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Ampelregierung zwischen SPD, Grüne und FDP: Wer hat den Keks gegessen?


Tagesanbruch
Wer hat den Keks gegessen?

  • Johannes Bebermeier
MeinungVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 07.10.2021Lesedauer: 6 Min.
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Annalena Baerbock und Robert Habeck: Im Aufzug zur Ampel und was das mit einem Keks zu tun hat.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock und Robert Habeck: Im Aufzug zur Ampel und was das mit einem Keks zu tun hat. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

in den nächsten Wochen müssen wir uns auf etwas gefasst machen, und es wird wahrscheinlich nicht schön. Denn gestern ist in Berlin nicht nur eine Vorentscheidung zur Regierungsbildung gefallen, sondern auch eine Vorentscheidung für das Metaphern-Reservoir des Hauptstadtjournalismus der nächsten Wochen.

"Die Ampel blinkt."

"Springt die Ampel auf Grün?"

Oder mein absoluter Favorit von Noch-Wirtschaftsminister Peter Altmaier: "Soeben hat der Ampel-Zug den Bahnhof verlassen."

Die Ampel wird in den nächsten Wochen metaphorisch ziemlich viel zu tun bekommen. Im besseren Fall wird sie wenigstens Dinge tun, die sie wirklich tun kann, wie blinken oder umspringen. Wenn's schlecht läuft, muss sie sogar als Zug den Bahnhof verlassen, wie bei Altmaier. Journalisten und Politiker sind eben nur in den wenigsten Fällen literarisch begabt. (Ausnahmen bestätigen die Regel, aber dazu später mehr beim Keks.)

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Grüne und FDP haben sich entschieden, zusammen mit der SPD zu schauen, ob die Ampel bald blinkt ... ach Mist, Verzeihung: Die drei besprechen ab heute, ob eine Ampelregierung funktionieren könnte und man anschließend in die gründlicheren Koalitionsverhandlungen einsteigen will. Von 11 bis 17 Uhr werden sie in Berlin miteinander reden.

Das ist aus vielen Gründen bemerkenswert. Vor allem aber, weil sich Grüne und FDP auch am Mittwoch so nah waren, wie das nicht unbedingt zu erwarten ist für Parteien, die sich in vielen Politikfeldern so fern sind. Und die eigentlich auch ganz andere Regierungsvorlieben haben.

Für ihre Pressestatements haben Grüne und FDP ihre neue Symbiose am Mittwoch zwar kurzzeitig gelöst, wohl um ihren Parteien zu signalisieren, dass sie nicht zu "Bündnis 2021/Die grüne FDP" verschmelzen. Aber das Zweierbündnis, das Dienstag vergangener Woche mit einem Selfie begann, besteht erst mal fort.

Grünen-Chef Robert Habeck, der mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vormittags als erster vor die Presse trat, betonte, dass die Grünen der FDP vorschlagen, "gemeinsam auf die SPD zuzugehen". FDP-Chef Christian Lindner nahm den Vorschlag gut eineinhalb Stunden später an und sprach sogar von einem "fortschrittsfreundlichen Zentrum" aus FDP und Grünen in einer solchen Koalition.

Wenn es nach FDP und Grünen geht, bekommt die SPD also an der Spitze der Bewegung harte Konkurrenz.

In den Sondierungen und den Koalitionsverhandlungen hat dieses neue Bündnis für FDP und Grüne jedenfalls große Vorteile: Gemeinsam bringen sie mehr Prozentpunkte als die SPD mit. Sie werden das zu nutzen versuchen, um ihren gemeinsamen Willen durchzusetzen. Es ist zwar fraglich, wie viel gemeinsamer Wille in den verschiedenen Politikfeldern wirklich vorhanden ist. Aber ein Vorteil in den Verhandlungen mit der wieder-selbstbewussten SPD und ihrem immer-selbstbewussten Kanzlerkandidaten Olaf Scholz ist es definitiv.

Scholz wird nun vor allem beim Klimaschutz auf die Grünen zugehen müssen. Auch das wurde am Mittwoch noch einmal deutlich. Habeck sagte zwar, dass mit einer Ampel die "größten Schnittmengen denkbar" seien, nannte dort aber "vor allem den großen Bereich der Gesellschaftspolitik". Beim Klimaschutz betonte er auffällig, dass die Union sich "wirklich bemüht hat und uns weit und sortiert entgegengekommen ist".

Eine Einigung mit der SPD ist beim Klima zwar nicht unmöglich, aber ein Selbstläufer ist sie eben auch nicht. Man denke nur an die unterschiedlichen Vorstellungen beim Kohleausstieg – und die generelle Unmöglichkeit, Kompromisse mit der Erderhitzung zu schließen.

Es hätte also aus verhandlungstaktischen Gründen viel dafür gesprochen, dass Grüne und FDP parallel auch mit der Union sprechen. Doch so kommt es nun nicht. Habeck sagte, man wolle "niemanden für dumm verkaufen" und "kein künstliches Pokerspiel" simulieren. Das mag stimmen, aber auch etwas anderes dürfte wichtig gewesen sein: die Chancen auf eine vertrauensvolle und damit erfolgreiche Regierung.

Bei der Union stünden "Regierungswillen und Geschlossenheit" infrage, sagte Lindner. "Vertrauen bedeutet auch, dass nachher nicht alles in der Zeitung steht", sagte Baerbock. Und das stand es nach den Gesprächen mit der Union eben.

Eine Jamaika-Koalition mit einem Kanzler Armin Laschet hätte von Beginn an das Problem, dass nicht nur Markus Söder permanent glauben würde, es eigentlich besser zu können, sondern Friedrich Merz, Norbert Röttgen und viele andere auch noch. Es ist gerade nur schwer vorstellbar, dass die Union an der Regierung zur Ruhe käme. Denn ihre offenen Richtungsentscheidungen blieben ja ungeklärt. Und nicht nur Söder muss in der Zwischenzeit eine Landtagswahl gewinnen und würde sich wohl wie üblich mit öffentlichkeitswirksamer Kritik zu profilieren versuchen.

Der ganze Kladderadatsch der Union würde mit einem Kanzler Laschet also nicht aufgelöst, sondern erst mal zementiert. Und damit zur Bürde für jede Regierung. Denn ob die erfolgreich wird, entscheidet sich oft nicht an den Dingen, die in einem Koalitionsvertrag stehen, sondern genau an denen, die nicht drinstehen. Weil sie als Krise über eine Regierung hereinbrechen. Und dann ist eben Vertrauen und Verlässlichkeit unter den Partnern gefragt.

Eine erfolgreiche Regierung ist für FDP und Grüne dabei besonders entscheidend. Nicht nur aus inhaltlichen Gründen, sondern auch aus strategischen. Denn sie dürfen jetzt nach langer Zeit wieder mitregieren. Und wollen das natürlich nicht nur vier Jahre tun. Kladderadatsch können sie gar nicht gebrauchen.

Kommt also die Ampel? "Der Keks ist noch lange nicht gegessen", sagte der frühere Schriftsteller Habeck am Vormittag. (Mit schmackhafter Metapher, ganz ohne Ampelbezug!) Und natürlich können Gespräche scheitern. Doch ein gutes Stück vom Keks haben FDP und Grüne eben doch genascht. Und auch Söder biss anschließend genüsslich zu: Man habe jetzt endlich Klarheit, sagte er. "Das war de facto eine Absage an Jamaika."

Armin Laschet klang da zwar nicht so sicher. Aber das ist ja auch nur ein weiterer Beweis dafür, dass alles wie immer ist bei der Union.

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Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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