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Anna Sorokin, Gert Postel: Deutsche Hochstapler machen weltweit Karriere


Falsche Mediziner und Möchtegern-Juristen
Deutsche Hochstapler machen weltweit Karriere

Von Dietmar Seher

02.04.2019Lesedauer: 5 Min.
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Anna Sorokin: Als schwerreiche Erbin Anna Delvey hat sie sich in New Yorks High Society einen Namen gemacht. Nun steht sie vor Gericht.Vergrößern des Bildes
Anna Sorokin: Als schwerreiche Erbin Anna Delvey hat sie sich in New Yorks High Society einen Namen gemacht. Nun steht sie vor Gericht. (Quelle: dpa-bilder)

Neben dem falschen High-Society-Girl Anna Sorokin und dem Postboten Gert Postel haben noch andere Deutsche der ganzen Welt etwas vorgemacht. Der beliebteste Job einheimischer Hochstapler: Mediziner.

Wie kommt man schnell zu Geld und zu Ansehen? Es geht zum Beispiel auf die leichte Tour, lehrt die Geschichte von Anna Sorokin. Man müsse nur geschickt lügen und betrügen, hat sie jetzt vor dem New Yorker Gericht eingestanden. Die junge Frau stammt aus Russland. Sie zog, als sie noch klein war, als Tochter eines Lkw-Fahrers ins deutsche Eschweiler – und blies sich später im Teenager-Alter in den USA zum Spross einer reichen Familie mit 60 Millionen Dollar Vermögen auf. Die umschmeichelte amerikanische High Society gab ihr, was die hübsche Deutschrussin wollte: Mal machte sie kostenlos in Marokko Ferien, mal erhielt sie Kredite über sechsstellige Summen für ein angebliches "Kulturzentrum". Die Reisen: Öfter sogar mit dem Privatjet. Ihr drohen nun 15 Jahre Haft.

Hochstapelei ist stets ein spektakuläres Delikt. Die Deutschen haben ein historisches Vorbild: Den Hauptmann von Köpenick. Er erlangte durch ein gleichnamiges Theaterstück von Carl Zuckmayer weltweite Bekanntheit. Friedrich Wilhelm Voigt, geboren 1849 in Tilsit. Der Schusterlehrling klaubte sich 1906 die Teile einer preußischen Offiziersuniform zusammen, hielt auf der Straße eine Kolonne Soldaten an, befahl ihnen, mitzukommen, gab ihn eine Runde Bier aus und besetzte mit der Truppe das Rathaus von Köpenick bei Berlin. Dort verhaftete er den Bürgermeister und nahm die Stadtkasse mit. Der Kaiser soll schallend gelacht habe, als er von dem Streich erfuhr: "Genial". Als der "Hauptmann von Köpenick" für die Kommandoaktion vier Jahre Haft erhalten sollte, begnadete ihn Willem Zwo.

Viele falsche Doktoren und Juristen in Deutschland

Aktuell ist der "Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen" unter Strafe gestellt. Ein Verstoß gegen den Paragrafen 132a des Strafgesetzbuches wird mit Gefängnis "bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe" geahndet. Ausdrücklich dürfen keine Berufe wie Arzt oder Anwalt simuliert werden. In der Öffentlichkeit als Doktor oder als Jurist aufzutreten – das lockt aber offenbar ganz besonders, ergibt die Liste der bekanntesten deutschen Hochstapler.

Dort posiert an erster Stelle der gelernte Postbote Gert Uwe Postel alias Dr. Clemens Bartholdy alias Dr. Klaus Höfer alias Dr. Gert von Berg. "Der Mann ist ein Ereignis", schwärmte vor Gericht eines seiner Opfer, eine gut bezahlte Akademikerin, mit der er wie mit zahlreichen anderen eine Affäre begann. "Er kann so wunderbar Geschichten erzählen". Und wie: Er wurde Richter, Pfarrer, Psychotherapeut, angeblich enger Freund des Barschel-Spions Rainer Pfeiffer. Ihm gelang nach eigenen Angaben eine Privataudienz bei Papst Johannes Paul II. und eine – diesmal echte – Vaterschaft. Später machte er sich als Autor einen Namen: "Doktorspiele" hieß das Buch, in dem er seine Abenteuer abwechslungsreich darlegte. Auch das: Ein Bestseller.

Seine "Karriere" hatte er Ende der 1970er-Jahre begonnen. Schon die Ausbildungsstelle zum Rechtspfleger erschwindelte er mit einem gefälschten Abi-Zeugnis. Vier Monate hielt der Betrug. Weil ihm ein vorschnelles Job-Ende nicht noch mal passieren sollte, besuchte Postel Vorlesungen, las sich in medizinische Fachbücher ein und bewarb sich bei Krankenhäusern, Rehabilitationszentren und der Bundeswehr. Höhepunkt der Laufbahn war eine längere Zeit als stellvertretender Amtsarzt in Flensburg, wo er die Zahl der Einweisungen in die Psychiatrie um 95 Prozent senkte.

