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Tagesanbruch: Machtkampf in der CDU gleicht Rauferei im Sandkasten


Was heute wichtig ist
Jetzt bewerfen sie sich mit Förmchen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 01.11.2019Lesedauer: 6 Min.
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Unions-Kontrahenten Merz, Laschet, Spahn, Koch, Söder, Kramp-Karrenbauer, Günther, Merkel.Vergrößern des Bildes
Unions-Kontrahenten Merz, Laschet, Spahn, Koch, Söder, Kramp-Karrenbauer, Günther, Merkel. (Quelle: t-online.de Collage)

Guten Morgen auf dem politischen Spielplatz, liebe Leserinnen und Leser,

schenken Sie sich bitte einen Kaffee ein und folgen Sie mir in den christdemokratischen Sandkasten. Da ist allerhand los.

WAS? DAS:

Die Annegret hat es immer noch nicht geschafft, ihre Sandburg zu bauen. Ist halt nicht leicht, wenn ihr der Frieder ständig das Schäufelchen klaut. Der findet der Annegret ihre Burg, die Wassergräben und überhaupt alles im Sandkasten nämlich "grottenschlecht", der Frieder. Er selbst könnte das alles viel höher und viel schöner bauen, und in Wahrheit ist ja die Angela schuld, dass das nicht klappt und kaum noch Förmchen da sind, weil die haben ja der Alexander und die Alice aus dem Nachbarhaus stibitzt, und das ist echt mega fies. Jetzt kommt auch noch der Roland um die Ecke, was will der denn? Ha, der wusste ja immer schon alles besser und freut sich über jede Gelegenheit, der Angela wieder mal ein Förmchen an den Kopf zu werfen, und wo er schon mal dabei ist, wirft er der Annegret auch gleich noch eins hinterher.

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Das findet allerdings der Daniel doof, weil der hat nämlich längst begriffen, dass im Sandkasten niemals die alten Typen mit der großen Klappe gewinnen, sondern immer die jungen Typen, die zu allen lieb sind und problemlos ein schwarzes Eimerchen mit einem grünen Schäufelchen füllen können. Der Markus von nebenan hat das auch schon kapiert, der geht sogar so weit und malt alle Eimer, Schaufeln und Förmchen grün an, und hey, alle finden ihn auf einmal total dufte! Vielleicht ist das doch die bessere Taktik, um die Chefin im Sandkasten zu werden, denkt sich die Annegret jetzt, aber leider finden ihre wenigen verbliebenen Kumpels, dass rabenschwarze Spielgeräte viel besser aussehen, das gab es nämlich schon echt lange nicht mehr. Das wiederum findet auch der Jens, aber der sagt es nicht laut, weil dann würde ja die Annegret vielleicht gewinnen, und die soll ja raus aus dem Sandkasten. Da ist sich der Jens ausnahmsweise einig mit dem Armin, aber damit enden die Gemeinsamkeiten schon. Überhaupt ist von der einst dicken Freundschaft im christdemokratischen Sandkasten nix mehr zu spüren, stattdessen keilt sich fast jede mit jedem. Wie das halt so ist am Ende einer Ära.

Seit fast 14 Jahren sitzt Angela Merkel im Kanzleramt, da ist es verständlich, dass ihr nun zusehends die Macht entgleitet. Ihren Rivalen Friedrich Merz will sie nicht ans Ruder lassen, ihre designierte Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer kann nicht, die Kontrahenten Jens Spahn, Armin Laschet und Daniel Günther haben noch nicht genug Rückendeckung in der Partei, CSU-Chef Markus Söder würde in der CDU wohl erst recht keine Mehrheit finden. Also tun es die vom Thüringer Wahlschock erschütterten CDU-Granden der SPD gleich, und beginnen sich offen zu bekämpfen. Du bist schuld am Niedergang! Nein du! Die muss weg! Nein der! Sicher, so kann man das machen. Hat einen hohen Unterhaltungswert. Aber die Wiederauferstehung als attraktive Volkspartei wird so bestimmt nicht gelingen.


