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Präsidentschaftswahl in Frankreich: Macht Rechtsextremistin Le Pen das Rennen?


Tagesanbruch
Was Le Pens Erfolg für Deutschland bedeutet

MeinungVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 11.04.2022Lesedauer: 7 Min.
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Ergebnis des ersten Wahlgangs: Amtsinhaber Macron und Herausforderin Le Pen gehen als Sieger hervor und somit in die Stichwahl. (Quelle: Reuters)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

was haben ein Hersteller von Süßwaren und die französischen Präsidentschaftswahlen gemeinsam? Beide liefern anschauliche Beispiele für das Prinzip der erfolgreichen Namensumbenennung.

1991 benannte das Unternehmen "Mars" in Deutschland seinen Schokoriegel "Raider" in "Twix" um. Denn so hieß die Süßigkeit bereits fast überall sonst auf der Welt. Obwohl es damals einen kleinen Sturm der Entrüstung bei den deutschen Verbrauchern gab, firmiert "Twix" bis heute in den Top Ten der beliebtesten Schokoriegel.

Im Juni 2018 taufte die Rechtsextremistin Marine Le Pen ihre Partei um. Aus dem martialischen "Front National" (Nationale Front) wurde "Rassemblement National" (nationale Versammlung).

Das klingt nicht nur viel geschmeidiger, sondern ermöglichte es Le Pen auch, sich von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen abzusetzen. Dieser hatte den "Front" einst gegründet und groß gemacht, war aber zuletzt immer mehr in offene Hetze und Antisemitismus abgeglitten. Marine Le Pen befreite sich sowohl emotional als auch inhaltlich vom (Über-)Vater, modernisierte die Partei und gab ihr ein scheinbar moderateres Gesicht.

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Mit diesem Rezept hat sie es am Sonntag bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich nicht nur auf den zweiten Platz hinter Emmanuel Macron geschafft. Zwar sieht es momentan nach einem soliden Vorsprung des Amtsinhabers aus. Dennoch ist der Drops noch nicht gelutscht. Le Pen hat echte Chancen, am 24. April die erste Frau an der Spitze Frankreichs zu werden.

Für Deutschland wäre das ähnlich gefährlich wie für Frankreich. Denn auf Marine Le Pen trifft der Werbespruch zu, mit dem damals Mars die Umbenennung des Schokoriegels propagierte: "Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix."

Auch für Frankreichs Rechte gilt: Verpackung und Name haben sich geändert, die Zutaten aber nicht. Madame Le Pen mag weniger fanatisch klingen als ihr Vater, ihre Ideen sind aber die gleichen. Auch wenn sie das Vorhaben, aus der EU auszutreten ("Frexit"), nicht mehr offensiv verfolgt, so lässt sie kaum eine Gelegenheit ungenutzt, gegen die "Brüsseler Eliten" zu wettern.

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Das deutsch-französische Verhältnis will sie neu definieren: In einem Interview mit der Tageszeitung "L'Opinion" kündigte sie an, die "Scheidung" zu wollen und stattdessen lieber den Schulterschluss mit Großbritannien zu suchen. Konkret plant sie unter anderem, die Zusammenarbeit bei gemeinsamen Verteidigungsprojekten wie dem Kampfflugzeugsystem "Future Combat Air System" aufzukündigen.

Die Wahl von Le Pen zur Präsidentin würde das gesamte europäische Projekt ins Wanken bringen, denn das deutsch-französische Tandem war (bei allen Meinungsverschiedenheiten, die es gab) für den Zusammenhalt der EU stets entscheidend.

Auch außenpolitisch würde die EU in unruhige Fahrwasser geraten. Marine Le Pen ist als Russlandfreundin bekannt. Unterstützung würde sie dabei vom frisch wiedergewählten ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán bekommen. Das würde die EU nicht nur weiter spalten – die transatlantischen Beziehungen dürften ebenfalls schweren Schaden nehmen.

Und nicht zuletzt würde Le Pens Erfolg auch die rechtsextremen Kräfte in allen anderen europäischen Ländern stärken. So gratulierte Marine Le Pen der AfD nach der Bundestagswahl 2017 umgehend zu ihrem "historischen Wahlergebnis" und feierte dies als "neues Symbol des Erwachens der europäischen Völker".

