Wagenknecht-Gegner nehmen Parteiausschluss ins Visier
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr fรผr Sie รผber das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Droht der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht doch der Rauswurf? Befรผrworter eines Parteiausschlusses wollen vor das Bundesschiedsgericht ziehen.
Nach dem Auftritt von Sahra Wagenknecht in der Talkrunde von Anne Will am Sonntag war es der Linken-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow eilig mit der Distanzierung: Wagenknecht hatte sich mal wieder so geรคuรert, dass Parteifreundinnen und -freunde Nackenschmerzen vom Kopfschรผtteln bekamen. Sie will sich nicht impfen lassen, sprach davon, dass der Impfstoff unsicher sei. Ihre Parteichefin kommentierte danach, Wagenknecht habe "keine fรผhrende oder demokratisch legitimierte Rolle im Bundesverband". Hennig-Wellsow sagte weiter: "Ich kann und werde Sahra Wagenknecht nicht mehr erklรคren."
Sie muss jedoch immer wieder erklรคren, wie sie รผber einen Parteiausschluss denkt, den Parteimitglieder zur Sprache bringen. Sie ist dagegen und hรคlt mit dem Vorstand "weiterhin Ausschlussverfahren in dieser Form nicht fรผr geeignet, um innerparteiliche Konflikte zu klรคren". Doch das Thema kommt schon wieder auf. Befรผrworter eines Rauswurfs kritisieren, der Bundesvorstand sei "trotz weiterer Verstรถรe handlungsunfรคhig und -unwillig".
"Aussitzen kann nicht weitergehen"
Nachdem die Antragsteller fรผr einen Parteiausschluss zunรคchst mit ihrem Antrag gescheitert waren, fordern nun fรผnf Linken-Mitglieder, dass die Causa nicht einfach zu den Akten gelegt wird. Wenn sie nicht bis zum 14. November Signale bekommen, dass die Partei handelt, soll das Bundesschiedsgericht รผber einen Ausschluss entscheiden mรผssen.
Aktuell sieht es danach aus, dass es in die nรคchsten Runde gehen wird. "Ich fรผr mich habe entschieden, das zu tun", sagte Jรถrg Rupp t-online. Er ist einer der fรผnf Antragsteller. Das Quintett eint die รberzeugung: "Die Strategie des Aussitzens und Stillschweigens kann auf keinen Fall weitergehen." Der Konflikt in der Partei mรผsse ausgetragen und gelรถst werden, wenn die Linke mit ihrem aktuellen Programm und Selbstverstรคndnis eine รberlebenschance haben wolle.
Auch er รคrgerte sich am Sonntag abermals รผber Wagenknecht: In der Linken ist es Beschlusslage, die Impfkampagne zu unterstรผtzen. Die 52-Jรคhrige allerdings machte bei Anne Will nach Ansicht vieler Beobachter das Gegenteil: Sie sprach davon, kein Vertrauen in die Corona-Impfungen zu haben. Dafรผr erhielt sie erneut รถffentlich Zuspruch aus den Reihen von AfD-Anhรคngern, wieder einmal lief das dem Selbstverstรคndnis weiter Teile der Linken entgegen. Mit ihrem Buch "Die Selbstgerechten" war sie auch innerhalb der eigenen Partei in die Kritik geraten.
Antragsteller berichten von Attacken
Kritiker rechnen Wagenknecht der "Querfront" zu โ offen fรผr Positionen, die nicht zuletzt am rechten Rand verbreitet sind. Mit den populistischen รuรerungen spricht sie aber auch Wรคhler an und hat Fans. Die Antragsteller erklรคren, sie seien aus der Unterstรผtzer-Szene von Wagenknecht stark persรถnlich attackiert worden, "wรคhrend die sachliche Kritik an ihren Positionen und Auftreten als Mobbing diffamiert wird".
