrete." In nicht einmal zwei Jahren baute er den eingeschlafenen Linken-Kreisverband in Passau neu auf, verdoppelte das Wahlergebnis der Partei. Und wurde schließlich in den Bundestag gewählt.
Neue Perspektiven einbringen
Hoß ist unaufgeregt, wenn er redet. Er spricht vergleichsweise leise, aber ist sehr bedacht in dem, was er sagt, und keineswegs schüchtern. Er betont, dass das Parlament ein Spiegelbild der Gesellschaft sein müsse, weshalb auch junge Menschen darin vertreten sein sollten. Auch wenn er noch jung ist, bringe er eine wichtige Perspektive in den Bundestag.
Zwar habe er vielleicht nicht die Erfahrung eines Gregor Gysi oder eines Dietmar Bartsch, aber als Sohn einer alleinerziehenden Mutter bringe er eine Perspektive ein, die den meisten Abgeordneten fehle. In Sachen Repräsentanz hat der Bundestag für ihn dabei noch Luft nach oben: Nach wie vor seien zu wenige Menschen mit Migrationsgeschichte unter den Abgeordneten, auch bedauert Hoß, dass der vorangegangene Bundestag mehr weibliche Volksvertreter hatte.
Für die Menschen in seinem Wahlkreis, so Hoß, spiele sein Alter keine Rolle. Nach eigenen Angaben haben er und sein Team an rund 4.500 Türen geklingelt, um direkt mit den Bürgern in Kontakt zu treten. Der Austausch mit den Menschen sei ihm wichtig, er lege großen Wert darauf, zuzuhören.
"Vor 20 Prozent Faschisten"
Inzwischen ist die Auftaktsitzung des neuen Bundestags vorbei, sechs Stunden war Hoß erstmals in seiner neuen Rolle im Plenarsaal gebunden. Jetzt steht er im Foyer des Reichstags vor der Kantine. Er will von seiner ersten Rede im Bundestag erzählen, davon, dass er noch nie "vor 20 Prozent Faschisten" gesprochen hat, als Alice Weidel, Tino Chrupalla und mehrere andere AfD-Spitzenleuten an ihm vorbeilaufen.
Hoß hält kurz inne, schaut ihnen hinterher, sein Blick wirkt kritisch. Die Rechtsaußenpartei betrachtet er als seinen Feind. "Erschütternd" sei es gewesen, wie die AfD kurz zuvor die Reden der anderen Abgeordneten mit immer neuen Zwischenrufen und Pöbeleien gestört habe: "Wir hatten heute auch NS-Sprech", sagt er und meint damit die Rechtspopulisten. Die Linke etwa beschimpfte der AfD-Parteivize Stephan Brandner als "Resterampe", andere diffamierten die Fraktionen der demokratischen Mitte als "Kartellparteien".
Seine Diät will er spenden
Hoß, das fällt auf, beschreibt die Dinge nüchtern und kühl. Er beherrscht zwar das Vokabular, die Sprache der Linken – und wenn es um die AfD geht, nutzt er sie auch deutlich. Im Tonfall aber bleibt er ruhig, man spürt keinen Groll oder Hass.
Vom ersten Eindruck ließe sich sagen: Hoß ist ein sehr bedachter, differenzierter Mensch. Einer, der sich Dinge anschaut, sie durchdenkt und dann entsprechend seiner Überzeugung handelt. In dieses Bild passt auch, womit er im Vorfeld der ersten Bundestagssitzung für viel Aufsehen sorgte:
Einen Großteil seiner Abgeordnetendiät will er spenden. Von mehr als 11.000 Euro Salär im Monat wird er nur 2.500 Euro behalten, der Rest geht an Menschen in Notlagen und wohltätige Organisationen, vor allem in seiner Heimat.
"Nach drei Legislaturen wäre Schluss"
"Es ändert mit Sicherheit nicht die Situation vieler Menschen in diesem Land", räumt Hoß ein. Aber: Für ihn sind die Spenden eine Unterstützung für die Menschen in seinem Wahlkreis. Die Nähe zu den Bürgern will er auf diese Weise bewahren.
Das empfiehlt Hoß auch der aktuell dienstälteste Abgeordnete im Bundestag, Gregor Gysi, ebenfalls Teil der Linksfraktion. "Mein Rat an ihn: Acht Jahre im Bundestag bleiben, dann acht Jahre rausgehen und das Leben wirklich kennenlernen, egal ob er in der Pflege arbeitet oder in der sogenannten Dritten Welt", so Gysi zu t-online am Rande der konstituierenden Sitzung am Dienstag. Denn, so der Altlinke: "Wenn du von der Jugend bis zur Pension im Bundestag bleibst, verlierst du den Bezug zu den Bürgerinnen und Bürgern und zum Schluss siehst du aus wie eine Drucksache."
Für Hoß ein guter Tipp? "Da können wir uns dann noch mal drüber unterhalten", sagt er. "Nach drei Legislaturen wäre auf jeden Fall Schluss."
- Gespräch am 25. März 2025 mit Luke Hoß
- Statement von Gregor Gysi am Rande der konstituierenden Sitzung
- Eigene Recherche