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Flutkatastrophe: Warum wir alle Angela Merkel vermissen werden


Tagesanbruch
Sie will endlich auch mal frei sein

MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 21.07.2021Lesedauer: 6 Min.
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Seit mehr als 5700 Tagen im Amt: Kanzlerin Angela Merkel.Vergrößern des Bildes
Seit mehr als 5.700 Tagen im Amt: Kanzlerin Angela Merkel. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

da steht sie nun, inmitten der Trümmer der eigentlich so malerischen Altstadt von Bad Münstereifel. Angela Merkel spricht am Dienstagnachmittag von "erschreckenden Schäden", "entsetzlichen Zuständen" und einem "Hochwasser, das unsere Vorstellungen sprengt". Das Einzige, was tröste, sei die Solidarität der Menschen, so die Kanzlerin. Sie verspricht: "Wir werden Sie nicht nach Kurzem vergessen."

Die Kanzlerin werden wir noch schmerzlich vermissen

Die deutsche Sprache kenne keine Worte für diese Verwüstung, sagte Merkel bereits am Sonntag, als sie das ebenfalls schwer vom Unwetter getroffene Ahrtal besuchte. Das war ein Satz, der tröstete. So wie zwei weitere empathische Gesten: Erst hielt Merkel die Hand von Malu Dreyer, die wegen ihrer Erkrankung an Multipler Sklerose schwer zu Fuß ist. Dann rüffelte sie eine Bild-Reporterin, die eine Fragerunde störte.

Man muss diese Bilanz der vergangenen Tage ziehen: Angela Merkel macht es richtig. Sie reist in die Krisengebiete, spendet Trost, sagt konkrete Hilfe zu. Sie gibt sich, wie wir sie kennen: unaufgeregt, sachlich, konzentriert. Aber sie ist eben auch so, wie wir sie eher nicht kennen: betroffen, zugewandt, mitfühlend.

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Durch ihre überzeugenden Auftritte macht sie die drei Kanzlerkandidaten noch kleiner, als sie im Vergleich zu ihr eh schon wirken. Armin Laschet, der sich nicht immer im Griff hat. Annalena Baerbock, die so verunsichert ist, dass sie bloß nichts falsch machen will. Olaf Scholz, der vieles sein mag, aber sicher nicht besonders empathisch.

Deshalb lässt sich besser denn je prognostizieren, dass wir alle Angela Merkel noch schmerzlich vermissen werden. Natürlich wird es vieles aus ihrer Amtszeit aufzuarbeiten geben. Die Flutkatastrophe hat wie die Corona-Pandemie Schwächen der Bundesrepublik offengelegt. Fast möchte man sagen: Wir können alles. Außer Krise. Nun rächt sich, dass Merkel Politik immer nur als Mittel zum Erreichen des Möglichen betrieben hat – und nicht auch mal nach dem Unmöglichen strebte.

Und trotzdem: In den 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft war stets eine Mehrheit der Bevölkerung der Meinung, sie mache ihren Job eher gut. Meistens war es sogar eine übergroße Mehrheit. Nach gängigen politischen Maßstäben ist das ein mehr als beachtlicher Erfolg. Der war nur möglich, weil selbst viele Bürger, die nie im Leben auf die Idee kämen, Union zu wählen, zumeist gedacht haben: Gut, dass im Kanzleramt Angela Merkel sitzt.

Klar, zu ihrem Erfolgsgeheimnis gehört auch, dass sie den Wählern fast nie wirklich etwas zugemutet hat. Aber der alleinige Grund für Merkels gutes Standing ist dieses "Lebt ihr mal in Ruhe, ich störe euch nicht weiter" nicht. Es kommt etwas Entscheidendes dazu: Die Kanzlerin erledigt ihren Job auch abseits der vielen Krisen stets mit Würde und Ernsthaftigkeit. Seit immerhin mehr als 5.700 Tagen. Und man darf davon ausgehen, dass sie an keinem davon wirklich einmal frei hatte.

Es ist ein wenig so, als stünde in ihrem Vertrag: "Das Arbeitsverhältnis endet, sobald wir einen Nachfolger gefunden haben, spätestens jedoch am 31. Dezember 2021." Da würde sich manch ein Arbeitnehmer hängen lassen. Doch Merkel macht einfach weiter wie gehabt. Bis zum Schluss.

Nur äußerst selten lässt die Kanzlerin Einblicke in ihre Gedankenwelt zu. Und wenn, dann eher unfreiwillig. Etwa wenn sie mit einer Situation kurz überfordert ist. Es gibt diese wunderbare Szene aus dem Jahr 2014, in der Merkel von der Queen empfangen wird. Die beginnt einen königlichen Smalltalk, für Merkel eine Art Gesprächs-Worst-Case.

"Well, you have a very busy day, I think. Haven't you?"

"Joa. But it's my duty to have busy days, I think."

Es sei ihre Pflicht, anstrengende Tage zu haben – prägnanter hat die Kanzlerin ihr Amtsverständnis wohl nie zusammengefasst. Aber sie strahlt genau das eben immer aus. Das schafft Vertrauen.

Und zwar so viel, dass Merkel bei den Wählern im Herbst wohl bessere Chancen hätte als die tatsächlichen Kandidaten. Aber man darf davon ausgehen, dass sie dann doch froh ist, wenn sie das Amt los ist. Vermutlich irgendwann im November.

