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Ukraine-Krieg und Corona: Es folgt bald der nächste Schock im Krisenjahr


Tagesanbruch
Gleich der nächste Schock

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 02.06.2022Lesedauer: 6 Min.
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Niedriger Wasserstand in einem süddeutschen See: Die Klimakrise verschärft die Trockenheit.Vergrößern des Bildes
Niedriger Wasserstand in einem süddeutschen See: Die Klimakrise verschärft die Trockenheit. (Quelle: dpa-bilder)

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Der Schock sitzt immer noch tief. Nach zwei zermürbenden Corona-Jahren hatten wir gemeint, nun endlich in unser angenehmes Leben zurückkehren zu können. Zurück in unbeschwerte Wonnejahre wie vor der Pandemie, als Deutschland einer Insel der Glückseligen glich: sicher, wohlhabend, bequem. Nahezu Vollbeschäftigung, alles in Butter, die Frage der Freizeitgestaltung wichtiger als politische Debatten. Ja, wir hatten es uns richtig gemütlich gemacht in unserer Biedermeier-Republik.

So hätten viele gern weitergemacht, doch statt rosiger Zeiten folgte auf die Seuche gleich der nächste Schock: Krieg in Europa, Angst vor Atomwaffen, Inflation, mit jedem Tag werden wir nun ärmer. Die Tage sind hart, und die kommenden Monate werden noch härter. Viele Leute werden bald jeden Euro zweimal umdrehen, viele werden erfahren, was unfreiwilliger Verzicht bedeutet.

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In dieser Lage hätte man gern die Aussicht auf Besserung. Auf ein Licht am Horizont. Die schlechte Nachricht ist: Dieses Licht gibt es derzeit nicht. Im Gegenteil: Am Horizont ballen sich noch mehr dunkle Wolken. Forscher des renommierten Sipri-Instituts haben eine brisante Studie vorgelegt, in der sie vor einem "Zeitalter der Risiken" warnen. Die politischen Entscheidungsträger rund um den Globus seien darauf nicht vorbereitet.

  • In den vergangenen Jahren hat sich sowohl die Zahl bewaffneter Konflikte als auch die Zahl der Todesopfer in Konflikten sowie die Zahl der Flüchtlinge weltweit verdoppelt.
  • Die Zahl einsatzbereiter Atomsprengköpfe ist nach jahrelangem Rückgang wieder gestiegen.
  • Die weltweiten Militärausgaben haben einen neuen Rekord erreicht: mehr als zwei Billionen US-Dollar.
  • Ein Viertel aller Arten ist vom Aussterben bedroht. Die Zahl bestäubender Insekten wie Bienen, Hummeln und Schmetterlinge nimmt drastisch ab. Das hat massive Folgen für die Ernährungslage.
  • Extremwetter wie Stürme und Hitzewellen treten immer häufiger und immer länger auf. Ernten fallen aus, die Zahl der Hungernden wächst.
  • Es kommt häufiger zu Pandemien, Corona könnte nur ein Vorbote gewesen sein.

Und all die Gefahren brechen gleichzeitig über die Menschheit herein. "Die Mischung ist giftig, tiefgreifend und schädlich. Und Institutionen mit der Macht, Lösungen zu finden, wachen viel zu langsam auf", warnt Schwedens frühere EU-Kommissarin Margot Wallström. Schon droht im Nahen Osten die nächste Eskalation: Der Iran hat offenbar still und heimlich so viel Uran angereichert, dass er binnen Wochen eine Atombombe bauen kann.

Massenvernichtungswaffen in den Händen von Despoten, Kriege, Krankheiten, Nahrungsmangel, Dürren, Überschwemmungen, Verteilungskämpfe, Flüchtlinge, Cyberangriffe: Wir müssen uns darauf einstellen, in einer Welt permanenter Krisen zu leben. Und weil mittlerweile rund um den Globus alles mit allem verbunden ist, bekommen wir auch hierzulande die Folgen von Konflikten und Problemen zu spüren, die am anderen Ende der Welt ihren Ursprung haben.

Was folgt daraus? Bislang erwecken Politiker aller Couleur nicht den Eindruck, als würden sie das Ausmaß dieser Bedrohung ernst genug nehmen. In Deutschland versucht die Regierung, die wachsenden Probleme vor allem mit immer mehr Steuermilliarden zuzuschütten: Der Schuldenberg wächst und wächst. "Mancher wirft bereits ganz offen die Frage auf, ob man wirklich nächstes Jahr wieder die Schuldenbremse einhalten könne", berichten unsere Reporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert von der Haushaltsdebatte im Bundestag.

Nur vereinzelt sind Stimmen zu vernehmen, die nach anderen, langfristigen Konzepten suchen. "Wir müssen die Resilienz der Bevölkerung und unserer Infrastruktur gegen Krisen und Katastrophen insgesamt stärken", sagt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius im Interview mit meiner Kollegin Miriam Hollstein. "Dazu gehört, durch Aufklärung und Prävention ein besseres Bewusstsein für Gefahren und Vorsorge zu schaffen."

Klar ist: Erschöpft sich politisches Handeln in permanenter Krisenbewältigung, ist das Verfolgen langfristiger Konzepte kaum noch möglich. Die sind aber notwendig, und sie können nicht allein von Politikern und Forschern entworfen werden. Dafür braucht es alle. Uns alle.

