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Journalist Golunow zeigt uns, wie es um die Pressefreiheit in Russland steht


Was heute wichtig ist
Der Mann, der Russlands Mächtige herausfordert

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 11.06.2019Lesedauer: 5 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Iwan Golunow auf einer Polizeistation.Vergrößern des Bildes
Iwan Golunow auf einer Polizeistation. (Quelle: Dmitry Dzhulay meduza.io/ap-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Pressefreiheit ist ein großes Wort. Hierzulande können wir seinen Klang wertschätzen, aber seinen Gehalt oft nur erahnen. Journalisten merken, dass sie einen guten Job machen, wenn sie für ihre Recherchen neben Anerkennung auch Böswilligkeit ernten. Wenn sie wie in diesen Tagen beschimpft werden, weil sie menschenverachtende Tweets einer ehemaligen CDU-Abgeordneten ans Licht holen, oder wenn sie verleumdet werden, weil sie über einen YouTuber berichten, der die Regierungsparteien kritisiert. Aber nahezu alles, was Journalisten hierzulande an Schmähungen erleben, ist harmlos im Vergleich zu den Angriffen, denen sich Kollegen in vielen anderen Ländern ausgesetzt sehen. Dazu müssen wir gar nicht weit weg – Afrika, Asien oder Lateinamerika – blicken. Wir finden die Feinde der Pressefreiheit auch in Europa – und in besonderem Maße in Russland.

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Unter der Regentschaft von Präsident Putin hat sich das Land zu einem Hochrisikogebiet für Journalisten entwickelt, die sich weigern, als Herolde der Staatsmacht herzuhalten, die stattdessen investigativ recherchieren und Missstände aufdecken, kurz: ihren Job machen. Sie werden nicht nur diffamiert und verleumdet, sie werden auch verhaftet, geschlagen, ermordet. "Kritische Medien geraten regelmäßig unter Druck, Journalisten müssen mit Gewalt oder gezielten Anschlägen rechnen, die meist straffrei bleiben", urteilt die Organisation Reporter ohne Grenzen, die Russland in der Rangliste der Pressefreiheit auf dem beschämenden Platz 149 von 180 einsortiert.

Jüngstes Opfer der russischen Presseverfolgung ist Iwan Golunow. Der Reporter recherchierte Korruptionsfälle unter hochrangigen Moskauer Verwaltungsbeamten. Er enthüllte, wie die Beamten mit illegalen Geschäften im Beerdigungsgewerbe riesige Summen abschöpften. Daraufhin erhielt er Kollegen zufolge Morddrohungen. Ende vergangener Woche verhafteten Polizisten den 36-Jährigen und stellten ihn unter Hausarrest. Vorwurf: "Drogenhandel". Golunow bestreitet die Anschuldigungen und sagt, er sei in Polizeigewahrsam gefoltert worden. Am Samstag wurde er in ein Moskauer Krankenhaus verlegt, wo Ärzte nach Angaben seines Anwalts gebrochene Rippen, Prellungen und eine Gehirnerschütterung feststellten. Die Polizei entschied sich, von "Kratzern auf dem Rücken" und "einem geschwollenen Auge" zu sprechen. Was man halt so sagt, wenn man weiß, dass man tun und lassen kann, was man will und keinerlei Konsequenzen fürchten muss.

Es gibt allerdings Menschen in Russland, die nicht mehr bereit sind, die staatliche Willkür, die Gewalt und die Unterdrückung der Pressefreiheit durch Putins Sicherheitsapparat weiter zu tolerieren – und diese Menschen verdienen unsere Anerkennung: Nach Golunows Verhaftung schwappte eine Welle der Empörung durch die sozialen Medien. Dabei blieb es nicht. Als Zeichen der Solidarität mit dem Journalisten erschienen gestern drei große russische Zeitungen mit demselben Titel: Auf der Seite 1 der Gazetten "Kommersant", "Wedomosti" und "RBK" stand jeweils in Großbuchstaben der Satz: "Ich bin/wir sind Iwan Golunow". "Wir erwarten, dass das Gesetz von jedem geachtet wird und für jeden gilt", hieß es in dem Begleitartikel. Eine bislang beispiellose Aktion in der russischen Autokratie. Eine Onlinepetition für die Freilassung des Reporters verzeichnete gestern Abend schon mehr als 160.000 Unterzeichner.

Der Kreml reagiert nervös. Die Ermittlungen hätten "Fragen aufgeworfen", schwurbelte ein Regierungssprecher ein Regierungssprechergeschwurbel. "Natürlich sind auch Fehler möglich. Überall arbeiten nur Menschen." Was man halt so sagt, wenn man keine Verantwortung übernehmen will und einen Sündenbock sucht.