Die Tage werden kürzer, und es wird kälter. Da freut man sich, wenn man nach drinnen kommt. Auch wenn die dünne Zeltwand kaum hilft. Immerhin hat man Schuhe und nicht nur Badelatschen wie der Kerl da hinten. Und vielleicht sogar einen Platz auf einem Feldbett, hat schließlich auch nicht jeder, andernfalls muss man auf der Erde schlafen, Bodenfrost hin oder her. Aber eine eigene Decke, das wäre mal was. Leider gibt es nur halb so viele Decken wie Menschen. Und kein fließendes Wasser. Und keine ärztliche Versorgung, deshalb haben auch so viele die Krätze bekommen. Die vom Roten Kreuz haben keine Medikamente mehr, sie kommen nur vorbei, damit keiner verhungert. So ist die Lage auf dieser ehemaligen Müllkippe, die mitten in Europa liegt.


Das Lager Vučjak in Bosnien, dicht an der Grenze zu Kroatien, ist eine Einrichtung, die es nicht geben sollte. Weil sie nach jedem erdenklichen Standard, nach europäischem allemal, unerträglich ist. Das finden die Vereinten Nationen, das findet die EU-Kommissarin für Menschenrechte, das finden auch Flüchtlingshilfsorganisationen und sogar der Bürgermeister des zehn Kilometer entfernten Ortes Bihać findet das – und dieser Mann muss es wissen, schließlich hat er das Lager errichten lassen. Weil sich seine Stadt vor Migranten nicht retten konnte, irgendwo mussten sie ja hin. Irgendwer muss den Preis für die strikte Kontrolle der EU-Außengrenze zahlen. Eben ein Ort wie Bihać, und natürlich die Gestrandeten. Jetzt gilt das Lager als eines der schlimmsten in Europa.

Dass so etwas passieren kann, wirft Fragen auf, die über den Einzelfall hinausgehen. Dass die EU ihre Flüchtlingspolitik als eine Art Ablasshandel organisiert, ist nicht neu: Wir geben euch Geld, ihr kriegt das schon hin. Deshalb machen kriminelle Milizen in Libyen die Drecksarbeit, deshalb zahlt die EU Milliarden an Erdogan und ist trotzdem von ihm erpressbar. Aber die schlimmen Verhältnisse in Bosnien zeigen uns, woran es bei diesem Ansatz auch noch mangelt: Geld ist kein Ersatz für geplantes Handeln. Denn die Mittel sind eigentlich da. Erst im Sommer hat die EU zehn Millionen Euro zur Versorgung der Flüchtlinge in Bosnien bereitgestellt, seit 2018 sind es insgesamt 34 Millionen. Das sieht auf dem Papier gut aus – aber eben nur dort.

Geld im Budget einzuplanen und das schon für die Lösung des Problems zu halten – ohne systematische Kontrolle, ohne effektive Umsetzung dessen, wofür diese Mittel eigentlich gedacht sind –, das genügt nicht. Wir beobachten das oft im politischen Betrieb: Problem diskutiert, Finanzierung bereitgestellt, und dann raus mit der Pressemeldung, die den Erfolg bejubelt! Wer das für den Endpunkt politischen Handelns hält statt für den Anfang, der kann in den Zelten in Vučjak ja mal auf die Suche nach einer Decke gehen. Das Lager soll jetzt geschlossen werden, sagt der zuständige Minister, aber er reagiert damit nur auf den Druck von Politik und Medien in einem skandalösen Einzelfall. Solange sich die EU-Flüchtlingspolitik so durchlaviert, brauchen wir auf den nächsten Skandal nicht lange zu warten. Ach Moment, er ist ja schon längst da.

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Wer ist schuld am schlechten Erscheinungsbild der Groko? Bestimmt nicht der Olaf, die Angela und der Horst, oder?

Wenn Sie im glücklicheren Teil der Republik leben, dann wünsche ich Ihnen einen schönen Feiertag. Allen anderen frohes Schaffen. Morgen bekommen alle Abonnenten wieder den Wochenend-Audio-Tagesanbruch. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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