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Nach Anschlag in Hanau: Einsatz gegen Fremdenhass ist Bürgerpflicht


Was heute wichtig ist
Nicht mit mir. Nicht hier.

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.02.2020Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Protestlauf gegen rechten Terror gestern Abend in Berlin.Vergrößern des Bildes
Protestlauf gegen rechten Terror gestern Abend in Berlin. (Quelle: Christian Spicker/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Hanau: eine hessische Stadt mit knapp hunderttausend Einwohnern, nach dem Krieg wiederaufgebaut, erfolgreiche Fabriken und Handwerksbetriebe, Kirchen und Moscheen, eine bunte Bürgerschaft. Eine Stadt wie so viele in Deutschland. Doch seit gestern hat Hanau einen Makel. Der Name steht nun nicht mehr nur für einen florierenden Ort im Frankfurter Umland und für das Erbe der Brüder Grimm, sondern auch für ein abscheuliches Verbrechen. So wie Halle, so wie Wolfhagen. Neun Menschen hat der Täter von Hanau ermordet, allesamt mit Migrationshintergrund, allesamt Bürger Hessens, bevor er auch seine Mutter und dann sich selbst erschoss. Unsere Reporter Claudia Wenhardt, Lars Wienand und Johannes Bebermeier berichten von erschütternden Szenen: "Er hat meinen Cousin alleine auf dem Boden sterben lassen", erzählt ein Angehöriger.

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Der Mord am Lokalpolitiker Walter Lübcke, der Angriff auf die Synagoge von Halle, nun das Massaker in Hanau: Die öffentlichen Reaktionen nach den Taten ähneln sich. Eilmeldungen, Entsetzen, Livesendungen, Pressekonferenzen, nach und nach werden Details bekannt, dann die Appelle von Politikern, die Verurteilung der Tat, die Trauer um die Opfer und das Mitgefühl mit ihren Angehörigen, die Beteuerung, dass Hass, Gewalt, Ausgrenzung in unserer Gesellschaft keinen Platz haben dürfen.

Und dann?

Wer das krude Manifest des Täters von Hanau liest, kann schnell zu dem Schluss gelangen: Das war ein fanatischer Einzeltäter. Seine mit abstrusen Verschwörungstheorien gespickte Lebensbeichte, die er im Internet hinterließ, lässt einen wirren Geist vermuten. Zugleich spricht aus seinen Worten abgrundtiefer Fremdenhass. Der Mann habe eine "zutiefst rassistische Gesinnung" gehabt, sagt Generalbundesanwalt Peter Frank.

Die Aufklärung des Verbrechens durch die Sicherheitsbehörden wird noch Zeit brauchen. Aber damit ist es nicht getan. Ebenso wie die Morde von Halle und Wolfhagen steht auch die Bluttat von Hanau im Kontext der zunehmenden Spaltung unseres Landes und der Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas durch Extremisten, Populisten und Hassprediger. Da sind jene, die im Verborgenen Terrorstrukturen bilden – erst vergangene Woche flog eine Bande auf, die Bombenanschläge auf Moscheen plante und einen Bürgerkrieg anzetteln wollte. Da sind jene, die im Internet gegen Minderheiten und Andersdenkende hetzen und dabei auf zu wenig Widerstand von Plattformbetreibern und Sicherheitsbehörden stoßen. Und da sind jene, die auf Parteiveranstaltungen, in Fußgängerzonen und in Parlamenten gegen Migranten keifen, Ressentiments schüren, den Hass in die Mitte der Gesellschaft tragen.

Deutschland wird durch die rassistischen Taten Einzelner erschüttert, aber es wird auch infiziert durch brutale und gemeine Sprache. Wenn der Thüringer AfD-Demagoge Björn Höcke von einem "Remigrationsprojekt" und einer "Politik der wohltemperierten Grausamkeit" schwadroniert, dann werden seine Worte zu verbalen Waffen, dann können sie als Ansporn für andere Rassisten dienen, die verbalen Waffen in reale Waffen umzuschmieden. Wenn AfD-Politiker wie Alexander Gauland, Alice Weidel und Jörg Meuthen nun versuchen, den Anschlag von Hanau als die "Tat eines Irren" abzutun, die nichts mit politischen Debatten zu tun habe, dann klingt das wie Heuchelei.