Zwei Wochen hat Emmanuel Macron nun Zeit, sich eine zweite Amtszeit im Élysée-Palast zu sichern und Frankreich sowie den Rest Europas vor Le Pen zu bewahren.

Er darf jetzt keine Fehler machen. Als er 2017 in der ersten Runde mit 24 Prozent der Stimmen drei Punkte vor Le Pen lag, ließ er in einer Pariser Edelbrasserie erst mal schön die Korken knallen. Das kam bei der Bevölkerung nicht so gut an. Dringend müsste Macron auch seine vornehme Zurückhaltung im Wahlkampf aufgeben und viel mehr als bisher durchs Land touren und um die Wähler und Wählerinnen werben. Denn einer der Punkte, den ihm die Franzosen verübeln, ist das "Abgehobene" seiner Präsidentschaft.

Für Deutschland lassen sich drei Lektionen aus Le Pens Erfolg ableiten:

1. "It's the economy, stupid!" Dieser legendäre Wahlkampfspruch von Bill Clinton aus dem Jahr 1992 trifft auch auf Frankreich zu. Zentrales Thema dieser Präsidentschaftswahlen ist die Angst der Franzosen vor dem Verlust der Kaufkraft. Merke: Wer die Sorgen der Geringverdiener nicht berücksichtigt, treibt sie in die Arme der Extremen. Daran sollte sich Deutschland erinnern, wenn es jetzt über einen Sofortausstieg aus der russischen Energieversorgung nachdenkt.

2. Wer rechtsextremen Diskurs unkommentiert lässt, macht ihn salonfähig. Der Erfolg von Marine Le Pen liegt auch darin, dass sich die Franzosen an ihre nationalistischen und rassistischen Parolen gewöhnt haben.

3. Wenn an den Rändern noch extremere Figuren auftauchen, stärkt das nicht die Mitte, sondern die Ränder. Marine Le Pen hat davon profitiert, dass mit dem Ex-Journalisten Éric Zemmour diesmal ein noch größerer rechter Scharfmacher mitmischte. Im Vergleich zu ihm konnte sie sich "gemäßigter" geben.

Entscheidend für die Stichwahl dürfte zudem sein, wie sich neben den Anhängern von Zemmour vor allem die Fans von Jean-Luc Mélenchon verhalten, dem Vertreter der radikalen Linken. Dieser landete im ersten Wahlgang recht knapp hinter Le Pen auf Platz drei. Wie die Frontfrau der Rechten vertritt er eine Anti-Establishment-Politik, polemisiert gegen die EU und wettert gegen die Berliner Politik, die er als "deutsches Gift" bezeichnet. "Ihr solltet keine einzige Stimme Madame Le Pen geben", erklärte er aber am Sonntagabend.

Wie dichtete der österreichische Schriftsteller Ernst Jandl einst so treffend: "manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern. werch ein illtum."


Im Kreuzfeuer der Kritik

Eine Ministerin kämpft um ihren Ruf: Anne Spiegel (Grüne), Chefin des Familienministeriums, ist wegen ihres früheren Verhaltens als Landesministerin in Rheinland-Pfalz erneut in die Kritik geraten. Kurz nach der Flutkatastrophe hatte sie, damals Umweltministerin, vier Wochen Familienurlaub in Frankreich gemacht. Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser hat gerade ihren Rücktritt erklärt, weil sie während der Flut in die Ferien nach Mallorca reiste. CDU-Chef Friedrich Merz fordert nun, dass auch Spiegel gehen müsse. Angesichts des Drucks entschied sich Spiegel am Sonntagabend zu einem ungewöhnlichen Schritt: Den Tränen nahe berichtete sie in einem Pressestatement von einem Schlaganfall ihres Mannes, den Belastungen der Pandemie für ihre Familie und von ihrer Überforderung als Ministerin und Spitzenkandidatin der Grünen in Rheinland-Pfalz. Dann bat sie um Entschuldigung. "Einen derart verstörenden und verstörten Auftritt wie diesen heute Abend von Ministerin #Spiegel habe ich in 20 Jahren Hauptstadt-Journalismus noch nicht erlebt", fasste der RTL-Politikchef Nikolaus Blome auf Twitter den Eindruck zusammen.

