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Tagesanbruch: Die CDU hat die Sprache der Bürger verlernt


Was heute wichtig ist
Kommunikativ am Ende

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 24.05.2019Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
CDU-Spitzenpolitiker.Vergrößern des Bildes
CDU-Spitzenpolitiker. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Volksparteien rühmen sich gerne ihrer kommunikativen Leistungen. Am Rednerpult, im Fernsehstudio, vor jedem Mikrofon verbreiten Politiker ihre Botschaften, Programme, Ideen. Dass sie dabei öfter an den Bürgern vorbei statt mit ihnen sprechen, scheint vielen von ihnen zu entgehen. Das augenfälligste Beispiel gescheiterter politischer Kommunikation führt uns gerade die CDU-Zentrale unter ihren neuen Chefs Annegret Kramp-Karrenbauer und Paul Ziemiak vor. Sie wurden vom “Zerstörungs“-Video des Youtubers Rezo nicht nur überrumpelt, sondern überrollt. Einige Mitglieder der Bundesregierung ausgenommen, dürfte es nur wenige politisch engagierte Menschen geben, die das Video noch nicht gesehen haben: Schlag auf Schlag haut der 26-Jährige den Regierungsparteien CDU, CSU und SPD seine Grundsatzkritik an ihrem politischen Versagen um die Ohren, eloquent, pointiert, massentauglich. Ein Meisterstück politischer Kommunikation, ganz gleich, wie man zu den Aussagen steht.

Und wie reagiert die CDU-Führung? Erst nach dem Prinzip der drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Und als dann alle Welt darüber spricht, sucht man hektisch nach einem jungen Kopf, der dem Youtuber Paroli bieten könnte. Die Erkenntnis, dass es in den Führungsgremien von Deutschlands stärkster Partei keine einzige Person gibt, die dazu in der Lage ist, muss den Entscheidern im Konrad-Adenauer-Haus eiskalt in die Glieder gefahren sein. Sie. Haben. Nicht. Einen. Einzigen. Kramp-Karrenbauers Einfall, Philipp Amthor ins Rennen zu schicken, biologisch ebenfalls 26 Jahre alt, von seiner Attitüde her aber eher 62, wurde für untauglich befunden. Nach einigem Hin und Her verfiel man auf die Idee, dem Youtuber mit einer elfseitigen Bleiwüste zu antworten. Dieser Brief ist gut gemeint – und gespickt mit Politikersprache: Armutsgefährdungsquote, steigende Tarif- und Bruttoverdienste, Lenkungswirkung, Wettbewerbsfähigkeit unseres Mittelstands, so was. “So wird der offene Brief vor allem ein Loblied der Partei auf sich selbst und ihre vollbrachten Leistungen“, schreibt mein Kollege Tim Kummert, der sich die Lektüre zugemutet hat. “Es ist eine Antwort, wie man sie aus der Kommunikationsabteilung einer Volkspartei erwarten kann.“

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Das ist der Punkt. Die CDU hat ein gewaltiges Problem, und das mitten in diesem wichtigen Wahljahr: Deutschlands stärkste Partei hat die Sprache der Bürger verlernt. Sie kommuniziert in einem Duktus, in dem sie die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr erreicht, erst recht nicht die Jungen. Ihr einziger Trost: Den anderen beiden Regierungsparteien, SPD und CSU, geht es nicht besser. Kramp-Karrenbauer und ihre Planer werden das Problem allerdings kaum lösen können, indem sie noch eine weitere PR-Agentur engagieren, die für teuer Geld auf 35 Powerpoint-Folien erklärt, wie junge Leute auf Youtube ticken. Um das Problem zu lösen, müssten sie ihren Laden, ihr Programm und eben auch ihre Kommunikation so umbauen, dass sie für junge Menschen wieder attraktiv werden. Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Und er erfordert, dass viele der alten weißen, Pardon, weisen Männer, die es sich auf ihren Partei- und Abgeordnetenposten bequem gemacht haben, beiseite treten und Jüngere an die Hebel der Macht lassen.

Es gibt sie nämlich, diese jungen Köpfe, die etwas zu sagen haben. So wie Jenna Behrends. Die 28-Jährige sitzt für die CDU in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte und hat dem Youtuber Rezo in einem Video auf t-online.de geantwortet. Sehens- und hörenswert, finde ich. Fördert man Leute wie sie, dann klappt es vielleicht irgendwann wieder mit der politischen Kommunikation.


WAS STEHT AN?