Wir dürfen es nicht zulassen, dass unsere Demokratie vergiftet wird. Ein tolerantes, pluralistisches Land, in dem Recht und Gesetz allerorten durchgesetzt werden und niemand Hass und Ausgrenzung erleiden muss: Diese Basis unserer Bürgergesellschaft gilt es jetzt zu verteidigen. Das ist eine Aufgabe für Gesetzgeber, Polizei und Verfassungsschutz, die sich lange auf den islamistischen Terror konzentriert, aber die Gefahr von rechts vernachlässigt haben. "Ich erwarte von unserem Staat, dass er den Kampf gegen den Rechtsextremismus genauso führt wie gegen den Terror der Roten Armee Fraktion in den Siebzigerjahren", sagt der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Ertan Toprak. "Der Anschlag von Hanau muss ein Weckruf sein", schreibt auch unsere Kolumnistin Lamya Kaddor. "Es ist höchste Zeit für einen Aktionsplan gegen Rassismus."

Doch es wäre falsch, diese Aufgabe nur der Politik und den Behörden zu überlassen. Der Einsatz für Toleranz und gegen Böswilligkeit ist eine Aufgabe für jeden einzelnen Bürger. Wenn rechte Scharfmacher Migranten diffamieren, wenn Kollegen am Stammtisch rassistische Sprüche klopfen, wenn Bekannte auf Facebook, WhatsApp und Co. fremdenfeindliche Parolen teilen, dann ist die einzig richtige Reaktion: Widerspruch. Nicht mit mir. Nicht hier. "Was unser Land jetzt braucht, sind keine Wut-, sondern Mutbürger, die ihre Stimme erheben", sagt unser Kolumnist Benedikt Höwedes." Recht hat er. Wir lassen uns unser schönes Land nicht vergiften. Nicht in Hanau, nicht in Halle und auch sonst an keinem Ort.


ZITAT DES TAGES:

"Nehmen wir die Verantwortung an, die uns alle trifft, und achten wir auf unsere Sprache – in der Politik, in den Medien und überall in der Gesellschaft! Halten wir dagegen, wenn Einzelnen oder Minderheiten in unserem Land die Würde genommen wird!"


Wer hart gearbeitet hat, darf sich auch mal was gönnen. Für Normalbürger ist das der neue Fernseher, für die mit dickerem Portemonnaie darfs auch mal was Exklusiveres sein. Vielleicht das Präsidentenamt? In den USA probiert das jetzt mal einer aus: Multimilliardär Michael Bloomberg versucht, sich das Weiße Haus zu shoppen. Aus den offenen Schleusen seines Geldspeichers strömt der Mammon in die Werbeetats der Fernsehsender – mit dem Ergebnis, dass man die Kiste nirgendwo mehr einschalten kann, ohne der Flut seiner Werbespots ausgesetzt zu sein. "Mike kriegt es hin" lautet die Botschaft, die US-Bürger inzwischen wohl schon im Tiefschlaf murmeln. Insbesondere hat Mike hingekriegt, dass er nicht in normalen Sendungen von Interviewern gegrillt wird – wozu auch, wenn man sich die ungestörte Bildschirmpräsenz in der Werbepause einfach kaufen kann? Es wirkt: In Umfragen hat sich der Kandidat in seiner Partei auf den zweiten Platz hochgeshoppt.

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Taktisch geschickt ist Herr Bloomberg erst vor wenigen Wochen ins Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten eingestiegen und hat sich so die vielen harten Debatten erspart, die den Vorwahlen in Iowa und New Hampshire vorausgingen. Das ist praktisch für ihn, denn es gäbe einiges, was man ihm um die Ohren hauen könnte. Von Vorwürfen sexueller Belästigung hat er sich außergerichtlich freigekauft. Als Bürgermeister von New York ließ er seine Polizei ohne konkreten Verdacht auf Schwarze und andere Minderheiten los. Lange war Bloomberg nicht einmal Mitglied der Partei – in New York trat er gar für die republikanische Konkurrenz an.

Wie kann jemand mit diesem Profil bei den Demokraten etwas werden? Nun, der üppige Geldsegen ist nicht nur in Anzeigen geflossen, sondern auch in den Wahlkampf demokratischer Abgeordneter auf dem Weg in den Kongress. Und in Dutzende Organisationen, Interessenvertretungen, Wohltätigkeitsvereine, die den Segen aus Mikes Säckel nun nicht mehr missen mögen. Erkaufte Loyalitäten, erdrückende Werbeflut: Das wirft inzwischen die Frage auf, ob man sich die Spitzenkandidatur der demokratischen Partei per Klick in den Warenkorb legen kann. Auf dem Weg zur Kasse musste der Premiumkunde allerdings doch noch mal an seinen Konkurrenten und einer Fernsehdebattenbühne vorbei, da half nun wirklich nichts. In seltener Einigkeit hat ihm dort das übrige Bewerberfeld seine Verfehlungen um die Ohren gehauen und dem Publikum einen schlingernden Außenseiter präsentiert, wie es ihn aus den Werbespots gar nicht kannte.

