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Corona-Mutation im Anmarsch: Teuflische Wendung – Zeit für radikalen Schritt


Tagesanbruch
Corona: Teuflische Wendung

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.05.2021Lesedauer: 7 Min.
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Visualisierung des Coronavirus hinter einer Glaskugel.Vergrößern des Bildes
Visualisierung des Coronavirus hinter einer Glaskugel. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

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Kühle Logik

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Das könnte im Moment die Leitlinie unserer Weltsicht sein. Impfkampagne? Läuft. Inzidenz? Sinkt. Sommer? Kommt (irgendwann). In dieser erbaulichen Atmosphäre fallen die Versprechungen leicht. Gerade erst hat die EU den Gebeutelten in anderen Teilen der Welt Hilfe zur Selbsthilfe in Aussicht gestellt: In Afrika wolle man dem Gesundheitssektor kräftig unter die Arme greifen, und auch beim Aufbau einer eigenen Impfstoffproduktion werde man helfen, versprach Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – und sagte vorsichtshalber nicht dazu, dass dieser zeitraubende Kraftakt vielleicht für die nächste Pandemie etwas nützt, aber nicht mehr für diese. Salbungsvolle Worte der Solidarität werden wir auch heute hören, wenn in Rom der Weltgesundheitsgipfel der G20-Staaten tagt. Die Beteiligten werden das "gemeinsame Engagement für eine gesündere, sicherere, gerechtere und nachhaltigere Welt" in eine echt starke Erklärung gießen. Halleluja!

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Apropos Rituale, Zeit für ein kurzes Quiz: Wie viel Prozent der verfügbaren Impfstoffe erhalten Länder mit niedrigem Einkommen zurzeit? Nennen Sie bitte nur die Zahl vor dem Komma. Richtig: null. Genau null Komma drei Prozent lautet die ganz korrekte Antwort, wenn man pingelig ist und endlich auch die Lupe gefunden hat.

Lassen Sie uns deshalb die Rhetorik der Mitmenschlichkeit für einen Moment aus dem Weg räumen, denn sie hat den Faktencheck leider nicht überlebt. In einer Pandemie, das können wir durch Beobachtung kühl feststellen, ist sich jede Nation selbst die nächste. Für die innereuropäische Koordination bei der Impfstoffbeschaffung hat die Solidarität gerade noch gereicht. Bekanntermaßen hat das organisatorisch nur so mittel geklappt, jedoch die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft immerhin davon abgehalten, in einem gnadenlosen Überbietungswettbewerb übereinander herzufallen. Aber global? Zusammenhalt und Hilfe für die Schwächsten? Schauen wir uns die Null noch mal etwas genauer an.

Anstatt an dieser Stelle die Schlechtigkeit der Welt zu beklagen und den zahlreichen Appellen der Gipfel-Pressekonferenzen einen weiteren hinzuzufügen, möchte ich Sie zu einem Gedankenexperiment einladen. Nehmen wir für einen Moment die nationalen Egoismen als gegeben hin. Wenn wir ehrlich sind, ist uns der Gedanke vielleicht nicht ganz fremd. Vakzine für Afrika? Ja, gewiss – aber jetzt erst mal her mit meiner Impfung! Gefälligst vor den Sommerferien! Bisschen dalli! Kommt Ihnen das bekannt vor? Hören Sie das sinngemäß auch allerorten, selbst wenn es nicht so deutlich gesagt wird? Also legen wir hiermit fest: Jeder Staat möge in unserem Experiment nur im Interesse der eigenen Bürger handeln. Und deshalb schnappt er sich so viel vom Markt für Impfstoffe, wie er kriegen kann. Die Menschen in Afrika, Südamerika, in Pakistan oder Nepal? In unserem Experiment interessiert uns das nicht. Oder?