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Abschied des Tages

Markus Söder will nicht mehr Kanzler werden. Das hat er jedenfalls in einem Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt. Er habe seine Chance vertan und sich vorgenommen: "Ich bin nur für Bayern im Einsatz." Wahr ist, dass Söder mit seinem unerbittlichen Kampf um die Kanzlerkandidatur zum Scheitern der Union bei der Bundestagswahl beigetragen hat – und dass viele in der CDU ihm dieses Verhalten bis heute verübeln.

Wahr ist aber auch, dass auf kaum einen Spitzenpolitiker das Adenauer-Motto "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Nichts hindert mich daran, klüger zu werden" mehr zutrifft als auf Markus Söder. Ich würde jedenfalls nicht darauf wetten, dass es bei dieser Ansage bleibt, wenn die Sterne für ihn doch wieder günstiger stehen sollten.


Mit High Heels im Wüstenstaub

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) gilt nach diversen Pannen und unglücklichen Auftritten als Fehlbesetzung an der Spitze der Bundeswehr.

Jetzt hat sie den deutschen Stützpunkt in Mali besucht, wo rund 1.350 Soldaten und Soldatinnen im Einsatz sind. Eine gute Gelegenheit, um den ramponierten Ruf etwas aufzubessern. Stattdessen sorgte die Tatsache, dass sie mit Stöckelschuhen im Wüstensand aufkreuzte, für Spott in den sozialen Netzwerken.

Frau Lambrecht sei vorab darauf aufmerksam gemacht worden, dass das Schuhwerk möglicherweise nicht ideal für einen solchen Auftritt sei, wird im Verteidigungsministerium erzählt. Sie habe dies aber mit dem Hinweis abgewehrt, sie sei ja keine Soldatin. Die ebenfalls mitreisende FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die für viele die Wunschkandidatin fürs Verteidigungsministerium war, setzte hingegen instinktsicher auf robuste Boots.


Was lesen?

Die Wirtschaftsweisen waren einmal eines der wichtigsten Beratergremien in dieser Republik. Warum sie das nicht mehr sind und wer an ihrer Verzwergung schuld ist, hat mein Kollege Florian Schmidt aufgeschrieben.


Wer in Deutschland einen Staubsauger, einen Fernseher, eine Kaffeemaschine oder eine neue Matratze kaufen will, macht sich oft vorab bei der Stiftung Warentest schlau, welches Produkt im Vergleich am besten abschneidet. Doch wie laufen diese Tests eigentlich ab? Meine Kollegin Claudia Zehrfeld war in einem Prüflabor zu Besuch. Hier finden Sie ihren Bericht.


Weil er bei einer Bahnfahrt ein Video ohne Maske drehte, musste der Comedian Mario Barth am Freitagabend den Zug bei einem Halt in Hanau verlassen. Barth will den Vorfall juristisch klären lassen, aber auch ihm drohen Konsequenzen.

Historisches Bild des Tages

Adolf Eichmann trug die Verantwortung für die Ermordung von Millionen, der Prozess wurde dem SS-Mann aber erst 1961 gemacht. Warum, das lesen Sie hier.

Wenn Sie noch mehr wissen wollen: Der niederländische Schriftsteller Harry Mulisch hat eine packende Reportage über diesen Prozess geschrieben ("Strafsache 40/61"). Und auch der Klassiker von Hannah Arendt ("Eichmann in Jerusalem"), in der sie über die "Banalität des Bösen" reflektiert, ist immer wieder eine lohnenswerte Lektüre.


Was mich amüsiert

Dass es angesichts der nicht abreißenden Berichte über russische Gräueltaten in der Ukraine immer noch eingefleischte Putin-Fans in Deutschland gibt, hinterlässt einen ratlos. Da hilft nur noch Humor.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche, an deren Ende das Osterfest steht. Für Christen ist es das wichtigste Fest des Jahres. Die Botschaft der Hoffnung, dass das Böse und der Tod nicht das letzte Wort haben, kann uns aber allen in diesen Zeiten guttun.

Morgen schreibt an dieser Stelle wieder unser Chefredakteur Florian Harms für Sie.

Ihre

Miriam Hollstein
Chefreporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @HollsteinM

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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