Welche enorme Mobilisierungskraft junge Leute besitzen, zeigt uns nicht nur der Youtuber Rezo, sondern auch Greta Thunberg. Seit vielen Wochen streiken Schüler in ganz Europa freitags für eine entschlossene Klimapolitik. Jetzt animiert die Initiatorin der Bewegung Menschen auf der ganzen Welt zum Mitmachen, heute sollen die Proteste starten (hier die Übersicht für Deutschland). "Wir haben das Gefühl, dass viele Erwachsene noch nicht ganz verstanden haben, dass wir jungen Leute die Klimakrise nicht alleine aufhalten können", schreibt Thunberg in einem Appell. "Tut uns leid, wenn Sie das nicht wahrhaben wollen." Der Kampf gegen die Erderhitzung sei keine Aufgabe für eine einzelne Generation, sondern für die gesamte Menschheit.

Und wissen Sie was? Ich wechsele jetzt einfach mal vom Konjunktiv in den Indikativ und wiederhole den Satz noch mal: Der Kampf gegen die Erderhitzung IST eine Aufgabe für die gesamte Menschheit. Und zwar nicht irgendwann in 20 Jahren, wenn es auch die Herrschaften in den Regierungszentralen begriffen haben. Sondern JETZT.


ZITAT DES TAGES

“Im Wahlkampf der Union und der SPD prallen keine Konzepte aufeinander, hier verbrüdern sich zwei Parteien in der Wahrung des Bestehenden, bei weitgehender Ausblendung der Probleme.“

Benedict Neff in der “Neuen Zürcher Zeitung“.


In diesen wilden politischen Tagen, kurz vor der für unseren Kontinent so wichtigen Wahl, lohnt es sich, kurz innezuhalten und uns zu fragen: Was ist es eigentlich, dass uns Menschen antreibt, dass uns kämpfen, streben, lieben und wüten lässt? Einer, der das wie kein zweiter in Worte und Szenen gießen konnte, war Johann Wolfgang von Goethe. Heute vor 200 Jahren, am 24. Mai 1819, kam es zur ersten dramatischen Aufführung einzelner Szenen aus seinem Faust I im Theatersaal von Schloss Monbijou in Berlin. Ein kleiner Schritt für die Darsteller, ein riesiger Schritt für die deutsche Kultur. Deshalb habe ich den besten Feuilleton-Journalisten, den ich kenne, gebeten, in drei Sätzen zu beschreiben, was der Faust heute noch bedeutet, warum er für uns noch relevant ist. Nils Minkmar vom “Spiegel“ (dem Sie übrigens hier folgen können) schreibt mir:

“Faust beschreibt die Klemme, in der der neuzeitliche Mensch steckt: Die Wissenschaften verstärken seine Einsamkeit, in seiner Umtriebigkeit zerstört er seine Umwelt, und Trost ist nirgends zu finden. Um etwas existentielle Geborgenheit zu finden, riskiert er alles – tragisch und komisch zugleich.“

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Kommt mir irgendwie bekannt vor.


Donald Trump ist ein Siegertyp. Im Handelsstreit zeigt er den Chinesen, was ‘ne Harke ist. Als bevorzugten Punchingball hat sich das Schwergewicht im Weißen Haus den Technologieriesen Huawei ausgesucht. Die Firma ist der zweitgrößte Hersteller von Handys weltweit und besetzt obendrein Schlüsselpositionen bei der Technik, die für moderne Mobilfunknetze nötig ist. Unter dem Druck amerikanischer Handelsbeschränkungen hat gerade erst Google die Zusammenarbeit mit Huawei aufkündigen müssen. Dann eben nicht, schallt es aus Peking zurück, ein eigenes Betriebssystem habe man bereits in der Hinterhand. Klar, die Aufregung ist groß – aber existenzbedrohend? Ist das nicht. Der entscheidende Schwinger kommt aus einer anderen Richtung. Und seine Folgen reichen weit über das Schicksal einzelner Unternehmen hinaus.