Urkundenfälschung ist kein Problem

Nach der deutschen Einheit schaffte er den Sprung zum Oberarzt in Leipzig, was den sächsischen Gesundheitsminister so beeindruckt haben muss, dass er ihm eine Professur angeboten haben soll. Der Job war Postel schließlich zu riskant. In Leipzig flog er dennoch auf. Sein buntes Treiben büßte er wegen einer Summe von Delikten, darunter Urkundenfälschung und Betrug, mit zwei Jahren Haft.

Der Bankkaufmann Christian Ehret war, fachlich, zeitlich und schriftstellerisch gesehen, eine Art direkter Nachfolger des Bremers. Auch er arbeitete 14 Monate als vermeintlicher Mediziner und Klinik-Arzt, assistierte bei fast 200 Operationen. Als der erschwindelte Auftritt 2008 auffiel und Ehret für dreieinhalb Jahre in Haft musste, begann er wie Postel zu schreiben. Titel des Buches diesmal: "Wahnsinn in Weiß". Er habe doch gleich zwei Doktorurkunden gefälscht, ob er dafür ein besonderes Talent gehabt habe, fragte der "Focus" den vermeintlichen Arzt. Antwort: "Das dauert zehn Minuten mit der heutigen Technik, da gibt es im Internet Tausende von Vorlagen."

Tatsächlich glauben Experten, dass die simple Fälschung von Abi-Zeugnissen oder Universitätsabschlüssen längst gang und gäbe ist. Der Bundesverband Deutscher Unternehmer fürchtet, dass vor allem bei Ingenieuren, Informatikern und Betriebswirten die Quote der weniger ehrlichen Lebensläufe bei zehn Prozent liegen könnte. Onlinebewerbungen würden das befördern.

SPD-Politikerin gab sich als Juristin aus

Auch die Essener Sozialdemokraten sind hereingefallen. Petra Hinz jedenfalls machte ihren Genossen viele Jahre vor, über Abitur, Jurastudium und beide juristische Staatsexamen zu verfügen. Die Wirklichkeit: Neben einem Fachabitur hatte sie ein einjähriges Praktikum bei der Sparkasse und Erfahrung in der Medienbranche auf der Haben-Seite. Die Parteifreunde hegten zwar hier und da ein paar Zweifel. Sie schickten sie aber trotzdem seit 2005 in drei Bundestagswahlkämpfe. Zweimal gelang der Frau aus recht einfacher Herkunft der direkte Sprung ins Berliner Parlament, einmal über die NRW-Landesliste – ein typischer SPD-Werdegang im Ruhrgebiet, schien es.

Nur die dazu passende Ehrlichkeit fehlte. Als Beschwerden über ihren Umgang mit Mitarbeitern laut wurden, muss das lokale Info-Blatt "Informer" einen heißen Tipp bekommen haben: Die Vita war erlogen. Die SPD-Führung drängte sie 2017, das Mandat niederzulegen. Petra Hinz ist nicht mehr in der Partei. In Essen übernahm kurz nach der Affäre die CDU das Rathaus.

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Zurück zu High-Society-Hochstaplern wie Anna Sorokin: Die Deutschrussin musste in New Yorks Upperclass immerhin erst ihren Namen bekannt machen. Und 60 Millionen Dollar Familienguthaben? Na ja, sind in diesen Kreisen so viel auch nicht. Da hat es Christian Karl Geretsreiter, der Sohn eines Malers und einer Näherin aus dem tiefsten Chiemgau, zu weit mehr Ansehen geschafft. Auch er reiste in jungem Alter, mit 17, über den Atlantik und suchte die große amerikanische Bühne. Er gab sich als britischer Adliger aus, als Kunstsammler und Spezialist für den Expressionismus, als Freund von Harrison Ford und Steven Spielberg. Und, wow: Am Ende trat Geretsreiter als Mitglied des Familienstamms der Rockefeller auf. Man glaubte ihm.


Über 30 Jahre konnte der Bayern-Bub die Fassade aufrecht erhalten. Dann wurde es hoch kriminell. Als seine Frau hinter den Betrug kam und sich scheiden ließ, entführte er die gemeinsame Tochter. Ein Bostoner Gericht verurteilte ihn dafür zu fünf Jahren Haft. Mehr noch: Es war wohl nicht sein erstes Verbrechen. Im Garten eines Hauses, in dem er lange Zeit unter falschem Namen gewohnt hatte, fand man Knochen der verschwundenen Eigentümer. Es folgte die Anklage wegen Mordes – und die lebenslange Haft. "Mein Freund Rockefeller" aber, seine Lebensgeschichte, wurde zum Filmerfolg.

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