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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Papstwahl in Rom beginnt Gezielt gestreut – jetzt wackelt der graue Kardinal

Pietro Parolin gilt als Verwalter mit Weitblick – und als der graue Kardinal des Vatikans. Doch reicht das für die Zweidrittelmehrheit beim Konklave? Ein Bündnis mit Kardinal Erdő soll genau das ermöglichen.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin geht als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge auf dem Stuhl Petri ins Konklave. Er gilt als der mächtigste Kardinal im Vatikan – und als logischer Nachfolger von Papst Franziskus. Seit 2013 lenkt Kardinal Parolin als Staatssekretär des Vatikans die diplomatischen Geschicke der katholischen Kirche. Der 70-jährige Italiener gilt als pragmatischer Stratege und geschickter Diplomat. Seine Verbindungen reichen von Peking bis Washington.
Im Interview mit t-online schätzte der Vatikanexperte Andreas Englisch Parolins Chancen auf den Papstthron als vielversprechend ein: "Als traditionell aussichtsreicher Kandidat gilt Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der als Nummer zwei im Vatikan eine zentrale Rolle einnimmt. Historisch gesehen wurde dieses Amt häufig zum Sprungbrett für das Papstamt", erklärte der Journalist und Buchautor, der seit 40 Jahren über den Vatikan schreibt.
Ränke gegen Favoriten
Aber nicht umsonst gibt es die alte Weisheit: Wer als Papst ins Konklave geht, kommt als Kardinal wieder heraus. Zu selten wurde derjenige zum Papst gewählt, der sich im Vorfeld als Kandidat in Stellung gebracht hatte. Zu einfach ist es für seine Kontrahenten, gegen ihn Ränke zu schmieden.
Und so verbreitete sich kurz vor dem Konklave in Rom ein Gerücht: Parolin habe einen Kreislaufkollaps erlitten. Zwei Tage lang hielten sich diese Spekulationen. Erst als sich die Gerüchte in den Medien überschlugen, sah sich Vatikansprecher Matteo Bruni zu einer Klarstellung gezwungen: Nein, Pietro Parolin habe keinen Kreislaufzusammenbruch erlitten, sei nicht ohnmächtig geworden, und auch das medizinische Personal habe keinen Einsatz vermeldet. Doch da war die Nachricht längst in der Welt – und mit ihr der Eindruck, der aussichtsreichste Papstkandidat sei gesundheitlich angeschlagen.
Intrigen gehören zur Papstwahl
Bereits zuvor wurde der gesundheitliche Zustand von Parolin als Argument gegen seine Wahl ins Feld geführt. "Seine körperliche Verfassung und sein Alter könnten zum Problem werden", gab Englisch zu Bedenken. Insbesondere weil er eine schwere Krebserkrankung überstanden habe.
Dass die Gesundheit von Parolin ausgerechnet jetzt wieder zum Thema wird, ist kein Zufall. Solche gezielten Platzierungen gelten im Vatikan als klassisches Mittel, um Kandidaten zu schwächen. Gezielte Gerüchte, durchgestochene Infos, taktisch platzierte Dementis – was nach Politbetrieb klingt, gehört auch zur Papstwahl. Wer Favorit ist, steht schnell im Fadenkreuz der Intrige. Dabei kommen die Manöver nicht nur aus dem Kreis der Kardinäle.
Vor allem kirchliche Lobbygruppen mischen mit: einflussreiche Laienbewegungen wie die Fokolar-Gemeinschaft oder Sant’Egidio, konservative und progressive Netzwerke, Orden wie die Jesuiten – aber auch Staaten, die mit einem genehmen Papst geopolitische Interessen verbinden.

Offener Angriff auf Pietro Parolin vor dem Konklave
Doch es gibt auch direkte Angriffe. Kurz vor dem Beginn des Konklaves bezog der französische Kardinal Philippe Barbarin öffentlich Stellung gegen Parolin: Der aktuell zweite Mann des Vatikans habe "nicht das Format" für das Papstamt. In einem Interview mit "Paris Match" erklärte Barbarin: "Um ehrlich zu sein, finde ich, dass Kardinal Parolin zwar kompetent ist, aber nicht das Format hat, das man idealerweise von einem Staatssekretär und erst recht von einem Papst erwarten würde."
Und er wurde noch deutlicher: "Ich sehe Kardinal Parolin nicht als nächsten Papst, und zwar eher aus einem strukturellen als aus einem persönlichen Grund. Als Staatssekretär ist seine Rolle für die tägliche Führung des Vatikans von grundlegender Bedeutung. Er muss sicherstellen, dass die Verwaltung effizient arbeitet, doch die Ergebnisse bleiben hinter den Erwartungen zurück." Paroli ist in den Augen von Barbarin nicht einmal ein guter Verwalter – geschweige denn Papst.
Philippe Barbarin, emeritierter Erzbischof von Lyon, ist mit seinen 74 Jahren noch immer wahlberechtigt – trotz belasteter Vergangenheit. 2020 nahm Papst Franziskus dessen Rücktritt an, nachdem Barbarin wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen stark in der Kritik gestanden hatte. Ihm war vorgeworfen worden, Hinweise auf sexuellen Missbrauch Minderjähriger nicht an die Behörden weitergeleitet zu haben. 2019 zunächst zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, wurde er ein Jahr später im Berufungsverfahren freigesprochen.
Parolin wegen Finanzskandal und Haushaltsloch unter Druck
Zeitgleich gerät Parolin wegen eines alten Finanzskandals unter Druck. Der Vatikan hatte bei einem dubiosen Immobiliendeal in London Millionen verloren – verantwortlich gemacht wird vor allem Giovanni Becciu, früher Parolins Stellvertreter. Ein Vatikangericht verurteilte Becciu und den beteiligten Geschäftsmann Raffaele Mincione zu einer Strafe, wogegen dieser jedoch Berufung eingelegt hat.