Als die Kanzlerin in der vergangenen Woche in den USA nach ihren Plänen gefragt wurde, machte sie klar, dass sie es erst einmal langsam angehen lassen wolle. Sie werde "vielleicht versuchen, was zu lesen (…), dann werde ich ein bisschen schlafen, und dann schauen wir mal.“

Wahrscheinlich will Angela Merkel das Land, das sie so lange regiert hat, und die Welt, die sie so lange mitgestaltet hat, richtig kennenlernen. Und wahrscheinlich möchte sie auch einfach einmal wirklich frei sein. Denn das ist das fast schon Kuriose an ihrer Karriere: Als sie nach der Wende endlich in einem politischen System lebte, das ihr jene so lang ersehnte Freiheit ermöglichte, wurde sie bald wieder unfrei – als Gefangene der Spitzenpolitik.

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Ab Anfang 1991 arbeitete Merkel als Bundesministerin, 1998 wurde sie CDU-Generalsekretärin, 2000 Parteichefin und 2005 schließlich Kanzlerin. Sie kennt die Bundesrepublik vor allem aus dem Fond ihres Dienstwagens. Und von Terminen, bei denen sich Türen fast immer von allein öffnen und meistens alles sorgsam inszeniert ist.

Die real existierende Bundesrepublik, den Alltag im wiedervereinigten Deutschland, hat sie eigentlich nie erlebt. Man muss deshalb kein Mitleid mit ihr haben. Aber es würde einen deshalb nicht verwundern, wenn Angela Merkel bald vor allem eins will: das ganz normale Leben in echter Freiheit leben.

Auch wenn sie sich am Dienstag zu einem Termin bereits verpflichtet hat. Sie wolle noch einmal in Bad Münstereifel vorbeikommen. Weil aber so viel gemacht werden müsse, um die Altstadt zu restaurieren, werde sie dann nicht mehr im Amt sein. "Aber ich komme trotzdem."


Regierung beschließt Fluthilfen …

Das Bundeskabinett bringt am Vormittag ein millionenschweres Hilfspaket für die Opfer der Flutkatastrophe auf den Weg. Um 11 Uhr informieren Finanzminister Olaf Scholz und Innenminister Horst Seehofer über die Details.


… und will mehr Bevölkerungsschutz

Außerdem beschließt das Kabinett den ersten Teil einer neuen Strategie für den Bevölkerungsschutz. Ein Teil davon ist die "Nationale Reserve Gesundheitsschutz", die unter anderem für mehrere Monate den Bedarf des Gesundheitssektors decken soll – etwa an Schutzkleidung. Um 12.30 Uhr stellt Gesundheitsminister Jens Spahn zusammen mit Seehofer die Pläne vor.


AfD contra Kanzlerin

Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich ab heute mit Äußerungen der Kanzlerin zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen im Februar 2020. Angela Merkel hatte bei einem Staatsbesuch in Südafrika die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich als "unverzeihlich" bezeichnet. Eine Mitschrift der Pressekonferenz stand auf den Internetseiten der Kanzlerin und der Bundesregierung. Die AfD sieht darin eine Verletzung der Neutralitätspflicht. Ein Urteil wird allerdings erst in einigen Monaten verkündet.


Was lesen und ansehen?

Armin Laschet ist seit der Flutkatastrophe und seinem unglücklichen Lacher massiv unter Druck. Zum ersten Mal scheint es, als bleibe an ihm tatsächlich etwas haften. Denn bislang war der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ein Teflon-Politiker, an dem alle Skandälchen und Skandale abperlten. Und davon gibt es mehr, als den meisten Wählern bewusst sein dürfte – wie mein Kollege Jonas Mueller-Töwe zeigt.

Wie die aktuelle Krise Laschets Wahlkampfstrategie durcheinanderbringt, hat Tim Kummert für Sie analysiert. Und Johannes Bebermeier erklärt Ihnen, warum die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock derzeit fast unsichtbar ist.


Das US-Unternehmen Novavax arbeitet an einem Kombi-Impfstoff gegen das Grippe- und das Coronavirus. Nun gibt es ermutigende Ergebnisse. Der Konzern rechnet sogar damit, bereits im Herbst eine Zulassung beantragen zu können. Meine Kollegin Christiane Braunsdorf hat die Details.


Cyberattacken auf Unternehmen, Medienhäuser, Kliniken oder Behörden: Nichts scheint mehr vor kriminellen Hackern sicher. Aber warum vernachlässigen viele Unternehmen die IT-Sicherheit? Und was droht uns in Zukunft? Darüber hat mein Kollege Ali Roodsari mit einem Experten gesprochen.


Angesichts der Klimakrise könnten sich Flutkatastrophen künftig häufiger ereignen. Welche deutschen Regionen besonders von Hochwasser bedroht sind, zeigen meine Kollegen Philip Friedrichs und Adrian Röger im Video.


Was mich amüsiert

So flog Amazon-Gründer Jeff Bezos gestern ins All:

Und so träumt der durchschnittliche Amazon-Kunde von seiner Reise in die Schwerelosigkeit:

Bleiben Sie heute lieber auf dem Boden der Tatsachen.

Morgen schreibt an dieser Stelle mein Kollege Bastian Brauns für Sie.

Ihr

Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell

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Mit Material von dpa.

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