Doch, es interessiert. Auch Egoisten haben in der Pandemie gelernt: "Weit weg" heißt nicht "egal". Dass Covid-19 nur global besiegt werden kann, wie die WHO gebetsmühlenartig wiederholt, ist mehr als nur eine politisch korrekte Phrase. Es ist die ungeschminkte Wahrheit. Ob in Großbritannien, in Südafrika, in Brasilien oder in Indien: Wo das Virus sich wild verbreitet, hat es die Chance, zu mutieren – und tut es dann auch. Für seine Versuche, uns einen Haken zu schlagen, unser Immunsystem und den Impfschutz zu unterlaufen, macht es den ganzen Globus zu seinem Labor. Und dann kommt es zu uns.

Eine solche Episode haben wir mit der Mutante B.1.1.7 und der verheerenden Winterwelle gerade erst überstanden. Die nächsten Kandidaten stehen aber schon in den Startlöchern. Bei den Briten sorgt derzeit die aus Indien stammende Virusvariante für helle Aufregung, weil sie sich zwar noch auf niedrigem Niveau, dafür aber rasend schnell ausbreitet. Selbst Premier Boris Johnson, der eigentlich nie über etwas anderes in Sorge gerät als sein eigenes Image, hat die ersehnte endgültige Aufhebung aller Beschränkungen im Juni mit einem dicken Fragezeichen versehen.

Das Wettrennen gegen das Virus ist also immer noch nicht vorbei. Die Briten versuchen, mit größtmöglichem Tempo beim Impfen der neuen Version des Erregers zuvorzukommen. Derselben Logik folgend müssen auch wir uns bemühen, die Ziellinie der Herdenimmunität zu erreichen, bevor sich das fiese neue Ding auch bei uns einnisten kann. Nur haben wir in der Hektik leider nicht immer im Blick, dass wir zugleich noch an einem weiteren Rennen teilnehmen. Und dieses Rennen läuft weltweit: Je mehr wir uns in Europa jede verfügbare Impfdosis unter den Nagel reißen, desto weiter fallen wir global zurück und lassen dem Virus Raum. So bringen wir die teuflische Mutationsmaschinerie nicht aus dem Takt.

Es ist deshalb sogar in der kalten, selbstbezogenen Welt unseres Gedankenexperiments falsch, jede Ampulle mit Serum an Land zu ziehen, an die wir herankommen. Eigentlich ist es ganz einfach: Solange die Produktion den weltweiten Bedarf nicht deckt, gehört jedes Mittel dorthin, wo es seine Wirkung am schnellsten entfaltet. Im privilegierten Teil der Welt, zu dem wir zählen, stellen Auflagen zur Lagerung, Kühlung und Verabreichung keine Hürde dar und machen deshalb auch beim Impftempo keinen Unterschied: Alles, was da ist, findet einigermaßen schnurstracks den Weg in den nächsten Arm. Aber dort, wo man sich zu Fuß auf eine lange Wanderung zur nächsten Gesundheitsstation begeben muss, wo der Strom immer wieder ausfällt und jeder Arzt mehr als zehnmal so viele Menschen zu versorgen hat wie bei uns, da wirkt ein unkomplizierter, anspruchsloser Impfstoff wie der von Johnson & Johnson, bei dem eine einzige Injektion genügt, als Turbolader für die Impfkampagne. Deshalb kann man eigentlich nur den Kopf darüber schütteln, dass im Juni und Juli zehn Millionen Dosen des Serums in Deutschland landen werden – anstatt dort, wo ihr Nutzen so viel größer wäre. Und weitere 26 Millionen Dosen kommen später noch nach. Bei aller Sorge um unser eigenes Impftempo: Das ist ineffizient. Es schadet uns. So ein Mittel gehört nicht hierher. Das mag in manchen Ohren sonderbar oder gar berechnend klingen. Aber Logik ist eben manchmal: einfach kühl.