Ich möchte dazu auch noch etwas sagen. Einen Satz nur. Sein Urheber ist unbekannt, aber jeder Journalist kennt ihn – und wir sagen ihn gerne weiter: "Es gibt keine Freiheit ohne Pressefreiheit." Das gilt überall, auch in Russland, auch für Herrn Putin. Und für uns in Deutschland gilt, dass uns der Fall Golunow nicht egal sein kann, wenn wir unsere europäischen Ideale ernst nehmen.


WAS STEHT AN?

Scheich Mohammed bin Said Al Nahjan, Kronprinz von Abu Dhabi, beginnt heute seinen dreitägigen Besuch in Berlin und wird von Bundespräsident Steinmeier zum Gespräch empfangen. Falls Ihnen der Name des Arabers nichts sagt: Das ist der Mann, der sich gerne als edler Wohltäter, ökologischer Städtebauvisionär und Vermittler zwischen den Weltreligionen inszeniert. Zwischendurch lässt er im Jemen-Krieg Männer, Frauen und Kinder niedermetzeln. Bin gespannt, ob Bundespräsident Steinmeier ihn auch darauf anspricht.


In Würzburg wird heute das Urteil in einem bemerkenswerten Prozess erwartet: Der Angeklagte soll in einer WhatsApp-Gruppe mehrere gewaltverherrlichende und volksverhetzende Bilder verbreitet haben – beispielsweise das Bild eines Wehrmachtssoldaten mit Maschinengewehr, begleitet von einem Text, der von "1.400 abgelehnten Asylanträgen pro Minute" spricht. Es gibt zigtausend solcher Machwerke, und sie werden auch hierzulande jeden Tag auf Facebook, WhatsApp, YouTube und Twitter verbreitet. Insofern sind Prozesse wie der in Würzburg nur Tropfen auf den heißen Stein. Aber die Justiz beginnt endlich, gegen den Hass im Netz vorzugehen.


Hubertus Heil besucht heute Abend in Dessau den von der SPD veranstalteten Bürgerdialog "Hin.Gehört". Der Bundesarbeitsminister will von den real existierenden Bürgern erfahren, welchen Herausforderungen sie im Alltag und im Berufsleben gegenüberstehen und wie die Politik helfen kann, diese zu meistern. Gute Sache. Bräuchte es öfter, solche Foren.


Im beschaulichen Würselen bei Aachen stellt NRW-Ministerpräsident Armin Laschet heute Mittag ein elektrisch angetriebenes Flug-Taxi vor. Es soll eine Reichweite von 500 Kilometern haben und besonders leise herumdüsen. Doro Bär ist aus unerfindlichen Gründen nicht dabei.


Die sagenhaften Männer mit den Bärten beginnen heute in Berlin ihre sagenhafte Deutschlandtournee. Ich habe ihnen bereits vor drei Jahren gelauscht und war hingerissen. Hören Sie sich bitte mal das hier an. Danach haben Sie genug Energie für den Rest des Monats.


WAS LESEN?

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Manager hätten einen schweren Job, heißt es, und Bauarbeiter auch. Mag sein, aber ihre Tätigkeit erscheint mir trotzdem wie ein Klacks im Vergleich zu der Arbeit, die Lydia Röder leistet – und zwar mit Hingabe: Seit rund 20 Jahren begleitet sie sterbende Menschen und deren Angehörige. Sie nimmt ihnen ihre Ängste, spendet Trost und erfüllt letzte Wünsche. Vor einigen Wochen haben wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, darum gebeten, uns Fragen an Lydia Röder zu schicken. Die Resonanz war groß. In unserem neuen Format "Frag mich" steht die Hospiz-Mitarbeiterin nun Rede und Antwort.


Fünf Euro für einen Energydrink, drei Euro für eine Packung Taschentücher: Solche Mondpreise gibt’s nur entlang der Autobahn. Die Shops, die Gaststätten, die Tankstellen können dort die Hand aufhalten, weil sie genau wissen: An der nächsten Raststätte sieht’s ganz genauso aus. Und auch an der übernächsten. Entlang der Autobahnen werden wir überall gleichermaßen geschröpft. Aber warum ist das so und welche Folgen hat es? Unser Autoredakteur Markus Abrahamczyk klärt Sie auf.


In Deutschland verschieben sich die politischen Koordinaten. Der entfesselte Kapitalismus wird von der Mehrheit der Bürger nicht mehr als gottgegeben akzeptiert, die Wirtschaft orientiert sich immer stärker an lang- statt kurzfristigen Erfolgen. Aber: "Die Bundesregierung wacht erst allmählich aus ihrem Dämmerschlaf auf, aus der Selbstschau, aus der Selbstvergessenheit", schreibt Gerhard Spörl in seiner wortgewaltigen Kolumne. Wohin führt uns das? Bitte lesen Sie selbst.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die politischen Koordinaten verschieben sich – das merkt auch der Herr Scholz. Und wie immer hat er eine pragmatische Lösung parat, meint unser Cartoonist, der Herr Lars.

Ich wünsche Ihnen einen optimistischen Start in die Kurzwoche

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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