Sie will auch das VerhÀltnis zu Deutschland umkrempeln
Kurz vor der PrĂ€sidentschaftswahl in Frankreich holt Marine Le Pen auf. FĂŒr Europa und Deutschland hĂ€tte ein Wahlsieg der Rechtsextremistin schwere Konsequenzen.
Erst warb sie damit, dann wollte sie es angeblich gar nicht mehr sehen: Gemeint ist ein Foto von Marine Le Pen. Es stammt aus dem MĂ€rz vor fĂŒnf Jahren. Le Pen war damals wie heute mitten im Wahlkampf und wurde vom russischen PrĂ€sidenten Wladimir Putin in Moskau empfangen.
Das Bild des Treffens nutzte die Politikerin des rechtsextremen "Rassemblement Nationale" (RN, ehemals "Front Nationale") fĂŒr einen Wahlkampfflyer. Seit rund 15 Jahren baue Le Pen Verbindungen zu Staatschefs und FĂŒhrungspersonen der "patriotischen Bewegung" in Europa auf, steht dort neben dem Foto.
Doch als Putin Ende Februar der Ukraine den Krieg erklĂ€rte, geriet die 53-JĂ€hrige in ErklĂ€rungsnot. Anfang MĂ€rz berichtete "LibĂ©ration", sie wolle 1,2 Millionen Exemplare der FlugblĂ€tter vernichten lassen. Ihre Partei begrĂŒndete den Schritt allerdings nicht mit dem Bild des russischen PrĂ€sidenten, sondern mit einem Rechtschreibfehler.
Dicht hinter Macron
Es kam schlieĂlich anders. Auf Le Pens Internetseite findet sich der Flyer noch heute. Und die NĂ€he zu Putin hat ihre Niederlage auch nicht besiegelt. Plötzlich scheint das Rennen um den ĂlysĂ©e-Palast sogar wieder offen zu sein: Noch immer gilt die Politikerin als die wahrscheinlichste Herausforderin Emmanuel Macrons in einer Stichwahl am 24. April um das französische PrĂ€sidentenamt.
Dort wĂŒrden laut dem Institut Harris Interactive 51,5 Prozent der WĂ€hler in Frankreich fĂŒr den amtierenden PrĂ€sidenten stimmen. Auf Le Pen kĂ€men dagegen 48,5 Prozent der WĂ€hler. Es ist die höchste Zustimmungsrate, die die Rechtsextremistin jemals erzielen konnte. Bei BerĂŒcksichtigung einer Fehlermarge von 3,1 Prozent wĂ€re auch ein Wahlsieg Le Pens möglich.
Auch wenn andere Institute einen gröĂeren Vorsprung Macrons vorhersagen: Der Aufschwung Le Pens dĂŒrfte vor der ersten Wahlrunde an diesem Sonntag nicht nur den französischen PrĂ€sidenten und seine AnhĂ€nger nervös machen. In BrĂŒssel und Berlin werden die Sorgenfalten tiefer. Denn falls sie gewinnen sollte, könnte das die französischen VerhĂ€ltnisse zur EU und auch zu Deutschland stark verĂ€ndern.
Macrons Wahlkampf ohne Wahlkampf
Wer Le Pens Endspurt verstehen will, muss sich ihren Umgang mit dem Ukraine-Krieg im Vergleich zu Emmanuel Macron anschauen. Der französische PrĂ€sident konnte in den Tagen rund um den Ausbruch des Krieges zunĂ€chst an Zustimmung unter den WĂ€hlern gewinnen. Anfang MĂ€rz verkĂŒndete er dann relativ spĂ€t seine Bereitschaft, erneut fĂŒr das Amt des PrĂ€sidenten zu kandidieren.
Es wirkte bisweilen so, als wĂŒrde der PrĂ€sident dem Wahlkampf am liebsten gĂ€nzlich fernbleiben: GroĂe Auftritte sagte Macron mit Verweis auf den Krieg ab, TV-Diskussionen mit seinen Konkurrenten lehnte er ab.
Nach dem Ende Angela Merkels als Bundeskanzlerin versucht der PrĂ€sident mehr denn je, sich als starke europĂ€ische Stimme zu positionieren. Der Kampf des Westens gegen Putins Angriffskrieg â es sollte vermutlich auch sein eigentlicher Wahlkampf sein.
Auf vermeintlicher Distanz zu Putin
Le Pen wiederum musste nach Ausbruch des Kriegs eine neue Haltung zu Putin entwickeln. WĂ€hrend sie noch in der Vergangenheit die Annexion der Krim als "nicht illegal" bezeichnete, verurteilte auch sie den russischen Einmarsch in die Ukraine. Einen vollstĂ€ndigen Bruch mit dem Kreml vermied die Politikerin allerdings. Wenn der Krieg ende, könne sie sich vorstellen, dass Russland wieder ein VerbĂŒndeter Frankreichs sein könnte, sagte sie zuletzt in einer Fernsehdiskussion.