Denn wenn wir routinemäßig zum zweihundertvierundfünfzigsten Mal am Tag das Handy zücken, halten wir nicht nur ein kleines, hochintegriertes Wunderwerk der Technik in unserer Hand. Sondern auch das Produkt der Globalisierung. Die Lieferketten der Bauteile umspannen Kontinente; Erfindungen und Patente aus vielen Ländern fließen ein. Einige wenige davon sind besonders wichtig: Schlüsseltechnologien, ohne die weder ein PC noch eine Smartwatch vom Band laufen könnte. Zu dieser Königsdisziplin gehört das Wissen, wie man einen Prozessor am besten aufbaut, wie man seinen Bauplan gestaltet – und die weltbesten Experten in diesem Feld, insbesondere für mobile Geräte, arbeiten bei ARM, einem britischen Architekturbüro für Computerchips. Ohne deren Designs geht wenig im internationalen Mobilfunkgeschäft. Und gar nichts bei Huawei.

Aber das ist doch kein Problem, könnte man meinen. Eine britische Firma unterliegt den US-Sanktionen doch nicht. Tut sie aber. Auch die Briten leben technologisch nicht auf einer Insel, nutzen Patente und Entwicklungen von US-Firmen. Diese Branche lebt vom Austausch. Und deshalb steht der zweitgrößte Handyhersteller der Welt, nachdem ARM die Zusammenarbeit abrupt gekappt hat, bei der Weiterentwicklung seiner Produkte vor dem Aus.

Huawei ist ein Exempel. Die Chinesen bekommen vorgeführt, wie einfach man ihrer Hi-Tech-Branche den Teppich unter den Füßen wegziehen kann. In der Tat hat das hochtechnisierte China bei einigen Schlüsseltechnologien den Start verschlafen, unter anderem beim Chipdesign. Mindestens fünf Jahre wird es Branchenexperten zufolge dauern, die kritische Lücke zu schließen. Der US-Präsident lässt also seine Muskeln spielen, hat die Globalisierung der Wirtschaft in den Schwitzkasten genommen. China, der Globalisierungsgewinner Nummer eins, hat dem wenig entgegenzusetzen. Einem Deal im amerikanischen Sinne dürfte das förderlich sein.

Wir können aber getrost davon ausgehen, dass Peking nun alles daran setzen wird, Konkurrenten für ARM & Co. aufzubauen und die Abhängigkeit von westlicher Technologie zu verringern. Klar, das dauert und hilft kurzfristig erst mal nichts. Aber am Ende werden wir beobachten, wie sich die Gewichte auf der Weltbühne noch stärker verlagern: nach Osten. Marktführer aus Europa und den USA werden sich einem Wettbewerb gegenübersehen, der ohne die Trumpschen Drohgebärden und Sanktionen, allein nach Kriterien der Wirtschaftlichkeit, nicht das Licht der Welt erblickt hätte. Aber schauen wir nicht länger in die Zukunft, wenden wir den Blick in die Gegenwart. Und wir sehen: den Sieger Trump. Moment... das hat irgendwer doch schon mal vorgemacht. Schon länger her. Wie hieß der Mann noch gleich? Ach ja, Pyrrhus.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Brexit, Trump, erstarkter Nationalismus: Die Zeiten sind hart. Können wir trotzdem Witze darüber machen? Martin Sonneborn kann. Der ehemalige “Titanic“-Chef und Bundesvorsitzende von "Die Partei" ist nicht nur ein brillanter Satiriker, sondern auch ein durchtriebener Politiker. Moment, oder andersherum? Jedenfalls hat er so viele interessante Erfahrungen aus dem Europaparlament zu berichten, dass ich Ihnen das Gespräch mit meinem Kollege Patrick Diekmann auch dann empfehle, wenn Sie seine Meinung nicht teilen.


Sie alle kennen die Mona Lisa. Aber wissen Sie auch, was passiert, wenn man Leonardos weltberühmtes Porträt mit künstlicher Intelligenz kreuzt? Ich war fasziniert, als mir mein Kollege Tibor Martini gestern diesen Link rüberflankte (bitte runterscrollen).


Er selbst hält sich für den besten Schauspieler der Welt. Ein Multitalent ist er allemal: Theater-, Film- und Fernsehschauspieler, Musiker, DJ und einiges mehr. Viele halten ihn auch für exzentrisch, arrogant, einen schrägen Typen. Meine Kollegin Stefanie Schlünz traf aber einen überaus freundlichen, tiefgründigen und zurückhaltenden Lars Eidinger. Sie hat ihn nicht nur über seinen neuen Film "All My Loving" ausgefragt, sondern auch über seine Abgründe.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ich habe mich getäuscht, die CDU kann es doch!

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Freitag und dann ein schönes Wochenende. Morgen früh ab 6 Uhr können Sie hier die Spezialausgabe unseres Tagesanbruch-Podcasts zur Europawahl hören.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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