Dabei hat auch die Landesschiedskommission in Nordrhein-Westfalen im September festgehalten, dass von Wagenknecht mehrfach รuรerungen im Widerspruch zu Grundsรคtzen der Partei getรคtigt wurden. Problematisch sei, dass sie ihre Ansichten "in einer Art und Weise medienwirksam verbreitet, die Loyalitรคts- und Solidaritรคtspflichten in einem nicht mehr durch das Recht auf innerparteiliche Meinungsfreiheit gedeckten Maรe verletzt". Fรผr einen Ausschluss reichte das trotzdem nicht: Er wurde einstimmig abgelehnt. Wagenknecht sei ja auch nicht Einhalt geboten worden.
Und danach wurde es ruhig. Die Antragsteller erklรคren nun: "Politische Feigheit oder 'strategische Entscheidung', den Konflikt mit dem Wagenknecht-Lager nicht zu suchen, haben uns dahin gebracht, wo wir heute stehen: bei einer Partei, die dabei ist, die letzte Glaubwรผrdigkeit zu verlieren und 4,9 Prozent."
Das schwache Wahlergebnis macht die Wagenknecht-Frage aber noch brisanter: Fรผr die Fraktion geht es um jeden Kopf. Nur weil sie drei Direktmandate gewann, konnte sie wieder in den Bundestag einziehen. Wenn Wagenknecht verรคrgert gehen sollte, kรถnnten ihr Abgeordnete folgen. Das hรคtte unmittelbare Konsequenzen.
Die Linke kรถnnte den Fraktionsstatus verlieren, der an die Mindestzahl von fรผnf Prozent der Mitglieder des Bundestages gebunden ist. Rutscht sie darunter, wรคre sie formal nur noch eine Gruppe, die weniger Oppositionsrechte, weniger Geld und weniger Mitarbeiter zur Verfรผgung hรคtte. Deshalb gibt es auch Wagenknecht-Gegner, fรผr die es um viel geht. Rupp sagt: "Wir sehen natรผrlich auch das Dilemma, sollten wir erfolgreich sein." Mit dem Bundesvorstand habe man die Konsequenzen besprechen wollen, um vielleicht Alternativen auszuloten.
Parteivorstand will kein Gesprรคch
Nur: Die Parteispitze hat knapp geantwortet, dass das gewรผnschte Gesprรคch nicht zustande komme. Inhaltlich heiรt es lediglich: "Nach wie vor halten wir Ausschlussverfahren nicht fรผr den geeigneten Weg der politischen Auseinandersetzung."
Das sind Sรคtze, die auch Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine schon gehรถrt hat: 2004 standen Forderungen nach seinem Ausschluss aus der SPD im Raum. Nach Attacken gegen Kanzler Gerhard Schrรถder und einer Demo-Teilnahme gegen Hartz IV nannte ihn der damalige SPD-Chef Franz Mรผntefering "nicht mehr integrierbar". Mรผntefering war jedoch gegen ein Ausschlussverfahren: Mit seinen "intellektuellen Ansprรผchen" habe Lafontaine ohnehin keine Resonanz mehr in der SPD.
Lafontaine trat aus, wechselte zum Bรผndnis von PDS und WASG, aus dem die "Linke" hervorgegangen ist. Dort gibt es nun im Machtkampf im Landesverband Saar ebenfalls ein Ausschlussverfahren gegen ihn. Am 14. November wird nach Informationen unserer Redaktion mรผndlich verhandelt. Das ist auch der Tag, bis zu dem die Antragsteller fรผr den Wagenknecht-Ausschluss der Parteifรผhrung Zeit geben wollen.
- Mit Material der Nachrichtenagentur AFP
- Pressemitteilung Antragsteller
- Anfragen an Antragsstelle und Linken-Bundesvorstand
- Die Linke NRW: Landesschiedskommission lehnt Ausschluss von Sahra Wagenknecht ab
- spiegel.de: Verliert die Linke jetzt auch noch den Status als Fraktion? (Abo-Inhalt)