FlĂŒchtlinge aus dem Land sind fĂŒr Le Pen in Frankreich willkommen. Dabei verfolgt sie eigentlich eine rigorose Einwanderungspolitik: In ihrem Wahlprogramm fordert sie etwa, den Familiennachzug generell abzuschaffen. Arbeitsberechtigte AuslĂ€nder sollen unter ihrer PrĂ€sidentschaft das Land verlassen, falls sie lĂ€nger als ein Jahr ohne Job sind.
Mit fortlaufender Dauer des Kriegs scheint sich das Interesse der Franzosen allerdings zu verlagern: Statt ĂŒber ein Ende der KĂ€mpfe wird mehr ĂŒber die Folgen des Krieges in Frankreich diskutiert: Auch dort steigen die Preise. Die Kaufkraft, ohnehin eines der wichtigsten Themen fĂŒr die Franzosen, gewinnt noch mehr an Bedeutung. Macron und sein Wahlkampf scheinen darauf nicht vorbereitet zu sein.
Kaufkraft das zentrale Thema
"AuĂenpolitik entscheidet keine WahlkĂ€mpfe, auch nicht in Frankreich", sagt Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik im GesprĂ€ch mit t-online. Macron habe fĂ€lschlicherweise geglaubt, er habe die Wahl bereits gewonnen und dadurch die wichtigsten Themen der WĂ€hler vernachlĂ€ssigt. Le Pen habe sich im Gegensatz dazu volksnah gezeigt und viel mehr Wahlkampftermine wahrgenommen.
Dort bediente die Herausforderin die Themen, die den Franzosen derzeit am wichtigsten sind. Den steigenden Energiepreisen will Le Pen etwa mit einer Senkung der Mehrwertsteuer und dem Ausstieg aus dem europÀischen Strommarkt entgegentreten.
"Sie bleibt eine Rechtsextremistin"
Seit Macron dagegen die Vermögenssteuer in Frankreich abschaffte, haftet ihm das Image an, eine Politik fĂŒr Besserverdiener zu betreiben. Auch Kempin attestiert seinem Wahlprogramm eine "soziale KĂ€lte": Ein Beispiel ist etwa die geplante Anhebung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre.
Kempin sieht aber noch weitere GrĂŒnde, warum Le Pen den Abstand zu Macron verringern konnte. In den vergangenen Jahren habe die Politikerin an ihrem öffentlichen Auftreten gearbeitet und prĂ€sentiere sich und ihre Inhalte deutlich moderater.
VerstĂ€rkt wird dieser Effekt durch ihren ebenfalls rechtsextremen Konkurrenten Ăric Zemmour, der Le Pen durch seine markigen Worte milder erscheinen lĂ€sst. An ihren politischen Zielen hat sich laut Kempin dagegen nichts geĂ€ndert. "Sie bleibt eine rechtsextreme Politikerin, aber sie hat ihre Verpackung geĂ€ndert."
Neues VerhÀltnis zu EU, Nato und Deutschland
Was das bedeutet, zeigt sich etwa in Le Pens AuĂenpolitik: Einen Austritt aus dem Euro und der EU fordert sie zwar nicht mehr, spricht stattdessen allerdings wie die deutsche AfD von einem "Europa der VaterlĂ€nder". Als VergleichsgröĂe nennt Expertin Ronja Kempin Ungarn: Le Pen strebe auf EU-Ebene eine "OrbĂĄnisierung" Frankreichs an.
In ihrem Wahlprogramm fordert sie auch einen Austritt aus den Kommandostrukturen der Nato, um eine eigenstÀndige Verteidigungspolitik voranzutreiben. Damit einher gehe auch eine Neugestaltung der Beziehungen zu den USA.
Ăhnliches schwebt Le Pen auch mit Deutschland vor. "Die Beziehungen zu Deutschland werden weitgehend neu gestaltet", heiĂt es dort. Die 2017 beschlossene Kooperation bei RĂŒstungsprojekten will Le Pen einstellen. "Wie eine vertrauliche Arbeit zwischen Paris und Berlin mit einer PrĂ€sidentin Le Pen aussehen soll, kann ich mir nicht vorstellen", sagt Kempin.
Bleibt die Frage, welche Partner ansonsten unter ihrer möglichen PrĂ€sidentschaft fĂŒr Frankreich eine Rolle spielen könnten. Dort bringt Le Pen wieder Russland ins Spiel: "Ohne Angst vor US-Sanktionen" strebe sie bei einem Wahlsieg ein BĂŒndnis mit Moskau in europĂ€ischen Sicherheitsfragen an. Denn die seien ohne Russland nicht zu lösen, zumal das Land den Kampf gegen den Terrorismus "konsequenter als jede andere Nation" fĂŒhre.
Vorgestellt hatte Le Pen ihre Ideen am 23. MĂ€rz. Putins Krieg in der Ukraine war da schon fast einen Monat alt.