Mincione klagte seinerseits vor einem Londoner Gericht gegen das vatikanische Staatssekretariat. Ohne Erfolg – allerdings entschied das Gericht, dass das Staatssekretariat die Hälfte der angefallenen Gerichtskosten in Höhe von rund vier Millionen Euro übernehmen muss. Beobachter sehen darin ein schlechtes Zeichen: Kurz vor der Papstwahl rückt der Skandal Parolins Amtszeit als Staatssekretär in ein ungünstiges Licht.
Auch beim chronischen Haushaltsloch des Vatikans von rund 80 Millionen Euro gerät Kardinal Parolin zunehmend in Erklärungsnot. Als langjähriger Staatssekretär war er maßgeblich in die Verwaltung und Steuerung der vatikanischen Finanzen eingebunden – und damit auch in die Entscheidungen, die zu diesem strukturellen Defizit geführt haben.
Gerüchte um einen Deal mit den Konservativen
Dieser Druck und die gezielten Versuche, seine Stellung zu schwächen, könnten Parolin zu einem Zweckbündnis getrieben haben, spekulieren nun italienische Medien und Vatikan-Insider. Um das nötige Zweidrittel-Quorum beim Konklave zu erreichen, brauche er mehr als diplomatisches Geschick. Er brauche einen Deal, so die Logik.
Und der könnte mit einem Versprechen beginnen – und zwar seines eigenen Postens. Wenn Parolin zum Papst gewählt werden sollte, gibt er traditionsgemäß das Amt des Staatssekretärs ab. Und so könnte der Posten als Pfand für eine Mehrheit beim Konklave eingesetzt werden.
Denn unter den Kardinälen stellt sich längst nicht mehr nur die Frage: Wer wird Papst? Sondern auch: Wer wird seine rechte Hand? Das Staatssekretariat ist die Schaltzentrale der vatikanischen Weltpolitik, die verlängerte Exekutive des Papstes – und der Garant seiner Linie.
Nicht der Strahlemann – sondern der Garant für Ruhe
Parolin selbst war zwölf Jahre lang diese Nummer zwei. Nun habe er sein Amt einem Mann versprochen, der ihm die Stimmen der konservativen Kardinäle bescheren könnte: Péter Erdő, ungarischer Kardinal, 71 Jahre alt, Jurist, Ratzinger-Schüler. Ein Mann der Stille, nicht der Schlagzeilen. Kein Reformer, kein Unruhestifter, aber ein Signal an Konservative in Osteuropa, Afrika und sogar in Teilen Deutschlands, wo viele den vatikanischen Synodenkurs skeptisch sehen.
Seine Nähe zu Parolin ist unbestritten. Er kennt den Betrieb. Dass sein Name nun sogar auf X dementiert werden musste – von niemand Geringerem als Ungarns Vatikan-Botschafter Eduard Habsburg –, zeige, wie heiß die Spur ist, schreibt die italienische Zeitung "Il Tempo".
Das Kalkül sei: Parolin bringt Erfahrung, Erdő die Balance. Gemeinsam könnten sie eine Brücke schlagen zwischen den verfeindeten Lagern der Reformer und Konservativen – und das Konklave für sich entscheiden. Denn: Gewählt wird nicht der Hoffnungsträger, sondern der Kompromiss. Nicht der Strahlemann – sondern der Garant für Ruhe.
Das eigentliche Spiel beginnt nach dem ersten Wahlgang
Ob es solch einen Deal gibt, kann man nicht mit Gewissheit sagen. Doch aus Sicht des Vatikanexperten Nino Galetti ist die Idee nicht abwegig: "In einem Kollegium, in dem keine der großen Gruppen – weder die Reformer noch die Konservativen – eine eigene Mehrheit hat, könnte ein Konsenskandidat eine Lösung darstellen. Und das geht meist nur über strategische Bündnisse", erklärte er im Gespräch mit t-online.
Ein solches Bündnis, etwa zwischen dem kurial erfahrenen Parolin und dem unaufgeregten Erdő, könnte die entscheidenden Stimmen aus mehreren Lagern zusammenführen.
Ob es tatsächlich schon eine solche Allianz gibt? Unklar. "Die meisten Kardinäle reden offiziell nur über Profile und Herausforderungen, nicht über Namen – aus Respekt und Strategie. Doch nach dem ersten Wahlgang, beginnt das eigentliche Spiel", so Galetti, der seit 2020 das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom leitet.
"In Rom – und besonders im Vatikan – brodelt die Gerüchteküche schnell. Schon wenn zwei Kardinäle gemeinsam spazieren gehen, entsteht daraus rasch ein neues Narrativ", warnt er. Man sollte Gerüchte daher nicht überbewerten. "Letztlich zählt, was am Ende wirklich Sinn ergibt. Alles andere bleibt Spekulation." Denn ein Konklave sei ein abgeschotteter, streng geheimer Prozess. "Was sich hinter den Mauern tatsächlich abspielt, werden wir vielleicht irgendwann erfahren – aber sicher nicht, während es noch läuft."
- Interview mit dem Vatikanexperten Andreas Englisch
- Interview mit dem Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom Nino Galetti
- parismatch.com: "Philippe Barbarin: ‘Le prochain pape devra être un pasteur et un solide théologien’" (Französisch)
- iltempo.it: "Pietro Parolin tratta coi conservatori. E il ruolo di Erdo divide la Segreteria di Stato" (Italienisch)
- domradio.de: "Pietro Parolin"
- kas.de: "Warten auf den weißen Rauch"