Auf unserer Seite des großen Gewässers denken wir über das beste Verfahren nach, um den Spitzenjob in der CDU und zuvor auch den in der SPD zu besetzen. Klandestine Hinterzimmerkungelei? Oder doch lieber ein aufwendiger Mitgliederentscheid? Man kann es sich ein bisschen leichter machen, indem man feststellt, was auf keinen Fall passieren darf: der Durchmarsch eines Typen, der darauf hoffen kann, sich den Job einfach zu erkaufen. Vielen Dank für das warnende Beispiel, liebe Freunde in Amerika.


WAS STEHT AN?

Berlin ist eine spannende Stadt, wird aber schlecht regiert. München ist eine schöne Stadt, aber irre teuer. Frankfurt dito. Hamburg ist eine schöne Stadt, und zwar auch nicht preiswert, aber immerhin bezahlbar. Warum? Weil es seit Jahren gut regiert wird. Sicher, der Hafen sorgt für stetes Geschäft, aber er hat auch schon bessere Zeiten erlebt. Dass man in Hamburg so gut leben kann, liegt auch nicht nur am freundlichen Umgangston oder der charmanten Mixtur aus norddeutscher Provinzialität und entspannter Weltoffenheit, sondern auch an den zehn Euro fünfundsiebzig. So viel kostet der Quadratmeter Mietfläche im Durchschnitt – deutlich weniger als in München (16,30 Euro) und in Frankfurt (13,24 Euro) und nur etwas mehr als in Berlin (9,71 Euro). Mehr noch: Die Mietpreise wachsen in Hamburg auch langsamer als andernorts.

Grund dafür ist das großangelegte Wohnungsbauprogramm, das auf einem Pakt des Senats mit der Immobilienwirtschaft basiert: Jedes Jahr entstehen mindestens 10.000 neue Wohnungen, im vergangenen Jahr waren es sogar 12.715. Keine deutsche Großstadt hat das Elend des Wohnraummangels so gut in den Griff gekriegt wie Hamburg. Und genau das dürfte ein entscheidender Grund sein, warum die SPD von Peter Tschentscher am Sonntag wiedergewählt wird. Es gibt sie also noch, die erfolgreichen Genossen. Man muss nur ins schöne Hamburg schauen.


Natürlich gibt es auch in der Hansestadt Missstände zu kritisieren, zum Beispiel die Luftverschmutzung durch den Schiffsdiesel. Heute Nachmittag bittet Fridays for Future zum Großprotest vor der Bürgerschaftswahl, auch Greta Thunberg ist dabei.


Im Iran finden heute Parlamentswahlen statt. Die Lage ist düster: Die amerikanischen Wirtschaftssanktionen machen den Menschen das Leben schwer, die außenpolitischen Abenteuer des Regimes verschlingen Unsummen und beschwören immer wieder die Kriegsgefahr mit Washington herauf. Das dürfte sich an den Urnen bemerkbar machen, obwohl Tausende moderate Kandidaten vorab aussortiert wurden.


Die Parlamentswahl in der Slowakei folgt erst in einer Woche, aber schon heute wollen Zigtausende in mehr als 40 Städten demonstrieren. Sie gedenken des vor zwei Jahren ermordeten Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten. Er hatte mafiöse Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft aufgedeckt. Regierungschef Robert Fico musste zurücktreten, nun steht der Unternehmer Marian Kocner als mutmaßlicher Auftraggeber des Mordes vor Gericht.


WAS LESEN?

In Internet-Chatgruppen hetzen Fremdenfeinde gegen Migranten. Web-Rechercheure schleichen sich in die Gruppen und dokumentieren die Kommentare. Meine Kollegin Laura Stresing hat mit den Aktivisten gesprochen.


Richard Grenell hat sich als US-Botschafter in Berlin keine Freunde gemacht. Nun holt Präsident Trump ihn zurück nach Amerika und macht ihn zum Herrn über die Geheimdienste. Die Personalie sorgt für Entsetzen in Washington, berichtet unser Korrespondent Fabian Reinbold.


Elf Tore in sieben Partien: Der Norweger Erling Haaland verzaubert die Fußballwelt und wird von Fans und Medien in den Himmel gejubelt. Höchste Zeit, ihn von da oben wieder runterzuholen, findet unser Sportchef Robert Hiersemann.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ein glückliches Händchen, das hätte doch jeder gern – oder hätten Sie lieber eine ruhige Hand? Wissen Sie, manchmal kann man sogar beides haben.

Ich wünsche Ihnen einen glücklichen Tag. Wenn Sie den Tagesanbruch abonniert haben, bekommen Sie morgen früh die Wochenendausgabe geschickt.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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