80 ist nur eine Zahl

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Es gibt sie ja, die Götter der Musik, die uns ein Leben lang mit vollendeten Melodien und poetischen Texten begeistern. Gut, nicht mehr jedes Konzert reißt uns vom Hocker, nicht jede Platte ist eine Offenbarung. Aber dann stehen wir an einem viel zu kalten Maimorgen auf dem Weg zur Arbeit an der Bahnhaltestelle, stöpseln die Kopfhörer in die Ohren – und hören ihn wieder, diesen unvergleichlichen, mitreißenden Sound eines wahren Genies. Ich weiß ja nicht, was Sie tun, wenn Sie schlagartig gute Laune bekommen möchten, aber das hier kann ich empfehlen. Und wenn Sie dann so richtig gut drauf sind, lesen Sie doch noch schnell das Interview, das mein Kollege Marc von Lüpke und ich mit dem Scorpions-Sänger Klaus Meine geführt haben: Darin erklärt der deutsche Rockstar nämlich klipp und klar, warum Bob Dylan, dessen 80. Geburtstag am kommenden Montag weltweit gewürdigt wird, in Wahrheit gar kein Alter hat – egal, welche Zahl in seinem Pass steht. Ein Gott eben.


Die Waffen sollen schweigen

Mehr als 230 Tote, mehr als 1.600 Verletzte: Das ist nach Angaben beider Seiten die bittere Bilanz der tagelangen Kämpfe zwischen Israel und der Hamas. Gestern noch gab sich Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu beim Besuch von Außenminister Heiko Maas martialisch und präsentierte seinem Gast vor laufenden Kameras Trümmerteile einer abgeschossenen Drohne. Doch am Abend gab es endlich Grund zum Aufatmen: Die verfeindeten Seiten haben sich auf eine Feuerpause geeinigt. Von der Waffenruhe bis zum dauerhaften Waffenstillstand wird aber noch ein Weg zu gehen sein: Die Palästinenser im Westjordanland haben heute einen weiteren "Tag des Zorns" angekündigt.


Urteil im Dresdner Mordprozess

Mord, versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung: So lautet die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen den 21 Jahre alten Syrer Abdullah al-H., der den Behörden seit 2017 als islamistischer Gefährder bekannt war. Er soll am 4. Oktober des vergangenen Jahres in der Dresdner Altstadt aus homophoben Motiven ein schwules Touristenpaar niedergestochen haben. Einer der Männer aus Nordrhein-Westfalen starb kurz darauf im Krankenhaus. Sein Lebenspartner überlebte schwer verletzt. Während die Verteidigung auf eine Verurteilung des Angeklagten nach Jugendstrafrecht plädiert, fordert die Anklage eine lebenslange Freiheitsstrafe. Heute Morgen will das Oberlandesgericht Dresden sein Urteil verkünden.


Back to party

Nach monatelanger Lockdown-Starre öffnet heute nicht nur Deutschlands größter Freizeitpark in Rust erstmals wieder seine Tore. In Berlin dürfen auch Restaurants und Bars wieder Gäste bewirten – nur draußen zwar, doch in Mitte, Friedrichshain und Kreuzberg dürfte das ein Spektakel werden: Die Partyszene feiert ihre Wiederauferstehung. Unsere Reporter sind dabei.


Was lesen?

Was ist da los bei den Grünen, warum hat Frau Baerbock ihre Nebeneinkünfte nicht wie vorgeschrieben dem Bundestag gemeldet – und wieso bekommt die Spitzenkandidatin Tausende Euro von ihrer Partei? Unsere Reporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert haben den Fall recherchiert und zeigen, wie ein Versäumnis den grünen Höhenflug beenden könnte.


Falls Sie eigentlich nichts mehr über den Nahostkonflikt lesen möchten, machen Sie bitte hier und jetzt eine Ausnahme: Was der Orientalist Daniel Gerlach im Interview mit unserem Außenpolitikredakteur Patrick Diekmann erklärt, ist aufschlussreich.


Für viele Menschen, die zunächst mit Astrazeneca geimpft wurden, steht bei der zweiten Dosis ein Wechsel auf Biontech an. Wie reagiert das Immunsystem darauf? Sind Nebenwirkungen bei Impfstoff-Kombinationen tatsächlich häufiger? Unsere Gesundheitsredakteurin Melanie Weiner hat sich die Studienlage angeschaut.


Was amüsiert mich?

Manchmal reicht ja schon eine Kleinigkeit, um zum Helden zu werden.

Ich wünsche Ihnen einen heldenhaften Tag. Morgen erhalten Sie wieder den Wochenend-Tagesanbruch mit Marc Krüger (auch ein Held).

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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