Wir müssen wohl oder übel lernen, unser Leben so auszurichten, dass wir mehrere Krisen gleichzeitig verkraften. Dass wir Risiken nicht mehr verdrängen, sondern gemeinschaftlich bewältigen. Leichter gesagt als getan, ich weiß. Aber mit einer konstruktiven Haltung ist es möglich. Dafür braucht es erstens Pragmatismus. Zweitens die viel beschworene Resilienz. Drittens eine Fähigkeit mit dem komplizierten Namen Ambiguitätstoleranz: die Bereitschaft, Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten zu ertragen, ohne auszuweichen oder sie abzulehnen. Viertens Einsicht: Mit acht Milliarden Zweibeinern können wir auf unserem Planeten nicht so weiterleben, dass jeder sich so viel nimmt, wie er kriegen kann (und nach uns die Sintflut). Jeder Einzelne sollte darüber nachdenken, ob er all die Geräte, Dinge, Fahrten, Annehmlichkeiten wirklich zwingend braucht.

Die fünfte und vielleicht wichtigste Eigenschaft ist Optimismus. Die rosigen Zeiten der Unbeschwertheit mögen vorbei sein, aber deshalb ist nicht aller Tage Abend. Die Geschichte der Menschheit ist trotz Kriegen, Leid und Zerstörung eine grandiose Erfolgsstory. Wir sind in der Lage, selbst unüberwindbar erscheinende Probleme zu lösen. Aber es reicht eben nicht mehr, es nur zu wollen. Wir müssen es auch tun. Nicht nur die da oben in der Politik, sondern wir alle. Dann erscheint zwischen all den Wolken doch noch das Licht. Das ist die gute Nachricht.


Respekt, Majestät!

Zweimal musste sie wegen Corona ausfallen, heute soll sie stattfinden: Mit der Militärparade "Trooping the Colour" im Herzen Londons feiern die Briten nachträglich den Geburtstag ihrer Königin. In diesem Jahr bildet das Brimborium (ab 11 Uhr unserer Zeit live bei 3sat) den Auftakt für eine ganze Reihe von Festivitäten anlässlich des 70-jährigen Thronjubiläums von Queen Elizabeth II. Seit dem 6. Februar 1952, dem Todestag ihres Papas Georg VI., ist sie Königin; gekrönt wurde sie am 2. Juni 1953 im Alter von 27 Jahren. Der britische Premierminister hieß damals übrigens Winston Churchill.

Weil die 96 Jahre alte Monarchin zuletzt mit Mobilitätsproblemen zu kämpfen hatte, ist ungewiss, bei welchen Spektakeln sie sich in den kommenden Tagen persönlich zeigt. Der traditionelle Auftritt auf dem Balkon des Buckingham-Palasts nach der heutigen Parade und ein Gottesdienst in der St. Paul's Cathedral morgen gelten jedoch als Termine, bei denen mit ihr zu rechnen ist. Dass sich Her Majesty zumindest ein gewisses Maß an Resolutheit bewahrt hat, zeigt sich an ihrer Entscheidung, wer nicht neben ihr auf dem Balkon stehen darf: Ihr abtrünniger Enkel Harry, dessen Gattin Meghan und der in Ungnade gefallene Prinz Andrew müssen von anderer Stelle aus zugucken.

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Wechsel am höchsten Gericht

Erinnern Sie sich noch? Weltweit schlugen die Wellen hoch, als vor knapp zwei Jahren der damalige US-Präsident Donald Trump seine Favoritin für die Nachfolge der verstorbenen liberalen US-Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg am Supreme Court nominierte: die streng konservative Amy Coney Barrett. Hierzulande wird die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts vergleichsweise diskret geregelt: Heute Mittag bestimmt der Bundestag über die Nachfolge des scheidenden Verfassungsrichters Andreas Paulus.

Der neue Mann für Karlsruhe heißt Heinrich Amadeus Wolff. Der Bayreuther Verfassungsrechtler steht auf Vorschlag der FDP zur Wahl, kann deshalb mit den Stimmen der Ampelkoalition rechnen, findet aber wegen seiner konservativen Haltung auch das Wohlwollen von CDU und CSU. Die Verbindung zu den Liberalen besteht nicht von ungefähr: Wolff vertrat die Partei vor zwei Jahren im Verfahren gegen den Berliner Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht – mit Erfolg.


Besuch aus der Ukraine

Oppositionsführer Friedrich Merz versuchte in der gestrigen Generaldebatte im Bundestag ein Skandälchen daraus zu stricken: Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk komme heute nach Berlin und habe noch keinen Gesprächstermin mit dem Kanzler – obwohl er doch das zweithöchste Amt der Ukraine bekleide! Nun ja, Herr Stefantschuk trifft sich zunächst im Beisein von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (zweithöchstes Amt in Deutschland!) ab 15 Uhr zu einem Gespräch mit dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sowie dem Auswärtigen Ausschuss, bevor er morgen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (höchstes Amt in Deutschland!) empfangen wird. Einen Affront kann daraus nur konstruieren, wer gern aus einer Mücke einen Elefanten macht.


Was lesen?

Wochenlang haben sich die Hollywood-Schauspieler Johnny Depp und Amber Heard vor Gericht bekriegt. Nun hat die Jury ihr Urteil gesprochen – und Depp den Sieg beschert. Unser Kolumnist Gerhard Spörl hat dazu eine klare Meinung.


Wegen des Ukraine-Krieges sind Hunderte Millionen Menschen von Hunger bedroht. Der Krisenberater Marcus Ewald erklärt, wo genau die Probleme liegen und was dagegen getan werden kann.


Alle reden über den Tankrabatt. Niemand redet über Digitalisierung – auch der zuständige Digitalminister nicht. Unsere Kolumnistin Nicole Diekmann ist fassungslos.


Was amüsiert mich?

Was Robert Habeck gestern im Bundestag wohl mit dieser Geste meinte? Als ich ihn später danach fragte, wusste er es selbst nicht so recht (sagte er jedenfalls).

Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag. Die nächsten Tagesanbrüche kommen von meinen Kolleginnen und Kollegen, von mir lesen Sie Ende kommender Woche wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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